Im saarländischen Ensdorf entsteht die weltweit größte Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik. Für das Saarland als Symbol der Transformation, für Deutschland und Europa als Leitinvestition von hoher Bedeutung.
Dunkle Wolken ziehen an diesem leicht verregneten Wintertag über den imposanten Kühlturm des stillgelegten Kohlekraftwerks Ensdorf. Die äußeren Bedingungen sind eher trist. Und damit das genaue Gegenteil von dem, was sich wenige Meter weiter an diesem 1. Februar abspielt. Bundeskanzler Olaf Scholz, gerade erst zurück von einer Südamerikareise mit teils schwierigen Gesprächen, hat diesen Termin im Saarland nicht ausgelassen. Mit gutem Grund. Was sich im ansonsten eher beschaulichen Ensdorf ereignet, ist mehr als „nur“ eine Milliarden-Investition, die an sich schon zumindest die Anwesenheit des mitgereisten Bundeswirtschaftsministers Habeck gerechtfertigt hätte.
Die gleichzeitige Anwesenheit von Kanzler und Vizekanzler unterstreicht, dass es hier um sehr viel weitreichendere Dimensionen geht. Wenige Stunden vor der großen internationalen Präsentation der geplanten weltweit größten Fabrik für Siliziumkarbid-Halbleiter, Wolfspeed, hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Antwort der EU auf den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ vorgestellt.
Gamechanger für Saarland und Europa
Für das Saarland wird die Chip-Fabrik ein echter Gamechanger, betont Saar-Wirtschaftsminister Jürgen Barke. Dass Wolfspeed dafür ausrechnet das Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks ausgewählt hat, das den alten Kern saarländischer Montanindustrie repräsentiert, hat nicht nur, aber eben doch zuallererst für das Saarland hohe Symbolkraft.
Das Land steckt mitten in einem massiven Umbruch, ist wegen seiner wirtschaftlichen Struktur von allen Bundesländern am schnellsten und weitreichendsten von der Transformation betroffen. Erst prägten Kohle und Stahl das Land, dann die Automobilindustrie. Mit der Steinkohleförderung war vor zehn Jahren endgültig Schluss, voriges Jahr entscheid sich Ford gegen Saarlouis als Produktionsstandort für neue Elektromodelle. Das Aus für den Verbrennermotor trifft den Kern der saarländischen Autoindustrie. Und die Stahlindustrie ist seit Jahrzehnten ständig krisenbedroht.
Das Saarland kennt – und kann – Strukturwandel mit großen Umbrüchen. Auch das war für die Standortentscheidung ein wichtiges Argument. Wolfspeed-Chef Gregg Lowe hebt auch genau dieses Argument für die Standortentscheidung hervor. Neben den für derartige Ansiedlungen notwendigen Subventionen hat das Saarland eine hoch qualifizierte industrieerfahrene Arbeitnehmerschaft zu bieten. Und die unbedingte Ambition, auch die Transformation dieses neuerlichen tiefgreifenden Strukturwandels hinzukriegen. „Wir haben uns in das Saarland verliebt“, sagt Lowe, und das in einem Tonfall, der anzeigt, dass es nicht bloß ein für Amerikaner bei solchen Präsentationen oft üblicher Standardsatz ist.
Kanzler Scholz würdigt diese saarländische Mentalität ebenfalls. Ein Land mit Erfahrung in Umbrüchen, mit „Offenheit für Neues und Bereitschaft, Neues auch anzupacken“. Die Bundesregierung war früh in die Vorhaben mit einbezogen, und ohne ihre aktive Begleitung wäre ein solches Projekt auch nicht zustande gekommen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hebt die über das Saarland hinausreichende Bedeutung hervor. Das Land komme aus einer wirtschaftlich schwierigen Lage und sei gerade dabei, „den Kopf wieder aus dem Wasser“ zu bekommen, Wolfspeed sei daher auch für ganze Republik – und europaweit – von großer symbolhafter Bedeutung.
Europaweit auch deshalb, weil Europa ein wichtiger Baustein der Lehren aus den zurückliegenden Jahren ist. Nachdem in der Pandemie durch weltweite Lockdowns Lieferketten zusammengebrochen waren, wurden Abhängigkeiten in der globalen Wirtschaft überdeutlich. Autos konnten beispielsweise wegen fehlender Halbleiter nicht ausgeliefert werden, extrem lange Wartezeiten waren an der Tagesordnung.
Europas Abhängigkeit von Halbleitern zu reduzieren, wurde somit schnell ein wesentlicher Bestandteil der EU-Politik. Die wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit den entsprechenden Folgen noch einmal forciert. Folgerichtig gehört das Projekt auch zu den „wichtigen Vorhaben von europäischer Bedeutung“, kurz IPCEI. Damit werden Projekte bezeichnet, die einen Beitrag zu den strategischen Zielen leisten und die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken, zudem die europäische Wirtschaft resilienter, also widerstandsfähiger machen, etwa durch Reduzierung der Abhängigkeiten in Lieferketten.
Zudem passt gerade diese Investition in die Siliziumkarbid-Halbleiterproduktion ideal zu den Zielen des „Green Deals“ der EU. Mit diesen Halbleitern wird vor allem Elektromobilität einen deutlichen Entwicklungssprung machen können, unter anderem mit schnellerem Aufladen und größeren Reichweiten.
„Haben uns ins Saarland verliebt“
Für das Saarland selbst ist die Ansiedlung nach Überzeugung von Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) ein Meilenstein beim Abschied aus dem Zeitalter der Verbrennermotoren. Entscheidend dabei ist auch die strategische Zusammenarbeit mit ZF, einem der weltweit größten Automobilzulieferer. Bei ZF läuft die Transformation längst auf Hochtouren. Das Werk in Saarbrücken mit rund 9.000 Beschäftigten war lange Zeit führend bei Automatikgetrieben. Ende letzten Jahres kam dann die strategische Weichenstellung, dass ZF Saarbrücken zum Leitwerk in Sachen Elektromobilität wird.
Die strategische Beteiligung bedeutet in der Praxis: Bei der Produktion in Ensdorf hat Wolfspeed klar die Führerschaft, bei der Entwicklungs- und Forschungszusammenarbeit liegt sie bei ZF.
Die SPD-Regierung im Saarland hat im vergangenen Jahr einen eigenen, drei Milliarden schweren „Transformationsfonds“ eingerichtet, um den Umbau der Saar-Wirtschaft entsprechend begleiten zu können. Das Ziel von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist, das Land zu einem klimaneutralen Industriestandort zu entwickeln. Neben der bislang großen Abhängigkeit von der Verbrenner-Automobilität ist die Stahlindustrie dabei eine weitere Großbaustelle. Der Umstieg auf eine CO2-neutrale Stahlproduktion (mit sogenanntem grünem Wasserstoff) ist ebenfalls ein Projekt für IPCEI. Die Maxime dabei: Das Saarland mit seiner spezifischen Industriestruktur kann – im Herzen von Europa – exemplarisch unter Beweis stellen, dass der Umbau zu einem klimaneutralen Industriestandort gelingen kann.
Der 1. Februar mit höchster Prominenz am Fuß des alten Kohlekraftwerks in der Gemeinde, in der vor etwas mehr als zehn Jahren die letzte Kohle für die Kraftwerke gefördert wurde, steht für den Satz von Kanzler Scholz: „Die industrielle Revolution kehrt zurück nach Ensdorf.“