Es gäbe Alternativen zur Logik der Eskalation zwischen Israel und dem Iran
Der Nahe Osten steht an einem Scheideweg. Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran hat eine neue Dimension erreicht. Es gibt zwei Richtungen, wie sich die Gegnerschaft der beiden Länder weiterentwickeln könnte: in der Logik der Eskalation oder in der Logik der Eindämmung. Letztere arbeitet mit politischen Initiativen und dem Versuch, Koalitionen zu bilden.
Sowohl Israel als auch der Iran ist aus den Grenzen eines Schattenkrieges herausgetreten. Mit dem Luftschlag auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus am 1. April hat Israel eine Schwelle überschritten: Diplomatische Räumlichkeiten, die nach dem Wiener Übereinkommen unverletzlich sind, wurden erstmals attackiert. Diese Bestimmung gilt zwar explizit für das Gastland, sollte aber umso mehr auch von Drittländern eingehalten werden. Bei dem Angriff wurden zudem sieben hochrangige Offiziere der iranischen Revolutionsgarden getötet – so viele wie noch nie.
Auch der iranische Angriff auf Israel am 13. April ist ein Tabubruch. Nie zuvor hat das Mullah-Regime Israel vom eigenen Territorium aus attackiert. Dass der Iran nun mehr als 300 Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper abfeuerte, sollte zudem als monumentale Kulisse der Drohung und Abschreckung wirken.
Beim iranischen Luftschlag war die internationale Solidarität mit Israel überwältigend. Premierminister Benjamin Netanjahu, der zuvor wegen der hohen Zahl ziviler Opfer im Gaza-Krieg in vielen Ländern scharf kritisiert worden war, bekam plötzlich breite militärische Unterstützung: Nicht nur die amerikanische, britische und französische Luftwaffe halfen Israel. Auch Jordanien beteiligte sich am Abschuss iranischer Drohnen. Selbst Saudi-Arabien soll indirekt eine Rolle gespielt haben. Das Ergebnis war beeindruckend: 99 Prozent der iranischen Projektile wurden abgefangen.
US-Präsident Joe Biden soll Netanjahu daraufhin eindringlich gemahnt haben: „Das ist ein Sieg. Nimm ihn.“ Es war die Botschaft, nach Israels Demonstration der Stärke von einem Gegenschlag gegen den Iran abzusehen. Sie reihte sich ein in die Appelle zwischen Brüssel und Peking, die sich unisono für Deeskalation aussprachen.
Danach sieht es leider nicht aus. Israels Armeechef Herzi Halevi kündigte am Montagabend an: „Der Abschuss so vieler (iranischer) Raketen, Marschflugkörper und Drohnen auf das Territorium des Staates Israel wird eine Antwort zur Folge haben.“ Eine israelische Vergeltungsaktion wird wiederum einen Gegenschlag des Irans zur Folge haben. Der 1. und der 13. April markieren somit die Spirale einer nach oben offenen Eskalation. Das ist brandgefährlich – für den Nahen Osten und die Welt.
Es gäbe Alternativen zur Logik des „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Ein erfolgversprechender Weg wäre, den Iran politisch zu isolieren. Zum Beispiel durch eine Koalition, an der arabische Staaten zusammen mit Israel teilnehmen. Es existieren immerhin Vorläufer. Israel hat 1979 einen Friedensvertrag mit Ägypten geschlossen und 1994 mit Jordanien. 2020 besiegelten die „Abraham Accords“ eine diplomatische Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan.
Ein Schlüsselstaat zur Bildung einer arabischen Allianz gegen das Hegemonialstreben des Irans ist Saudi-Arabien. Dem sunnitischen Königreich sind die regionalpolitischen Ambitionen des schiitischen Mullah-Regimes ein Dorn im Auge, obwohl beide Länder 2023 ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen haben. Die Saudis verlangen jedoch für eine Aussöhnung mit Israel eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und zumindest ein politisches Bekenntnis zur Schaffung eines Palästinenser-Staates.
Wäre Israels Ministerpräsident Netanjahu ein Stratege, würde er ein politisches Bündnis zur Isolierung Teherans anpeilen und Zugeständnisse in der Palästinenser-Frage machen. Doch er weiß genau: Tut er dies, gehen ihm seine ultra-orthodoxen und rechtsextremen Kabinettspartner von der Fahne. Die Regierung würde platzen, bei Neuwahlen hätte der Premier sehr wahrscheinlich das Nachsehen. Die Scharfmacher treiben Netanjahu zum massiven Gegenschlag gegen den Iran. Damit verprellt er jedoch die arabischen Staaten, die kein Interesse an einer unkalkulierbaren Eskalation in Nahost haben. Kurzfristiges Koalitionsdenken ist Trumpf.