Finnland und Schweden drängen mit Macht in die Nato
Ist Russlands Präsident Wladimir Putin ein Stratege? Wenn man in den Norden Europas schaut, muss die Frage mit einem klaren Nein beantwortet werden. Finnland und Schweden haben unter den Schockwellen des Ukraine-Krieges ihre traditionelle außenpolitische Neutralität aufgegeben. Im Mai 2022 stellten beide Länder gemeinsam den Antrag auf Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis. Auslöser für diesen Schritt war die Sorge, dass die imperialen Ambitionen Putins weiter reichen könnten als in die Ukraine. Die Allianz befürwortete auf ihrem Gipfel Ende Juni zwar grundsätzlich die Norderweiterung, doch derzeit blockiert die Türkei den Prozess.
Vor allem Finnland drängt darauf, schnell unter den Schutzschirm der Nato zu schlüpfen. Das Land teilt eine rund 1.340 Kilometer lange Grenze mit Russland. Von der Hauptstadt Helsinki sind es nur 300 Kilometer Luftlinie bis nach St. Petersburg, das komplette finnische Staatsgebiet liegt in der Reichweite russischer (Atom-)Raketen.
Die Nervosität wird zusätzlich befeuert, weil sich russische Militärflugzeuge immer häufiger dem Luftraum des Bündnisses über der Ostsee nähern. Sie werden dann in der Regel von Nato-Jets abgedrängt. 2022 gab es 570 derartige Vorfälle, rund doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Ostsee ist eine wichtige Drehscheibe der Handelsschifffahrt zwischen Skandinavien, Russland, dem Baltikum, Polen und Deutschland.
Dass Finnland in die Allianz strebt, ist eine kleine sicherheitspolitische Revolution. Die Regierung in Helsinki hatte gegenüber Russland lange Zeit eine Politik des vorauseilenden Gehorsams betrieben – eine Linie, die weltweit unter dem Begriff „Finnlandisierung“ bekannt war.
Die Wurzeln dieser Haltung reichten bis tief in die Vergangenheit zurück. Finnland war im November 1939 von der Roten Armee angegriffen worden. Es musste nach Ende des „Winterkrieges“ im März 1940 Gebiete an die Sowjetunion abtreten. Helsinki konnte zwar vermeiden, von der UdSSR direkt in den Ostblock gezogen zu werden. Aber das hatte seinen Preis: Das Land musste sich zu Neutralität verpflichten und Moskau sogar ein informelles Mitspracherecht bei gewissen außen- und innenpolitischen Fragen zugestehen.
Doch das ist nun passé. Seit der russischen Invasion in die Ukraine dominiert das Gefühl der Bedrohung. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin sagte klipp und klar: Wäre die Ukraine früher in die Nato aufgenommen worden, gäbe es jetzt keinen Krieg in dem Land. Der Westen hätte nach der Krim-Annexion durch Russland 2014 „Stärke“ zeigen sollen. „Wir wollen Mitglied der Nato werden, weil wir nie wieder Krieg in Finnland haben wollen. Wir waren schon einmal im Krieg mit Russland.“
Präsident Sauli Niinistö stellte sogar in Aussicht, dass Finnland bereits vor einer Nato-Mitgliedschaft eine kleinere Anzahl an Leopard-Panzern an die Ukraine liefern könnte – unter dem Dach eines gemeinsamen europäischen Vorgehens. Das Land verfügt über mehr als 200 Leopard-2-Panzer. Helsinki hat bereits weitere militärische Unterstützung für Kyjiw in Höhe von rund 400 Millionen Euro angekündigt.
Finnlands Nato-Kurs wurde lange Zeit vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan torpediert. Er warf der finnischen wie der schwedischen Regierung die Unterstützung von Terrororganisationen wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK einschließlich ihrer Ableger in Syrien vor. Beide Länder seien „Gasthäuser für Terroristen“, polterte Erdoğan.
Doch kürzlich versuchte der türkische Staatschef, einen Keil zwischen die Nordländer zu treiben. Er deutete eine Zustimmung zur Aufnahme Finnlands in die Allianz an – ohne Schweden. „Wenn nötig, können wir eine andere Botschaft in Bezug auf Finnland geben“, erklärte Erdoğan. „Schweden wird schockiert sein, wenn wir bezüglich Finnland eine andere Aussage machen.“ Es war eine Retourkutsche für die Regierung in Stockholm, die traditionell eine liberale Einwanderungspolitik gegenüber Kurden betrieben hat, die sich von Ankara verfolgt sahen.
Hinter den Kulissen fiebern sowohl die Finnen als auch die Schweden dem 14. Mai entgegen: Bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen könnte Erdoğans politisches Aus besiegelt werden. Die Nato-Blockade am Bosporus hätte sich damit vermutlich von selbst erledigt.