Die Chancen des US-Präsidenten auf eine zweite Amtszeit sind drastisch gesunken
Die Bilder vom ersten TV-Duell zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem Herausforderer Donald Trump gingen um die Welt. Ein Biden, der den Faden verlor, sich vernuschelte oder den Satz nicht zu Ende sprach: Selten gab ein amerikanischer Staatschef vor laufender Kamera eine derart demütigende Vorstellung. Trump hingegen schlachtete Bidens Schwäche gnadenlos aus, feuerte unzählige Lügen-Torpedos ab und mimte die dynamische Alternative.
Das Biden-Lager versuchte die katastrophale Performance des demokratischen Amtsinhabers vom Tisch zu wischen. Der Präsident habe eine sehr ordentliche Bilanz vorzuweisen: Insgesamt seien 15 Millionen neue Jobs geschaffen worden, die Wirtschaft wachse in diesem Jahr vermutlich um knapp drei Prozent.
Dies stimmt zwar, aber die Betrachtung ist kurzsichtig. Amerikaner achten in der Regel nicht auf wirtschaftliche Makro-Ergebnisse. Für sie zählen konkrete Daten, die ihr tägliches Leben betreffen. So hat sich der durchschnittliche Benzinpreis im Land von 2,19 Dollar pro Gallone (3,8 Liter) im Jahr 2020 auf derzeit rund 3,50 Dollar pro Gallone erhöht. Viele US-Bürger lasten dies Biden an, obwohl die wahren Ursachen das globale Lieferketten-Chaos im Zuge der Corona-Pandemie sowie die nach oben schießenden Energiepreise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind.
Weiteres Kriterium: Die durchschnittlichen Zinsen für einen Hauskredit stiegen von 2,65 Prozent im Jahr 2020 auf heute rund sieben Prozent. Der gewinnträchtige Verkauf von Häusern oder Wohnungen ist für die US-Bürger ein wichtiger Faktor im Vermögenszuwachs. Auch bei diesem Punkt schieben viele Biden die Verantwortung zu, obwohl die Zinspolitik in der Hand der amerikanischen Zentralbank liegt.
Das sind nur die Fakten. Was Biden in der öffentlichen Wahrnehmung ungleich mehr nach unten zieht, sind die Bilder von seinem desaströsen TV-Auftritt. In der heutigen Zeit der sozialen Medien haben Videos und Fotos eine viel stärkere Wirkungskraft als Inhalte. Auf Youtube oder Tiktok kursieren zum Beispiel Clips mit dem Titel „Walk Like Joe Biden – „Laufe, wie Joe Biden“, in denen der US-Präsident auf der Gangway stolpert oder in einer Konferenz vor sich hindöst. Eine Welle voller Häme und Zynismus.
Im jugendwahnverrückten Amerika spielt das Alter eine noch größere Rolle als anderswo. Für viele US-Bürger haben sowohl der 81-jährige Biden als auch der 78-jährige Trump die Grenze deutlich überschritten. Aber der Republikaner kommt im Vergleich zu Biden wesentlich energiegeladener rüber. Für große Teile der Bevölkerung ist das Bild und der Eindruck die Botschaft. Daraus erwächst der Nährboden für Populismus, den Trump meisterhaft beherrscht.
Bidens körperliche Schwäche sowie seine mentalen Aussetzer sind ein wichtiger Grund, warum Trump seit Monaten in den Meinungsumfragen vor Biden liegt – trotz aller Prozesse, die er am Hals hat.
Wenn Biden auf seiner Präsidentschaftskandidatur beharrt – wie es derzeit den Anschein hat - ist das Risiko des Scheiterns extrem hoch. Der Präsident schafft es zwar, bei Wahlkampf-Veranstaltungen einigermaßen fit und energisch aufzutreten, wenn er seinen Text vom Teleprompter ablesen kann. Aber in einer Live-Situation wie beim TV-Duell gegen Trump wirkt er hoffnungslos überfordert.
Noch haben die Demokraten die Möglichkeit, Biden bis zum Nominierungsparteitag in der zweiten Augusthälfte gegen einen aussichtsreicheren Kandidaten auszutauschen. Dafür würden sich erfolgreiche Gouverneure und Gouverneurinnen aus den Bundesstaaten anbieten – etwa Gavin Newsom in Kalifornien, Gretchen Whitmer in Michigan oder Josh Shapiro in Pennsylvania. Eine Wette ohne Biden wäre zwar ebenfalls riskant, weil bis zur Präsidentschaftswahl am 5. November wenig Zeit zur landesweiten Profilierung bleibt. Aber es besteht die Chance, neuen Schwung in die Kampagne zu bringen.
Dies geht allerdings nur, wenn Biden als Kandidat zurücktritt und den Weg freimacht. Der einzige Mensch, der ihn dazu bewegen könnte, ist vermutlich Ehefrau Jill. An ihr läge es, Biden mit Feingefühl und Empathie umzustimmen. Der Präsident ist ein herausragender Politiker, der Amerika jahrzehntelang gedient hat. Bidens Verzicht zum Wohle des Landes würde ihm Respekt und einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern einbringen.