Sahra Wagenknechts Charme-Offensive Richtung Putin ist reine Polit-Romantik
Die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland haben einen Trend vorgezeichnet, der auch die Bundestagswahl in knapp einem Jahr prägen könnte: Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) setzen die etablierten Parteien enorm unter Druck. Beim Urnengang in Thüringen erzielten AfD und BSW knapp 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, in Sachsen fast 43 Prozent, in Brandenburg immerhin gut 27 Prozent. Beide Parteien dominierten mit jeweils einem Thema den politischen Diskurs im Wahlkampf. Die AfD trommelte für massenhafte Abschiebungen („Remigration“), das BSW für ein Ende der militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine.
Dass das BSW in allen drei Bundesländern satte zweistellige Ergebnisse einfuhr, ist ein formidabler Senkrechtstart. Die Gruppierung besteht schließlich erst seit Januar. Der Erfolg liegt vor allem am Auftritt, am Charisma und an der gut geölten Rhetorik der Parteigründerin Sahra Wagenknecht. In welcher Talkshow sie auch immer auftaucht: Sie lässt sich selten in die Enge treiben. Einwände und Kritik perlen an ihr ab.
Ihr politisches Mantra lautet, den Ukraine-Krieg durch diplomatische Initiativen zu beenden. Das Sterben auf beiden Seiten müsse aufhören, predigt sie. Um gleich anzufügen: Die Ukraine könne gegen die Atommacht Russland nicht gewinnen. Es klingt nach zynischer Realpolitik, ist aber im Grunde ein Aufruf an Kiew, zu kapitulieren.
Wagenknecht argumentiert doppelbödig. Einerseits räumt sie ein: „Ich traue Putin nicht.“ Andererseits unterstellt sie dem Kremlchef die Bereitschaft zu verhandeln. Was sie unterschlägt, ist, dass der Präsident überhaupt kein Interesse an Gesprächen über die Ukraine hat, die nicht in ein Diktat russischer Vorgaben münden.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in letzter Zeit mehrfach unterstrichen, dass er für eine internationale Ukraine-Friedenskonferenz mit Beteiligung Russlands sei. Im September erklärte er: „Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht.“
Doch der Vorschlag lief ins Leere. „Wir werden an solchen Gipfeln nicht teilnehmen“, antwortete das russische Außenministerium. Die Zielrichtung ist klar: Die Ukraine soll ein von Moskau abhängiges Satellitenregime nach belarussischem Muster werden. Wagenknechts Diplomatie-Vorstoß ist eine politische Blendgranate, die viel Wirbel verursacht, aber keine Substanz hat.
Die Frontfrau des BSW hat das populistische Großtalent, eine Fehleinschätzung mit missionarischem Eifer als einzig wahre Erkenntnis zu verkaufen, die den Mainstream der politischen Debatte widerlegt. Am 20. Februar 2022, vier Tage vor der russischen Invasion in die Ukraine, betonte sie in der ARD-Sendung „Anne Will“ im Brustton der Überzeugung: „Der russische Einmarsch wird von den USA herbeigeredet. Vielleicht ist da der Wunsch der Vater des Gedankens.“ Und: „Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben.“
Wir wissen heute, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht „herbeigeredet“ wurde. Wagenknecht hat später zwar zugegeben, dass sie sich getäuscht habe. Aber mit Blick auf Putins angebliche Friedens- und Kompromisswilligkeit ist sie noch immer eine Traumtänzerin.
Dass sich die deutsche Wirtschaft im Strudel der Rezession bewegt, ist auch der BSW-Vorsitzenden nicht entgangen. Sie hat ein simples Rezept: Annäherung an Moskau sowie billiges russisches Gas als Kostensenker für Unternehmen und Verbraucher. Dahinter steckt die nostalgische Vorstellung, dass sich das deutsch-russische Geschäftsmodell aus früheren Zeiten wiederherstellen lasse.
Das ist gefährliche Polit-Romantik. Die Lähmung der Konjunktur in Deutschland hat nichts mit Russland zu tun. Sie liegt an einer Kette von jahrelangen Versäumnissen, die zum Teil bis in die Merkel-Ära zurückreichen: fehlende Investitionen, mangelhafte Digitalisierung, hohe Energiekosten, irrsinnig lange Planungsverfahren. Dafür bietet auch Wagenknecht keine Lösungen an. Zu befürchten ist allerdings, dass sie mit ihren einfachen Formeln angesichts wachsender Kriegsmüdigkeit zunehmend Gehör findet.