Europa sollte sich auf eine mögliche Trump-Präsidentschaft vorbereiten
Angst ist ein schlechter Ratgeber – in der Politik wie im richtigen Leben. Und Panik, die kleine Schwester der Angst, sollte ebenso wenig unser Handeln bestimmen. Nüchternheit und Wachsamkeit sind viel besser. Dazu gehört auch, sich auf mögliche negative Entwicklungen vorzubereiten, Szenarien zu entwerfen.
Das trifft mit zunehmender Dringlichkeit auch auf Donald Trump zu, den aussichtsreichen republikanischen Bewerber für die US-Präsidentschaftswahl Anfang November. Der für seine Bulldozer-Rhetorik bekannte Kandidat hat jetzt wieder einmal in Europa die Alarmglocken schrillen lassen. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat South Carolina tönte Trump, der „Präsident eines großen Landes“ habe ihn einmal gefragt, ob die USA dieses Land auch dann noch vor Russland beschützen würden, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle. Er habe geantwortet: „Nein, ich würde euch nicht beschützen.“ Vielmehr noch: Er würde Russland „sogar dazu ermutigen zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“. Es war dabei unklar, ob es jemals so ein Gespräch zwischen Trump und einem Staatschef gegeben hat, denn der Republikaner sagte auch: „Nehmen wir an, das ist passiert.“
Die Trumpsche Einschüchterungskulisse sorgte zwischen Paris und Warschau für blankes Entsetzen. Immerhin hatte Trump nicht nur, wie bereits 2018, mit dem Austritt aus der Nato gedroht. Die offene Komplizenschaft mit Kremlchef Wladimir Putin, dem größten Aggressor unserer Tage, ist eine neue Dimension.
Dass Trump die im Artikel 5 des Nato-Vertrages festgelegte Bündnispflicht mit Füßen tritt, ist ein wohlkalkulierter Tabubruch. Dänemarks Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen warnte, Russland könnte in drei bis fünf Jahren die Solidarität der Nato „testen“, indem es eines ihrer schwächeren Mitglieder angreift. Sogar der stets höhere Militärausgaben einfordernde Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gab sich ungewöhnlich scharf: „Jede Andeutung, dass Verbündete einander nicht verteidigen werden, untergräbt unsere gesamte Sicherheit, einschließlich der der Vereinigten Staaten, und setzt US-Soldaten und europäische Soldaten einem erhöhten Risiko aus.“
Dass Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen könnte, galt vor einem halben Jahr noch als eher unwahrscheinlich. Doch der schwächliche Auftritt von Amtsinhaber Joe Biden sorgt für Nervosität im Westen. Der US-Sonderermittler Robert Hur bezeichnete den Präsidenten kürzlich angesichts seiner mentalen Aussetzer als „älteren Herrn mit schlechtem Gedächtnis“.
Sollte Trump tatsächlich das Rennen machen, stehen Deutschland und Europa vor einer zweiten Zeitenwende. Nicht nur, dass die EU die Herausforderung annehmen müsste, sich mit Blick auf ein neo-imperiales Russland zu rüsten. Amerika, seit 1945 eine sichere Bank für den alten Kontinent, fiele als Schutzmacht weg.
Ulrike Malmendier, eine deutsche Ökonomin, die in den USA lehrt und die Bundesregierung als Wirtschaftsweise berät, macht sich keine Illusionen: „Wir sollten uns darauf einstellen, dass Trump in seiner zweiten Amtszeit noch extremer wird als beim ersten Mal.“ Zwischen 2017 und 2021 war der Ex-Präsident immerhin von einigen „Erwachsenen“ umgeben, die ihm die größten Schock-Szenarien wie einen Nato-Exit noch ausreden konnten. Dazu gehörten Leute wie Verteidigungsminister Jim Mattis oder die Sicherheitsberater H. R. McMaster und John Bolton.
Trumps finstere Ego-Show-Auftritte sind ein Weckruf für Europa. Doch selbst wenn Biden noch einmal die Oberhand behalten sollte, wird der Druck Washingtons auf die Europäer zunehmen, vor der eigenen Haustür – etwa in der Ukraine – für ihre Sicherheit zu sorgen.
Die EU sollte sich schleunigst darauf vorbereiten, ihre Verteidigung in die eigene Hand zu nehmen. Die Rüstungsbeschaffung muss europäisch organisiert werden. Nationale Solonummern mit sich überlappenden Doppel-Kapazitäten sind ineffizient und passen nicht mehr in die Zeit. Das gilt auch für eine Koordination der atomaren Arsenale Frankreichs und Großbritanniens: Es bedarf eines gesamteuropäischen Nuklearschirms. Das alles braucht Zeit. Doch die Weichen müssen jetzt gestellt werden. Aus der Erfahrung des Kalten Krieges wissen wir: Nur ein starkes Militär schreckt ab. Schwäche ist hingegen eine Einladung an Aggressoren.