Eine Koalition der Willigen ist die einzige Antwort auf Trump
Es ist Zeit für schmerzhafte Wahrheiten. Der wutgeprägte Showdown zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Freitag ist nicht nur ein weltpolitischer Tiefpunkt: Vor laufenden Kameras geriet die Bühne der Diplomatie zu einer billigen Arena der Kirmesboxer. Trump und sein Vize J.D. Vance haben Selenskyj vorgeführt, abgekanzelt und gedemütigt.
Trump will den Ukraine-Krieg nach der Zewa-Wisch-und-Weg-Methode beenden. Erst Waffenstillstand, dann Friedensabkommen, lautet seine Devise. Um den russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu bringen, erfüllt er praktisch alle Bedingungen Moskaus. Also: keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine, Zwang zu Gebietsverzichten, keine US-Sicherheitsgarantien für das angegriffene Land.
Trumps Vision: Ein „Deal“ zwischen den nuklearen Supermächten und Ölgiganten Amerika und Russland wäre der Startschuss für einen neuen geopolitischen Schulterschluss, der Türen für Handel und Investitionen öffnet. Es ist der feuchte Traum des früheren New Yorker Immobilien-Tycoons, der die Gesetze seiner damaligen Branche auf die internationale Politik übertragen will.
Trump befördert eine Zeitenwende hin zu einer Weltordnung, in der autoritäre Regime dominieren. Amerika verabschiedet sich vom Westen als Allianz demokratischer Staaten. Die Regierung in Washington missachtet das Völkerrecht und kehrt internationalen Organisationen den Rücken. In der Verachtung Europas klingt der Chef des Weißen Hauses wie Putin.
All dies ist nicht nur ruchlos, sondern erschreckend blauäugig. Trumps Erwartung, dass Putin an einer Waffenruhe oder einem Abkommen mit der Ukraine interessiert sein könnte, ist die naive Hoffnung eines größenwahnsinnigen Möchtegern-Friedensstifters. Der Kremlchef will die Ukraine unterwerfen. Ein pro-westliches, wirtschaftlich prosperierendes Land in der Nachbarschaft könnte auch für die Bürger seines Landes attraktiv sein. In einem im Juli 2021 veröffentlichen Essay hat Putin glasklar formuliert, dass Russen und Ukrainer „ein Volk“ seien. Will heißen: Die Ukraine hat kein Existenzrecht.
Doch Putins Maximal-Strategie reicht noch weiter. Er will die 1999 begonnene Nato-Osterweiterung rückgängig machen. Amerikanische Truppen und Atomwaffen sollen vom Kontinent abgezogen werden. Ziel ist eine große russische Einflusszone in Europa.
Putin befindet sich auf einem Rachefeldzug gegen den Westen. Zusammen mit Chinas Staatschef Xi Jinping arbeitet er an einer multipolaren Welt, in der Moskau und Peking wichtige Kraftzentren bilden – mit starker Ausstrahlung auch auf den „globalen Süden“. Sie haben nun unverhofft einen neuen Helfer: Donald Trump.
Für Europa ist die Lage extrem ernst. Wenn Amerika als ultimativer Sicherheitsgarant ausfällt, müssen die Europäer versuchen, die Lücke zu schließen. Und zwar schnell. Da Putin-Freunde wie der ungarische Premier Viktor Orbán und sein slowakischer Amtskollege Robert Fico ausscheren, kann die EU nicht geschlossen agieren. Es bedarf einer Koalition der Willigen rund um Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, Italien, die baltischen Staaten und die Skandinavier.
Dieser harte Kern der EU plus Großbritannien muss sich unverzüglich politisch organisieren. Vor allem in militärischer Hinsicht stehen die Europäer vor gewaltigen Aufgaben. Putin hat die russische Wirtschaft auf Kriegsproduktion getrimmt. Sollte er die Ukraine erobern, wird er seine imperialen Ambitionen auf Nato-Territorium ausdehnen. Westliche Geheimdienste warnen seit Langem davor.
Die Europäer müssen viele Milliarden für das Militär lockermachen, wollen sie Putin wirklich abschrecken. Die Rüstungsbeschaffung sollte zentral koordiniert und nicht von jedem Land national gesteuert werden. Es geht aber auch um mentale Stärke. Die Politik muss der Bevölkerung vermitteln, dass es Freiheit nur mit Opferbereitschaft gibt, die auch Wohlstand kosten kann.
Da Trump zum Risikofaktor geworden ist, darf auch die Ausweitung des Atomschirms der Franzosen und der Briten auf Europa kein Tabu sein. Der disruptive Kurs des US-Präsidenten schafft Chaos. Er bietet aber auch Chancen. Europa findet in der Stunde der Not zu neuer Stärke und Unabhängigkeit – oder es wird zum Spielball der Großmächte.