Israels Premier Netanjahu setzt mit seiner Iran-Offensive alles auf eine Karte
Jahrelang bekämpften sich Israel und der Iran in einem Schattenkrieg. Seit Israels Angriff auf iranische Atom- und Militäranlagen sowie der sofortigen Gegenattacke des Irans wird der Krieg offen ausgetragen. Israels Premier Benjamin Netanjahu rechtfertigte seine Offensive damit, dass das Mullah-Regime kurz vor dem Bau einer Atombombe gestanden habe, was sein Land der Gefahr eines „nuklearen Holocausts“ ausgesetzt hätte. Doch dass Netanjahu ausgerechnet jetzt zuschlug, liegt vor allem an mehreren Faktoren, die sein Vorhaben begünstigen.
Erstens: Teherans regionalpolitische Position ist so schwach wie seit dem Ende des irakisch-iranischen Krieges 1988 nicht mehr. Irans Verbündete Hamas und Hisbollah sind stark dezimiert. Syrien fällt nach der Flucht von Machthaber Baschar al-Assad als vorgeschobene Operationsbasis weg. Zweitens: Israelische Kampfjets haben im Oktober 2024 bereits weite Teile der iranischen Luftabwehr ausgeschaltet. Drittens: Mit US-Präsident Donald Trump hat Netanjahu die Rückendeckung durch die militärische Supermacht Amerika.
Man mag darüber streiten, ob Israels Angriff zu diesem Zeitpunkt unbedingt notwendig war. Auch wenn der Iran mit seinem spaltbaren Material in relativ kurzer Zeit rund zehn Atombomben bauen könnte: Ihm fehlen immer noch die notwendigen nuklearen Sprengköpfe sowie die Raketenträger-Technologie. Laut westlichen Experten braucht Teheran hierzu noch mindestens ein Jahr. Auch waren die Atomverhandlungen zwischen den USA und dem Iran noch nicht ausgereizt. Netanjahu wollte den Krieg unbedingt – und zwar jetzt.
Dennoch bleibt festzuhalten: Der Iran hat sich taktisch und strategisch völlig verkalkuliert. Teheran hat durch politische Dummheit Israels Militärschlag geradezu provoziert. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hat das Land seit Februar seine Bestände von zu 60 Prozent angereichertem Uran drastisch hochgefahren, auf über 400 Kilogramm. Für Nuklearwaffen ist ein Anreicherungsgrad von 90 Grad nötig, was mit geringem technischem Aufwand möglich ist. Zudem hat der Iran demonstrativ die Errichtung einer dritten Urananreicherungsanlage angekündigt. Dass da bei den Israelis die Alarmglocken läuten, hätte man in Teheran wissen müssen.
Der Iran hat sträflich ausgeblendet, dass Israel seit dem grausamen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 einen geschärften Sinn für die Bedrohung des jüdischen Staates und einen neuen Wachsamkeitsmodus besitzt. Die Ausschaltung von militärischem Spitzenpersonal der Hamas und der Hisbollah hätte Beweis genug sein müssen. Der größte strategische Fehler des Mullah-Regimes besteht in seinem obsessiven Festhalten an der Zerstörung Israels. Teheran hat es versäumt, eine Vision der friedlichen Koexistenz mit Israel zu entwickeln.
Dennoch ist kritisch anzumerken: Das Timing für Netanjahus Angriffe auf den Iran hat auch einen politischen Kontext. Durch das brutale Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen, das extrem viele Opfer der Zivilbevölkerung in Kauf nimmt, hat sich Jerusalem international isoliert. Die iranischen Raketensalven auf israelische Städte haben das Narrativ verändert. Plötzlich überwiegt die Solidarität mit Israel.
Gleichwohl muss Netanjahu aufpassen, dass er nicht überzieht. Er wird von der naiven Vorstellung angetrieben, dass Israels Attacken zum Kollaps des Mullah-Regimes führen. Doch Vorstöße des Westens für „regime change“ sind in den letzten Jahren allesamt gescheitert: Nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak und Muammar al-Gaddafis in Libyen brachen Chaos und Anarchie aus. In Afghanistan sind die Taliban wieder an der Macht. Verfolgt Netanjahu seinen Kurs weiter, wird es ein Krieg mit ungewissem Ausgang.
Es könnte die große Stunde des Donald Trump werden. Er müsste Netanjahu von seinem Vernichtungsfeldzug gegen den Iran abbringen, bei dem sich die Bevölkerung möglicherweise um das ungeliebte Regime herum versammelt. Und den Mullahs müsste der US-Präsident ein Angebot unterbreiten, das ihnen ein niedrigschwelliges ziviles Nuklearprogramm erlaubt, aber den Bau von Kernwaffen durch wasserdichte Kontrollen ausschließt. Das wäre ein wahrhaft diplomatischer Herkulesakt. Trump müsste hierfür aber wesentlich mehr politisches Kapital investieren, als er dies bislang getan hat.