Die EU braucht eine koordinierte Industriepolitik mit ehrgeizigen Zielen
China hat gewaltige Überkapazitäten aufgetürmt. Das Land überschwemmt die Weltmärkte mit hoch subventionierten Elektroautos, Solarmodulen, Windturbinen oder Produkten zur Telekommunikationsausrüstung. Chinesische Firmen vermasseln den Konkurrenten mit Dumping-Preisen die Margen und drängen viele in den Bankrott.
Lange Zeit hat die Europäische Union Chinas staatlich gedopte Export-Offensive toleriert oder ist bestenfalls halbherzig dagegen vorgegangen. Die Gemeinschaft muss sich Naivität, Zögerlichkeit und Handlungsschwäche vorwerfen lassen. Das scheint sich nun angesichts der überwältigenden Marktmacht chinesischer Elektroautos in Europa zu ändern. Noch „vor der Sommerpause“ könnte die EU-Kommission bereits Strafzölle oder Einfuhr-Quoten verhängen, heißt es in Brüssel.
Die härtere Gangart der EU ist richtig. Aber sie kommt spät – für einige europäische Hersteller möglicherweise zu spät. Treibende Kraft des Kurswechsels ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Dieser hat für vergangenen Montag auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Dreiertreffen mit Chinas Staatschef Xi Jinping nach Paris eingeladen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der ebenfalls dazu gebeten wurde, hat abgesagt.
Das war keine kluge Entscheidung. Politik ist auch Choreografie. Symbole und Bilder sind wichtig. Ein gemeinsamer Auftritt von Macron, Scholz und von der Leyen hätte Europas Einigkeit gegenüber Xi demonstriert. Der Kanzler hält leider an der Umarmungs-Strategie („Wandel durch Handel“) seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) fest. Doch mit Appellen, Nettigkeiten und Aufrufen zur gegenseitigen Marktliberalisierung kommt man in der Volksrepublik nicht weit. Das musste auch Scholz bei seinem Treffen mit Xi Mitte April in Peking erfahren. Bereits vor seiner Reise hatte er seine Ablehnung von EU-Sanktionen gegen chinesische Elektroautos angekündigt. Bekommen hat er für diese Zusage nichts.
Das Kalkül des Kanzlers ist klar: Er will verhindern, dass deutsche Konzerne mit noch starkem China-Geschäft wie Volkswagen, Daimler oder BASF Opfer einer Revanche-Keule aus Fernost werden. Ob Scholz mit dieser nachgiebigen Linie die Gewinne der heimischen Betriebe auf lange Sicht retten kann, ist zweifelhaft. Peking wird alles daransetzen, die Technologieführerschaft zu erlangen und westliches Know-how abzusaugen.
Die EU muss endlich aufwachen! Es gibt Präzedenzfälle, die illustrieren, mit welch harten Bandagen die Volksrepublik kämpft. So wurde Europa vor über zehn Jahren mit subventionierten Solarmodulen aus Fernost überflutet. Viele einheimische Unternehmen konnten bei den Billigpreisen nicht mithalten und machten dicht. Als die Brüsseler Kommission Importzölle auflegen wollte, baute Peking Drohkulissen auf und spielte die EU-Länder gegeneinander aus. Ein Großteil der europäischen Solarwirtschaft blieb auf der Strecke.
Für den Handel mit China kann nur der Grundsatz der Reziprozität (Gegenseitigkeit) funktionieren. „Entweder beide Märkte sind offen, oder beide Märkte sind nicht offen“, sagt EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Diese Erkenntnis muss nun auch mit Taten untermauert werden.
Es nützt allerdings nichts, in Larmoyanz zu verfallen. Zwar ist das in Brüssel und Berlin angestrebte Ziel des „de-risking“, die hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu vermindern, richtig. Doch nur als Zwischenschritt. Es bedarf einer europäisch koordinierten Industriepolitik. Eines Plans, der auf viele Jahre angelegt ist und Spitzenpositionen auf dem Weltmarkt anpeilt.
Warum nicht ein neues Leitbild für Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und industrielle Stärke entwerfen? Dazu gehören natürlich auch politische Rahmenbedingungen wie Steuern und Energiepreise, in denen Unternehmen florieren. Nach dem Modell Airbus könnte zum Beispiel auch ein Telekommunikationskonzern „made in Europe“ aufgebaut werden – als Konkurrenz zu Chinas IT-Giganten Huawei.
Europa steht an einer Wegegabelung. Entweder die Gemeinschaft rauft sich in einem Kraftakt zusammen. Oder sie ist auf lange Sicht nur noch ein Zaungast der weltwirtschaftlichen Dynamik. Im schlimmsten Fall bliebe der rostige Charme eines Industriemuseums übrig. Schön anzuschauen, aber kein Garant für Wohlstand. Noch ist es nicht zu spät.