Der SPD-Kanzlerkandidat setzt auf das große Duell gegen Friedrich Merz
Dem früheren britischen Premierminister Harold Wilson wird der Satz zugeschrieben: „Eine Woche ist in der Politik eine lange Zeit.“ Was für eine Woche gilt, trifft noch viel mehr auf gut zwölf Wochen zu – denn am 23. Februar ist Bundestagswahl. Eine weltpolitische Megakrise kann die Wahrnehmung der Bevölkerung verändern. Ein Bild kann Politiker in einem neuen Licht erscheinen lassen und eine Dynamik auslösen.
Der Lacher des damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Juli 2021, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Opfern der desaströsen Ahrtalflut Trost zusprach, ist so ein Ereignis. Laschets Meinungsumfragen gingen danach in den Keller. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz profitierte und holte einen schier uneinholbaren Rückstand auf. Die Sozialdemokraten gewannen die Bundestagswahl hauchdünn.
Scholz wird nach einem extrem ruckeligen Prozess im Januar zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gewählt. Und erneut beschwört er den Mythos vom Comeback-Wunder. Den in den Umfragen knapp 20 Prozentpunkte führenden Unions-Konkurrenten Friedrich Merz werde er ebenso schlagen wie damals Laschet, lautet die Scholz-Botschaft.
Dahinter steckt ein gerüttelt Maß an Zweckoptimismus und Wunschdenken. Denn Scholz ist nach dem hässlichen Aus der Ampelkoalition beschädigt. Der an der Parteibasis, aber auch im Wahlvolk deutlich populärere Verteidigungsminister Boris Pistorius hätte der in Umfragen abgehängten SPD neuen Schwung verleihen können. Pistorius hat entscheidende Vorteile: Er kommt bodenständig rüber. Und er kann die aktuelle Bedrohungslage in kurzen Sätzen so erklären, dass es jeder versteht.
Scholz dagegen wirkt steif und unempathisch. Das Image des „Scholzomaten“, das ihm seit seiner Zeit als SPD-Generalsekretär anhaftet, konnte er nie ablegen. Gelegentlich verbarrikadiert er sich in seiner eigenen Welt. Im April hielt ihm der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, eine vermurkste Ampelbilanz vor: „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden.“ Der Kanzler konterte, „die Klage ist das Lied des Kaufmanns“. Heute kündigen Autobauer wie VW, Zulieferer wie ZF und Bosch oder Industriegiganten wie Thyssenkrupp Entlassungswellen an. Jeder sieht, wie ernst die Lage ist.
Doch Scholz geht trotz seiner Kommunikationsmängel nicht aussichtslos in den Wahlkampf. Seine Strategie: Er wird versuchen, sich möglichst weit weg vom Scheitern der Ampel zu positionieren. Die Wahl soll als großes Duell zwischen Merz und Scholz inszeniert werden. In diesem Zweikampf will er sich als die bessere Alternative zum CDU-Chef definieren.
Kernthesen aus dem SPD-Skript: In Zeiten von Krisen und Kriegen ist Scholz der Erprobte und Merz der ungetestete Mann ohne Regierungserfahrung. Der Kanzler verkauft seinen Kurs im Ukraine-Krieg als Trumpf. Auf der einen Seite betont er die massive militärische Unterstützung für die Ukraine. Auf der anderen Seite sagt er Nein zur Lieferung von „Taurus“-Marschflugkörpern. „Keine Eskalation, keine aktive Kriegsbeteiligung“, heißt sein Mantra. Letzteres sieht die Mehrheit der Bundesbürger genauso. Scholz’ Argument der Besonnenheit dürfte umso mehr ziehen, je stärker die Kriegsangst in Deutschland wächst. Die SPD wird Merz’ Plädoyer für die „Taurus“-Verschickung als politisches Risiko brandmarken.
Weitere SPD-Attacken im Wahlkampf: Merz sei ein Mann der sozialen Kälte. Er blockiere eine Aufweichung der Schuldenbremse, um sowohl stabil wachsende Renten als auch einen üppigen Wehretat zu finanzieren. Bei ihm gelte entweder – oder.
Merz kann diese Vorneverteidigung der SPD durchkreuzen. Schlüssel ist ein überzeugendes Konzept, wie er die deutsche Wirtschaft aus der Krise führen will. Er muss einen Plan vorlegen, wie die Unternehmen bestmögliche Investitionsbedingungen vorfinden. Energiekosten und Steuern sollten sinken und bürokratische Überregulierung abgebaut werden. Nur so werden die Firmen wieder international wettbewerbsfähig. Scholz’ Schlachtruf einer „Rettung der Industriearbeitsplätze“ durch staatliche Lenkung wird Firmen wie VW nicht helfen.
Merz muss liefern. Sein derzeitiges Umfrage-Hoch ist kein Selbstläufer. Gut zwölf Wochen sind in der Politik eine lange Zeit.