Nach Israels Angriff auf den Iran gibt es gemischte Signale aus Teheran
In der Logik des Nahen Ostens folgt auf jeden Angriff ein Vergeltungsschlag. Insofern waren Israels Luftattacken auf den Iran am vergangenen Wochenende nur eine Frage der Zeit. Der Beschuss mit bis zu 200 iranischen Raketen am 1. Oktober konnte die Regierung in Jerusalem nach dieser Logik nicht unbeantwortet lassen.
Allerdings hat sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für seine Verhältnisse eher zurückgehalten. Er ließ ausschließlich militärische Ziele im Iran angreifen: Raketenfabriken, Boden-Luft-Raketensysteme und Luftabwehrsysteme. Die große Eskalationskeule hat Netanjahu aber nicht ausgepackt. Wohl auf Druck seines wichtigsten Verbündeten Amerika hat der Premier auf Luftschläge gegen iranische Nuklear- oder Ölanlagen verzichtet.
Die Nuklear-Option hätte eine massive Gegenreaktion des Irans heraufbeschworen, die auch die USA direkt in den Krieg verwickelt hätte. Die Öl-Option hätte die Energiepreise durch die Decke schießen lassen und die ohnehin angeknackste Weltwirtschaft in schwere Turbulenzen gestürzt.
Die große Frage ist nun: Wie wird der Iran auf die kalibrierten Attacken Israels reagieren? Wenn Teheran politisch klug handeln würde, würde es den Zyklus von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen und es bei einer eher symbolischen Vergeltungsaktion ohne größere Schäden belassen. Dies könnten Raketen- oder Drohnenangriffe auf militärische Ziele wie Luftabwehrbasen oder Flugplätze sein. Dabei wird es darauf ankommen, zivile Opfer zu vermeiden. Gar nichts zu tun wäre in der Machtdynamik des Nahen Ostens mit Gesichtsverlust verbunden.
Nach Israels jüngstem Angriff waren die ersten Signale aus dem Iran eher beschwichtigend. So sprachen die Staatsmedien von „begrenzten Schäden“. Die Reaktion von Irans oberstem politischem und religiösem Führer Ali Chamenei war vergleichsweise moderat: „Das vom zionistischen Regime begangene Böse darf weder überbewertet noch unterschätzt werden“, sagte er.
Der Iran könnte aber auch mit einem breiten Arsenal zurückschlagen, noch härter als am 1. Oktober. Das würde bedeuten, dass er nicht nur militärische Ziele in Israel angreift, sondern auch zivile Infrastruktur, Kraftwerke, Pipelines oder den Flughafen in Tel Aviv. In Teheran zirkulierten bereits Szenarien mit einer Attacke bis zu 1000 Raketen. Vor allem unter den Revolutionsgarden, der Schutztruppe des Regimes, werden Forderungen nach einer scharfen Reaktion laut.
Über all dem schwebt die Machtfrage. Der oberste Führer Chamenei ist 85 Jahre alt und soll schwer krank sein. Einen Nachfolger hat er nicht aufgebaut. Unter den mächtigen Revolutionsgarden haben die Hardliner die Oberhand. Was niemand weiß: Wie stark ist Chamenei tatsächlich noch?
Aber selbst wenn Teheran auf einen Gegenschlag verzichten würde: Der Iran und seine Verbündeten im Libanon, im Gazastreifen, im Irak, in Syrien und im Jemen haben das langfristige Ziel, Israel zu vernichten.
Derzeit ist der Iran jedoch deutlich geschwächt: Seine Stellvertretertruppen sind dezimiert, seine Luftabwehrsysteme durch die neuesten israelischen Attacken beschädigt, die Wirtschaft durch die internationalen Sanktionen angeschlagen. Der Besitz einer Atombombe könnte die strategische Position des Irans schlagartig verändern. Zu befürchten ist daher, dass die staatliche Führung in Teheran ihr Nuklear-Programm hochfährt und den Bau einer Atombombe anstrebt. Unter den Revolutionsgarden gibt es bereits derartige Stimmen.
Chamenei hat zwar in einem religiösen Rechtsgutachten (Fatwa) Massenvernichtungswaffen als unvereinbar mit dem Islam verboten. Doch der Iran verfügt mittlerweile über mehr als 120 Kilogramm Uran, das zu 60 Prozent angereichert ist. Rein technisch könnte das Metall in wenigen Wochen auf 90 Prozent angereichert werden – das Material würde für den Bau mehrerer Atombomben reichen. Die Anfertigung eines nuklearen Sprengkopfes würde allerdings länger dauern, erklären westliche Sicherheitsexperten.
Israel hat ebenso wie Amerika signalisiert: Der Besitz von Kernwaffen durch Teheran würde nicht geduldet. Der Iran müsste mit schweren Angriffen auf seine Atomanlagen und Infrastruktur rechnen. Ein großer Krieg in der Region wäre vermutlich unvermeidlich. Die Nuklear-Frage hängt wie ein Damoklesschwert über dem Konflikt in Nahost.