Nach dem Ampel-Aus braucht das Land einen Ruck – und eine positive Vision
Auch in Zeiten monumentaler globaler Erschütterungen herrscht in Deutschland ein verstörendes provinziales Denken. An den Ukraine-Krieg und den immer mehr Opfer fordernden Konflikt im Nahen Osten hat sich die Öffentlichkeit fast gewöhnt. Doch nach dem Erdrutschsieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl ist nicht nur die politische Wertegemeinschaft des Westens mit der Führungsmacht Amerika tot. Trumps angedrohte Zollkeule könnte der Export-Großmacht Deutschland den Boden unter den Füßen wegziehen und das Land in eine schwere Rezession stürzen.
Und wie reagiert die politische Klasse in Deutschland? Die Ampelkoalition zerbricht. Das Land bräuchte dringend eine handlungsfähige Regierung. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ziert sich mit einem frühen Termin für Neuwahlen, obwohl er keine Mehrheit mehr hat. Hinzu kommen die mächtigen Reflexe der Bedenkenrepublik Deutschland. Die Bundeswahlleiterin warnt vor „unabwägbaren Risiken“ bei einer Neuwahl im Januar oder Februar. Der Verband der Papierindustrie sieht sich kurzerhand zu dem Hinweis genötigt: „Wir haben Papier. Die deutsche Papierindustrie ist sehr leistungsfähig.“ Geht’s noch?
Hat eigentlich irgendjemand mal überlegt, welche Auswirkungen derlei Schrullitäten auf Deutschlands Image in der Welt haben? Bummel-Bahn, angekündigte Werksschließungen des Vorzeige-Konzerns VW, Entlassungswellen bei Automobilzulieferern wie ZF oder auch Schaeffler, Digitalisierungswüsten, Null-Wachstum. Und jetzt sollen wir das nicht hinkriegen, was den Franzosen im Juni mühelos gelungen ist: Neuwahl des Parlaments innerhalb von drei Wochen?
Das Gezerre um den Neuwahl-Termin ist unwürdig – und mit Blick auf die schwierigen weltpolitischen Zeiten schon fast fahrlässig. Es wird den anstehenden Herausforderungen nicht gerecht. Die politische Klasse gleitet stattdessen mit einer bizarren Ego-Show in den Wahlkampf ab.
Wirtschaftsminister Robert Habeck dient sich mit einem Küchen-Video als Kanzlerkandidat der Grünen an. Nach dem vergeigten Heizungsgesetz tritt er im Büßergewand auf und hofft beim Publikum auf Vergebung. Bei Umfragewerten um die zehn Prozent ein kühndreistes Unterfangen. Der geschasste Finanzminister Christian Lindner (FDP), der seinen Rauswurf wohl provoziert hatte, ruft für seine Partei plötzlich das Ziel von „mehr als zehn Prozent“ aus. Ein mit Wunschdenken unterfütterter Befreiungsschlag angesichts der Vier-Prozent-Marke, um die die Liberalen herumdümpeln. Scholz hingegen versucht, den Neuwahl-Termin zu verzögern, um noch Vorhaben wie die Kindergelderhöhung durchzubringen und so ein bisschen Rest-Kanzlerbonus anzusammeln. Der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz will das verhindern, um Scholz im Wahlkampf als politisch nackten Regierungschef zu entlarven.
Deutschland braucht in dieser Situation keinen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Was nottut, ist ernsthaftes Regieren – und zwar bald. Der neue Kanzler und das neue Kabinett sollten sich als erstes darum kümmern, dass die Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine kommt. Wachstum schafft Arbeitsplätze und Vertrauen in der Bevölkerung.
Milliardenschwere Unternehmens-Subventionen mit der Gießkanne, wie Habeck dies gefordert hat, sind der falsche Weg. Es wäre bereits viel geholfen, wenn die neue Bundesregierung die Firmen von Fesseln befreien würde. Die Bürokratie müsste radikal abgebaut werden – die Politik fordert dies seit vielen Jahren. Endlich machen! Die hohen Energiepreise, ein starker Wettbewerbsnachteil gegenüber vielen Betrieben in Europa und in den USA, sollten deutlich gesenkt werden. Und ja: Niedrigere Unternehmenssteuern locken Investoren aus anderen Ländern an. US-Präsident Joe Biden hat mit seinem „Inflation Reduction Act“ vorexerziert, wie es geht.
Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen. Das Land braucht Optimismus und eine positive Vision für Wachstum – einen Ludwig-Erhard-Moment. Die Wirtschaft muss wieder florieren. Die Menschen benötigen Anreize, damit sie die Ärmel hochkrempeln und am Ende mehr Netto vom Brutto haben. Dazu bedarf es einer neuen Leistungsethik. Am besten, die Parteien machen sich bereits heute Gedanken, wie sie einen Schub nach vorn erreichen und den lähmenden Pessimismus über Bord werfen. Die Welt wartet nicht auf Deutschland.