Bob Hanning liebt Herausforderungen. Deswegen trat er einst den Manager-Job bei den Füchsen an, und deswegen trainiert er nun nebenbei auch die Nationalmannschaft Italiens.

Nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus bei der WM für die deutsche Handball-Nationalmannschaft trat Bob Hanning wieder einmal als Chefkritiker auf die Bühne. „Planlos und ideenlos“ habe das Spiel des Teams um Kapitän Johannes Golla gewirkt, schrieb der frühere Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB) in einer Kolumne für die „Bild am Sonntag“, „es fehlte an klaren Strukturen und einstudierten Abläufen“. Und nicht nur das. Hanning machte im deutschen Team auch ein ausgeprägtes Mentalitätsproblem aus. Die „Geilheit auf Erfolg“ habe er bei vielen Spielern vermisst – vor allem im Viertelfinale gegen Portugal. In jener Partie habe er „mehr Angst vor dem Verlieren gespürt als Lust aufs Gewinnen“, sagte Hanning.
Und auch Bundestrainer Alfred Gislason bekam sein Fett weg. „Was bringt eine enorme Kadertiefe, wenn wir sie nicht nutzen? Wo waren ein Justus Fischer oder ein Nils Lichtlein, als wir sie so dringend brauchten? Sie saßen auf der Bank“, schrieb der Geschäftsführer der Füchse Berlin, bei denen Lichtlein unter Vertrag steht. Statt hungriger Talente habe Gislason auf teils überspielte oder überforderte Profis gesetzt. Das müsse spätestens jetzt vorbei sein, will Deutschland bei der Heim-WM in zwei Jahren eine halbwegs realistische Chance auf den Titelgewinn haben. „Soweit ich denken kann, war in Deutschland noch nie so viel Talent vorhanden – Talent, das wir jetzt bloß nicht verschenken dürfen“, bekräftigte Hanning und schlussfolgerte: „Noch mal Mutlos-Weltmeister werden, dürfen wir uns nicht erlauben.“
„Etwas Großes entwickeln“
Nicht zum ersten Mal legte Hanning den Finger in die Wunde und redete Klartext. Das macht natürlich auch angreifbar. Und so werden Gislason, Golla und Co. demnächst sehr genau hinschauen, wie sich Hanning denn als neuer Trainer der italienischen Nationalmannschaft so schlägt. Der 56-Jährige tritt die Nachfolge von Riccardo Trillini an, zudem berät er den Verband in Sachen Professionalisierung. „Es war und ist mir immer eine Freude mitzuhelfen, etwas Großes zu entwickeln“, sagte Hanning: „Das weiß jeder von mir, und das war in all meinen Funktionen in den vergangenen Jahren der Fall.“ Auch bei den Füchsen, die damals noch Zweitligist waren, als Hanning vor 20 Jahren als Manager eingestiegen war. „Jetzt stelle ich mich voller Freude und parallel zu meiner Aufgabe in Deutschland dem neuen Abenteuer Italien“, sagte Hanning, der im März seine Premiere für Italien feiert. Ziel ist zunächst die Qualifikation für die EM 2026 in Dänemark, Schweden und Norwegen. Doch langfristig will das italienische Team, das mit einigen Talenten gesegnet ist, den Anschluss an die absolute Weltspitze herstellen. Und das ist ganz in Hannings Sinne. „Es liegt nicht in meiner DNA, Spiele zu verlieren“, sagte der Handball-Experte dem RBB. „Mein Lebensmotto ist, mich täglich zu hinterfragen, aber mich nicht infrage zu stellen. Deshalb glaube ich, dass in Italien etwas Tolles entstehen kann.“
Auf Kosten der Füchse? Das verneinen sowohl der Geschäftsführer als auch dessen Vorgesetzte. „Die Gesellschafter haben immer gut daran getan, mich die Einschätzung über meine Arbeitsleistung auch selbst beurteilen zu lassen. Wenn es mir guttut, wissen sie, dass es ihnen guttut“, sagte Hanning. Zuletzt hatte er als Cheftrainer von Kooperationspartner VfL Potsdam auch eine Doppel-Tätigkeit, die den Füchsen sehr viel gebracht hat. Er wisse, dass dieses neue Projekt „schon ein bisschen verrückt“ sei, aber: „Es ist nach 20 Jahren Füchsen und vielen Themenbereichen, die ja auch immer parallel gelaufen sind, wieder eine neue Herausforderung.“ Und die würde ihn eher beflügeln, „als dass ich das als eine Belastung ansehe“. Sein Hauptberuf bleibe der bei den Füchsen Berlin, und das nicht nur, weil „der Verband überhaupt nicht die Möglichkeit hätte, mich ansatzweise zu bezahlen“.
Als Geschäftsführer des Bundesligisten konnte Hanning am vergangenen Sonntag eine freudige Nachricht an alle Füchse-Fans verkünden: Superstar Mathias Gidsel hat seinen Vertrag ein weiteres Mal um ein Jahr verlängert. Der Olympiasieger und dreimalige Weltmeister aus Dänemark unterschrieb bei den Berlinern bis 2029, was alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Der 26 Jahre alte Rückraumspieler war bei so ziemlich allen europäischen Topclubs heiß begehrt, doch er ist bei den Füchsen noch längst nicht fertig. „Ich habe großes Vertrauen in dieses Projekt“, sagte Gidsel: „Ich habe das Gefühl, die Füchse können sich als Verein weiterentwickeln, aber auch ich als Spieler.“ In der Vorsaison erzielte Gidsel sagenhafte 260 Tore, auch in dieser Spielzeit schlagen nach 17 Ligapartien bereits 138 Treffer bei ihm zu Buche. Doch persönliche Erfolge stehen beim Dänen hinten an, er will die Füchse endlich zum ersehnten ersten Meistertitel führen.
Klasse Leistung im ersten Spiel
„Im handballerischen Bereich steht keiner so sehr für Erfolg und Entwicklung des Clubs wie Mathias Gidsel“, schwärmte Hanning. Er sei froh, dass mit der Unterschrift unter dem neuen Vertrag „alle Spekulationen beendet“ seien. Zuletzt hatte es unter anderem Gerüchte über ein starkes Interesse von Ligarivale SG Flensburg-Handewitt an dem Rückraum-Superstar gegeben, der seit 2022 für die Füchse spielt und dort unumstrittener Leistungsträger ist. Dort gewann er vor zwei Jahren die European League, doch der Meistertitel blieb ihm bislang verwehrt. Auch in dieser Saison stehen die Chancen nicht sehr gut, weil sich bislang wieder ein Team in noch besserer Form präsentiert: Die MT Melsungen thront nach nur zwei Niederlagen in 18 Spielen an der Spitze der Bundesliga. Die Füchse, die acht Minuspunkte auf dem Konto haben, müssen auf Ausrutscher des hessischen Clubs hoffen. Womöglich gibt es an diesem Wochenende die Chance, dichter an den Tabellenführer heranzurücken. Die Melsunger müssen ein schweres Auswärtsspiel bei Titelverteidiger SC Magdeburg bestreiten, die Füchse sind auswärts bei Lemgo Lippe klarer Favorit.

Im ersten Spiel nach der langen Pause wegen der Weltmeisterschaft zeigte der Hauptstadtclub gleich eine klasse Leistung. Beim völlig ungefährdeten 31:19-Sieg gegen Aufsteiger VfL Potsdam dominierte der Tabellenzweite von Beginn an. Der Kooperationspartner hatte nicht den Hauch einer Chance – sehr zur Freude von Stefan Kretzschmar. Der Sportvorstand hatte vor dem Anpfiff gewarnt: „Nach einem Turnier sind die ersten Spiele nicht ganz leicht. Erst recht, wenn du mit einem Heimspiel gegen Potsdam startest, wo du vermeintlich in Gefahr gerätst, sie zu unterschätzen.“ Doch das taten die Berliner nicht.
Die dänischen Weltmeister Gidsel und Lasse Andersson machten genau da weiter, wo sie bei der WM aufgehört hatten und waren mit je sieben Toren die treffsichersten Schützen. Dabei waren die beiden erst zwei Tage zuvor zurück nach Berlin gekommen. Auch der italienische Neuzugang und WM-Teilnehmer Leo Prantner konnte sich gegen Potsdam in die Torschützenliste eintragen. Mit Prantner wird Hanning demnächst auch in der Nationalmannschaft Italiens zusammenarbeiten. Wegen des Abenteuers hätte er schon „den einen oder anderen Glückwunsch erhalten“, verriet Hanning. „Und ganz viele sagen, dass es typisch für mich wäre, so etwas Verrücktes zu machen.“ Doch das hat einen Bob Hanning noch nie abgehalten.