Der Countdown zur Bundestagswahl läuft. Plakate sind geklebt, Programme vorgestellt. Umfragen beschreiben die Ausgangslage und lassen viele Fragen offen. Die Stimmung ist angespannt bis gereizt.
Der Auftakt ist gemacht für die nächsten Wochen. Es wird ein kurzer, knackiger und intensiver Wahlkampf. Was sich schon bei der Vertrauensfrage vor Weihnachten angedeutet hat, hat gleich zum Jahresauftakt nach kurzer Verschnaufpause seine Fortsetzung gefunden.
Die Ausgangslage scheint so klar, dass in der Union bereits eine heftige Debatte darüber geführt wird, mit wem man künftig regieren will. Aus dem Süden tönt CSU-Chef Markus Söder: Auf keinen Fall mit den Grünen, „da bin ich ganz felsenfest klar“. Aus dem Norden meldet sich Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther: „Die Grünen gehören selbstverständlich dazu“, wenn es um die Frage möglicher Koalitionen geht, und er ergänzt: „Bei uns im Land funktioniert Schwarz-Grün reibungslos.“
Und weil dabei offensichtlich keiner über die FDP redet, mahnt deren Parteichef Christian Lindner in Richtung Union, sie möge bitte ihre Strategie überdenken und sich klar für Schwarz-Gelb aussprechen. Er bedauere, „dass die Union ihre Offenheit für Koalitionen mit SPD und Grünen wie eine Monstranz vor sich herträgt“.
Und Friedrich Merz, den viele angesichts der Umfragen bereits sicher als den neuen Bundeskanzler sehen? Er sagt zwar nicht grundsätzlich Nein zu einer Koalition mit den Grünen, will aber nicht mit deren Spitzenkandidat Robert Habeck. Merz sagt auch nicht grundsätzlich Nein zur SPD, aber die sei in den letzten Jahren zu sehr nach links gerückt.
Wähler noch wenig begeistert
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hatte schon bei früherer Gelegenheit vor einer „dümmlichen Ausschließeritis“ gewarnt. Und jetzt warnt er aktuell vor Entwicklungen wie im Nachbarland: „Österreich ist ein Beispiel, wie es nicht laufen darf! Wenn die Parteien der Mitte nicht bündnisfähig sind und Kompromisse als Teufelszeug abtun, hilft das den Radikalen.“
Nach Stand der lange Zeit relativ stabilen Umfragen wäre Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün möglich. Die rechnerisch mögliche Option einer Koalition mit der AfD haben Merz und die CDU mehrfach kategorisch ausgeschlossen.
In den Augen von Wählerinnen und Wählern gibt es zwar in der Koalitionsfrage Präferenzen, aber keine der Varianten schafft es, eine mehrheitliche Zustimmung zu finden.
Die größte Sympathie wurde noch für eine Neuauflage der „GroKo“, also CDU/CSU und SPD gemessen. Aber selbst die kommt gerade mal auf eine Zustimmung von etwas über vierzig Prozent – die Hälfte der Befragten (YouGov, kurz vor Weihnachten) lehnt eine neuerliche GroKo ab. Die Begeisterung gegenüber anderen möglichen Koalitionen sind entsprechend noch deutlich bescheidener: Schwarz-Grün und Schwarz-Gelb (was derzeit rechnerisch nicht möglich wäre) bleiben klar unter der 30-Prozent-Marke bei den Wunschoptionen.
Legt man alle diese Umfragewerte nebeneinander und bezieht noch ins Kalkül mit ein, dass sich die Tendenzen der Meinungsbilder nicht erst mit dem Bruch der Ampel (November 2024) so entwickelt haben, sondern sich schon seit geraumer Zeit ziemlich konstant darstellen, ergibt sich kaum ein Bild, das nach ausgeprägter Wechselstimmung aussieht. Was überwiegt, ist ein tiefer Frust über die inzwischen zerbrochene Ampel.
Dabei gibt es ausreichend viele Wünsche und Forderungen an die Politik, was sich alles ändern müsste und wo ein politischer Wechsel nötig wäre.
Sorgenkind Nummer eins ist, angesichts der Situation wenig verwunderlich, die wirtschaftliche Lage, was durch Hiobsbotschaften zum Jahresende über Stellenabbau und Schließungen noch befördert wurde. Generell blicken die Menschen sorgenvoll ins neue Jahr. Fast zwei Drittel der Bundesbürger (63 Prozent) sind mit Ängsten und Sorgen ins neue Jahr gegangen. Das sagt zumindest eine GfK-Studie für die Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen (Stiftung von British American Tobacco). Demnach stehen neben den Kriegen und dem Klimawandel ungelöste nationale Probleme, wirtschaftliche Unsicherheiten, Inflation und Migrationsfragen im Fokus.
Die Antworten der Parteien darauf– laut ihren Wahlprogrammen – setzen zum Teil deutlich unterschiedliche Akzente. Durch die Bank werden Entlastungen angekündigt (mal mehr für die Wirtschaft, mal mehr für Steuerzahler oder für Menschen, die ohnehin knapp dran sind). Die Finanzierung ist umstritten. Die Union setzt auf Einnahmen durch eine wieder anspringende Wirtschaft und Etat-Kürzungen (im Sozialbereich), SPD und Grüne würden eher sehr Vermögende stärker zur Kasse bitten – und durch Lockerung der Schuldenbremse Investitionen voranbringen. Damit ist, knapp zusammengefasst, ein Wahlkampf skizziert, in dem klassisch bekannte Konzepte vorgetragen werden. Was manchen Beobachter veranlasst, von einem „Retro-Wahlkampf“ zu reden. Etwas grobschlächtig formuliert: hier Kürzungen bei Bürgergeld und Flüchtlingen, da Erhöhung des Mindestlohns. Ähnlich ist es bei den bekannten Konzepten zur Sicherung der Rente oder in anderen Themenfeldern.
Einflussversuche von allen Seiten
Dass es einen Wahlkampf um die bekannten Hauptprobleme, aber unter ganz neuen Vorzeichen geben wird, hat wohl am eindringlichsten über den Jahreswechsel hinweg die Diskussion um die Einmischung von Elon Musk und seine explizite Wahlempfehlung für die AfD gezeigt. Der Wahlkampf ist wie keiner vorher in globale Entwicklungen eingebettet. Schon bei den Landtagswahlen im letzten Herbst war manchen Menschen der Krieg in der Ukraine beziehungsweise die Diskussion um das Verhältnis zu Russland wichtiger als landespolitische Erwägungen. Und nun wird auch der offizielle Amtswechsel in den USA (20. Januar) nicht ohne Auswirkungen bleiben.
Neben die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien der Mitte ist längst eine Auseinandersetzung mit politischen Kräften getreten, die erklärtermaßen die demokratischen Institutionen infrage stellen. Nicht umsonst sind noch Regeln beschlossen worden, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Bestand und seiner Arbeit absichern sollen.
Der Tonfall ist noch rauer geworden. Und offensichtlich haben manche ausdrückliches Interesse daran. Sicherlich kann man über die Sinnhaftigkeit von Fairnessabkommen zwischen Parteien im Wahlkampf diskutieren. Erst recht, wenn Fälle wie die umstrittene Äußerung des CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter, die Bundeskanzler Scholz als „Falschbehauptung“ entschieden zurückgewiesen hat, für Ärger sorgen. AfD und BSW sind diesem „Fairnessabkommen“ aber gar nicht erst beigetreten, was auch ein klares Signal setzt.
Was jetzt kommt, sind ein paar Wochen „Turbo-Wahlkampf“, der Wahlkämpfenden und Wahlberechtigten einiges abverlangen wird.