Die „Zeitenwende“ ist auch im Saarland konkrete Realität, sichtbar nicht nur an den Bundeswehr-Standorten, sondern auch in der Rüstungsindustrie. Deren Bedeutung als Wirtschaftsfaktor im Strukturwandel hat Diskussionen ausgelöst.
Als der viel zitierte Aufruf von Boris Pistorius mit dem Schlagwort „kriegstüchtig“ in der Welt war, mussten viele erst einmal erschrocken schlucken. Es war ein Begriff der „Zeitenwende“, den viele in der Diskussion mit „verteidigungstüchtig“ oder „abwehrbereit“ und „wehrhaft“ etwas abzumildern versuchten. Der Mentalitätswechsel, den der Minister mit seinem bewusst drastisch gewählten Wort anstoßen wollte, ist seither aber sichtbar im Gang.
Sichtbar in zunächst einem 100-Milliarden-Sondervermögen, unlängst ergänzt durch ein weiteres, vielfach höheres Finanzpaket.
Sichtbar auch an Stellenausschreibungen von Rüstungsunternehmen, an Diskussionen um Wehrpflicht oder am „Operationsplan Deutschland“. Die Idee hinter diesem „OPLAN DEU“: Verteidigung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Folglich geht es um eine Vernetzung von Bundeswehr, Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutz und Industrie, um im Spannungs- und Verteidigungsfall gemeinsam handlungsfähig zu sein. Es geht um den Schutz kritischer Infrastruktur, um Heimat- und Zivilschutz, um die Sicherstellung funktionierender Logistik, und vieles mehr, auch unter dem Aspekt, dass Deutschland im Fall der Fälle seine Aufgaben als logistische Drehscheibe erfüllen können soll. Wie diese zivil-militärische Zusammenarbeit im Saarland funktionieren soll, ist in „Saarex 2025“ erprobt worden, einem gemeinsamen Planspiel von Landeskommando und Innenministerium.
Das Landeskommando selbst hat sich im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr zum April neu aufgestellt. Die Heimatschutzkräfte werden nun in der neu aufgestellten Heimatschutzdivision gebündelt. An anderer Stelle schlagen sich eben auch die Veränderungen in der Rüstungsindustrie nieder.
Die ist besonders stark im Nordsaarland im Kreis St. Wendel ansässig. Ende vergangenen Jahres hatte beispielsweise Diehl Defence in Nonnweiler seine Ausbaupläne und millionenschweren Investitionen vorgestellt. KNDS Deutschland Maintenance (mit Tochterfirma DSL) in Freisen oder HIL (Heeresinstandsetzung und Logistik) in St. Wendel sind ebenfalls im Ausbau.
Waren diese Werke schon früher ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber, hat die Bedeutung in den letzten Jahren noch zugenommen. Seitdem hat die Politik beschlossen, angesichts der aktuellen Entwicklungen, massiv Geld in die Hand zu nehmen und in die Ausrüstung der Streitkräfte zu investieren. Wenig verwunderlich deshalb, dass hierzulande auch eine Diskussion darüber entbrannt ist, welche Bedeutung die Rüstungsindustrie für den Wirtschaftsstandort im Zuge der Transformation entwickeln könnte.
„Wir investieren auf viele Jahre“
Dabei hat die aktuelle Diskussion einen längeren Vorlauf, dessen Ausgangspunkt sich auch einigermaßen genau datieren lässt: Vor gut einem halben Jahr, im vergangenen September, war Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Gast im Saarland. Es war weitaus mehr als ein Höflichkeitsbesuch bei der Truppe. Im Gepäck hatte der Minister die Ankündigung von Investitionen in Höhe von 800 Millionen in die Bundeswehrstandorte im Saarland. Unter anderem soll HIL in St. Wendel mit 375 Millionen zum „Kompetenzzentrum Kette“ umgebaut und das Munitionsdepot in Perl mit 230 Millionen Investition erweitert werden. „Wir investieren, und zwar nachhaltig auf viele Jahre“, beteuerte der Minister.
Und das war noch nicht alles. Gleichzeitig unterstrich der Minister „die immer wichtiger werdende Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie“. Dazu gehören eben Diehl Defence, das auf Lenkflugkörper und Waffen spezialisierte Unternehmen, und KNDS Deutschland Maintenance, das künftig in Freisen den Nachfolger für den Transportpanzer Fuchs bauen wird: den Patria 6x6 des finnischen Rüstungskonzerns Patria.
Der St. Wendeler Landrat Udo Recktenwald unterstreicht immer wieder: „Die Wehrindustrie in unserem Landkreis ist eine wichtige Stütze unserer heimischen Wirtschaft und ein Baustein der deutschen und europäischen Sicherheitsstruktur.“ Darauf sei man im Kreis „stolz“, die Wehrindustrie habe nicht nur eine lange Tradition, sondern auch „ein ungebrochen hohes Ansehen“.
Warum also sollte das nur – was die Rüstungsindustrie betrifft – für den Landkreis St. Wendel gelten? Zumal seit den beschriebenen Entwicklungen, die noch vor dem Hintergrund des 100-Milliarden-Sondervermögens der Zeitenwende in Gang gekommen waren, es inzwischen die Ausgangslage gibt, wonach für Investitionen in Verteidigung die strengen Vorgaben der Schuldenbremse praktisch aufgehoben wurden.
Der Gedanke ist naheliegend, im Transformationsprozess, mit den bekannten Problemen insbesondere im Automobilbereich, Möglichkeiten der Rüstungsindustrie für den Standort Saarland ins Auge zu nehmen.
Die Freien Wähler hatten schon mal im vergangenen November die Idee formuliert, Rüstungsindustrie auf dem ehemaligen Ford-Gelände in Saarlouis anzusiedeln. Hintergrund damals war die Wahl in den USA, wonach aus Sicht der Freien Wähler zu befürchten war, dass Europa mehr Verantwortung für Verteidigung übernehmen müsse.
In den letzten Wochen hat nach der Entscheidung des Bundestags die Diskussion richtig Fahrt aufgenommen, nachdem CDU-Landeschef Stephan Toscani gegenüber der Nachrichtenagentur dpa gefordert hatte, „das Potenzial in der Verteidigungsindustrie im Saarland stärker zu entwickeln und zu heben“, und der Landesregierung vorgeworfen hatte, das Thema „nicht richtig anzufassen und das Potenzial zu unterschätzen“.
Das Saarland müsse seine Standortvorteile wie eine erfahrene Industriearbeiterschaft ebenso in die Waagschale werfen wie die „hohe Kompetenz für das gesamte Feld der Cybersicherheit“ und damit „der Gefahrenabwehr“ im digitalen Raum. Die SPD wiederum konterte mit dem Hinweis, dass unter SPD-Regierungen in Bund und Land „massiv in den Ausbau der Rüstungsindustrie im Saarland investiert worden ist“. Ansonsten, so SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon, sei es nicht ratsam, „Herrn Putin zu sagen, wo genau investiert wird“.
Rüstungsindustrie ist in der Tat zwar ein Wirtschaftsfaktor und sicher einer, der aufgrund der geopolitischen Entwicklungen an Bedeutung weiter gewinnen wird, aber eben doch kein Industriezweig, der mit anderen Ansiedlungen vergleichbar ist. Das wiederum ist dann eine der Gemeinsamkeiten mit dem Operationsplan Deutschland: Ein Teil ist öffentlich – ein anderer aber aus nachvollziehbaren Gründen eben nicht. Dass sich etwas entwickelt mit konkreten Auswirkungen, ist nicht zuletzt an den Stellenausschreibungen der Unternehmen abzulesen.
So positiv die einen diese Entwicklung auch aus wirtschaftlicher Perspektive sehen, so unwohl ist anderen bei der Vorstellung, dass Perspektiven ausgerechnet in der Rüstungsindustrie liegen sollen. Der „Saarlandtrend“ (im Auftrag des Saarländischen Rundfunks) hat Anfang April dieses zwiespältige Gefühl bestätigt: 47 Prozent der Befragten sehen den Ausbau von Rüstungsindustrie skeptisch, 46 Prozent begrüßen das. Als Motiv für die Skeptik dürfte vor allem dahinter stehen, was Anlass und Hintergrund für die massiven Investitionen in diesem Bereich sind.