Deutschland und Frankreich nähern sich in Fragen der Energiepolitik an. Grenzüberschreitende Projekte in Sachen Wasserstoff, Stromnnetze oder Energiespeicherung nehmen Gestalt an, wie sich beim Nachhaltigkeitsdialog an der Europäischen Akademie Otzenhausen gezeigt hat.
Es scheint wieder mehr Schub in die deutsch-französischen Energie-Beziehungen zu kommen. Die beiden europäischen Schwergewichte haben im Mai dieses Jahres ihre grundlegenden jahrelangen Meinungsverschiedenheiten in der Atomfrage beigelegt: Deutschland hat die Kernenergie als CO2-arme Technologie im Rahmen der europäischen Gesetzgebung anerkannt und damit den Weg für Frankreich freigemacht, grünen Wasserstoff auf Basis von Atomstrom zu erzeugen. Die technologische Neutralität gilt als ein Meilenstein, um die europäischen Klimaziele bis 2040 überhaupt erreichen zu können. Damit erhält auch eines der wohl ehrgeizigsten Transformationsprojekte im Saarland neuen Schub: die schrittweise Umstellung auf eine CO2-arme Stahlproduktion mittels grünem Wasserstoff in den nächsten Jahren. Denn ohne grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland dürften die Transformation und die Entwicklung des Saarlandes zu einem Wasserstoff-Hub nur schwerlich gelingen.
„Eine Portion Optimismus“
Dass das Thema Energie angesichts der geopolitischen Lage und der klimapolitischen Verwerfungen weltweit auf der Agenda beider Länder ganz weit oben steht, verwundert kaum. So hat der deutsch-französische Ministerrat im August in Toulon mehrere Handlungsfelder in der Zusammenarbeit definiert, eines davon Energie mit der Entwicklung von grünem Wasserstoff, mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren, der Modernisierung der grenzüberschreitenden Stromnetze und der Koordination im Bereich Energiespeicherung. Allesamt Themen, die trotz innenpolitischer Krise in Frankreich und konjunktureller Schwierigkeiten in Deutschland dringenden Handlungsbedarf haben und Lösungen verlangen.
Da passte der deutsch-französische Nachhaltigkeitsdialog in der Europäischen Akademie im nordsaarländischen Otzenhausen gut in den Plan. Wissenschaftler und Praktiker beider Länder diskutierten zwei Tage lang in unterschiedlichen Formaten Herausforderungen und Lösungsansätze in den Bereichen Biodiversität, Energieversorgung sowie Raum und Architektur. Veranstalter waren die Asko Europa-Stiftung, die Deutsch-Französische Hochschule, die Akademie Otzenhausen, der Umwelt-Campus Birkenfeld und die Hochschule Trier.
Insbesondere das Thema Energie gelte in der deutsch-französischen Zusammenarbeit als einer der sensibelsten Bereiche, erklärte am Rande der Veranstaltung der Finanz- und Wissenschaftsminister des Saarlandes, Jakob von Weizsäcker, im Gespräch mit FORUM. Das liege schon an der jeweils unterschiedlichen Ausrichtung der Energiepolitik beider Länder wie Atomenergie in Frankreich und Erneuerbare in Deutschland, aber auch an den ordnungspolitischen Systemen wie zentrale und föderale Strukturen. Umso wichtiger sei es jetzt, nach Beilegung der Meinungsverschiedenheiten in punkto Technologie-Neutralität gemeinsame Energieprojekte zügig und nachhaltig umzusetzen, vor allem mit der nötigen Portion Optimismus und Zukunftsfreude.
Der französische Generalkonsul im Saarland, Jérôme Spinoza, betonte, dass das Duo Saarland-Lothringen bei den Themen Dekarbonisierung, Wasserstoff, Speicherung und grenzüberschreitende Stromnetze über jede Menge Entwicklungspotenzial verfüge und beispielhaft vorangehen könne. „Wir müssen es nur gemeinsam wollen.“ Der nächste deutsch-französische Nachhaltigkeitsdialog mit dem Schwerpunkt Wasser und Meer ist übrigens 2027 in Monaco geplant.
Während der kürzlich unterzeichnete Liefervertrag zwischen dem französischen Energieunternehmen Verso Energy in Carling und der saarländischen SHS-Gruppe Stahl-Holding-Saar über jährlich 6.000 Tonnen grünen Wasserstoff ab 2029 als wichtiger Meilenstein für die CO2-arme Stahlproduktion gefeiert wurde, folgte wenig später ein herber Rückschlag: Der geplante Bau eines Elektrolyseurs für Wasserstoff in Völklingen-Fenne wird trotz einer Förderung von rund 100 Millionen Euro seitens Bund und Land auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Gründe seien das Fehlen eines Ankerkunden und die im Vergleich zu Frankreich zu hohen Industriestrompreise in Deutschland. Der deutsche Strommix stößt im Vergleich zum französischen zu viel CO2 aus, denn in Frankreich stammt der Strom zu rund 80 Prozent aus Atomkraftwerken, also CO2-frei. Deutschland müsste folglich den Ausbau der Erneuerbaren für die Produktion von grünem Wasserstoff immens forcieren, was im Gegenzug die Kosten weiter in die Höhe treibt. Rund 8.000 Tonnen Wasserstoff hätten im Endausbau in Fenne jährlich produziert werden sollen.
„Wir müssen es nur wollen“
Umso wichtiger sei es jetzt, den Anschluss des Saarlandes über das grenzüberschreitende Wasserstoffnetz mosaHYc (moselle-saar-hydrogen-conversion) an die großen Wasserstoffleitungen entlang der französischen Rhône am Mittelmeer, an Ludwigshafen mit dem Rhein-Main-Raum und/oder an die Beneluxländer hinzubekommen, so von Weizsäcker. Schließlich brauche die saarländische Stahlindustrie im Endausbau bis zu 120.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Die beiden Netzbetreiber Creos Deutschland Wasserstoff GmbH und NaTran Deutschland SA (früher GRTgaz SA) errichten im Saarland und in Moselle ein etwa 100 Kilometer langes Wasserstoff-Transportnetz als Grundstein für den strategischen Ausbau der regionalen Wasserstoffwirtschaft.
Der Anschluss dieses Netzes an die großen Wasserstoff-Pipelines und der Ausbau des Saarlandes zu einem Wasserstoff-Hub seien demnach Grundvoraussetzung für das Gelingen der Transformation beim grünen Stahl. Eine Wette auf die Zukunft. Die nicht verwendeten Fördergelder bleiben übrigens bis auf weitere Verwendung im Transformationsfonds. Ob der grün erzeugte Stahl in Zukunft allerdings wettbewerbsfähig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Die US-amerikanische Zollpolitik sowie Stahl-Billigimporte aus Fernost erschweren schon heute massiv die Wettbewerbsfähigkeit deutschen Stahls auf den Weltmärkten. Laut Angaben des „Handelsblatts“ plant die EU-Kommission mit Zöllen auf chinesische Billig-Stahlimporte ohne grünes Zertifikat gegenzusteuern. Aber auch die Deutsche Bahn im Besitz des Bundes könnte mit gutem Beispiel vorangehen und Schienen aus grünem Stahl verwenden. Schließlich produziert im lothringischen Hayange eine Saarstahl-Tochter bereits seit Langem Schienen aus CO2-armer Produktion und die Bahn zählt bisher noch nicht zu den Kunden.
Ein anderes, nicht weniger wichtiges Thema ist die Modernisierung und der Ausbau der grenzüberschreitenden Stromnetze. Während es entlang der deutsch-französischen Grenze im Hoch- und Höchstspannungsbereich schon lange Verbindungen zwischen beiden Ländern gibt – im Saarland ist das Drehkreuz Vigy-Uchtelfangen –, sind die Projekte auf den unteren Spannungsebenen (Mittel- und Niederspannung) bisher aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht umgesetzt worden. Das 2018 geplante grenzüberschreitende Projekt Smart Grid auf Verteilnetzebene im Rahmen der Smart Border Initiative kam nie zur Umsetzung. Es sollte gemeinschaftlich die Energienutzung im Saarland und in Lothringen optimieren und als Modell in der EU fungieren, so der Wille der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Einfach ein Beweis, dass der europäische Energiemarkt funktionieren kann.
Aber als der Bau des sogenannten Interkonnektors zwischen dem Saarland und Lothringen zu konkret wurde, erfolgte der Abpfiff aus den Zentralen in Paris und Essen wegen angeblich mangelnder Wirtschaftlichkeit. Die Ideen zur Umsetzung und technischen Machbarkeit waren vor sieben Jahren bereits weit fortgeschritten.
Jetzt soll es nach dem Willen der Politik neue Überlegungen und einen neuen Anlauf bei diesem Thema geben. So sieht es zumindest die in Toulon verabschiedete energiepolitische Agenda vor. Doch zunächst braucht Frankreich wohl erst einmal eine handlungsfähige Regierung.