Noch nie in den letzten über 20 Jahren war es parteiintern so ruhig in der SPD wie seit dem Wahlsieg von Olaf Scholz im September 2021. Obendrein hat man ein neues Topthema für zukünftige Wahlkämpfe gefunden.
Saskia Esken ist für ihre Verhältnisse richtig gut drauf. Geradezu fröhlich betritt die SPD-Vorsitzende in rosa Jackett über schwarzer Bluse das Atrium ihrer Parteizentrale. Im Willy-Brandt-Haus an der Kreuzberger Stresemannstraße hat man sich am Sonntagmittag zur Geburtstagsparty eingefunden. Auftakt zum Jubiläum 160 Jahre SPD.
Anders als vor zehn Jahren zum 150. Geburtstag haben die Genossen diesmal tatsächlich was zu feiern. Mit dem Urnengang in Bremen hat man endlich wieder eine Landtagswahl gewonnen. Der letzte Wahlerfolg lag schon mehr als ein Jahr zurück: als Anke Rehlinger die Genossen im Saarland zur absoluten Mehrheit im Landtag und damit Alleinregierung führte.
Inzwischen herrscht erstaunliche Ruhe in der früher so streitfreudigen Partei. Und die Vorsitzende Saskia Esken hat nach fast vier Jahren an der Spitze nun endlich auch ihr Thema gefunden, das zu einem Wahlkampfschlager taugt: die Vier-Tage-Woche. Beim Auftakt zur großen SPD-Geburtstagsparty wird Esken nicht müde, das immer wieder zu betonen. Wobei die Initialzündung zur Debatte über die Vier-Tage-Woche eigentlich von der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, kommt. Doch vor ihrem Job beim DGB war Fahimi kurzeitig auch mal Generalssekretärin der SPD. Nun ziehen also SPD und DGB nach Jahren der Entfremdung wieder mal an einem Strang und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat das Thema für ihre Partei mitentdeckt.
SPD auf Kurs zur Kooperation
Der Ko-Vorsitzende Lars Klingbeil hält sich nicht nur diesbezüglich dezent zurück. Klingbeil versucht, im Hintergrund zu bleiben, wenn es geht. Trotz SPD-Geburtstagsparty muss er sich dann doch wieder in die Niederungen der Tagespolitik begeben: Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) hält die Republik in Atem, und Klingbeil hält im Namen der SPD zumindest am Terminplan für das sogenannte „Wärmepumpengesetz“ fest. Das soll demnach zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten. Gegenüber FORUM begründet Klingbeil das mit der Planungssicherheit für die Verbraucher, räumt aber gleichzeitig ein: Es gebe erheblichen Nachbesserungsbedarf beim GEG. Ein Seitenhieb vom SPD-Ko-Chef gegen den grünen Koalitionspartner in der Ampelregierung.
Die Nachbesserungen sollen nun im parlamentarischen Verfahren geschehen. Übrigens hatten sich alle SPD-Ministerpräsidenten gegen das „Wärmepumpengesetz“ in seiner jetzigen Form ausgesprochen und mit einer Blockade im Bundesrat gedroht. Was weniger einem Streit innerhalb der SPD als der Vorlage des grünen Wirtschaftsministers geschuldet ist.
Ruhe in der Partei heißt aber nicht, dass in zentralen Fragen nicht mehr diskutiert würde, aus inhaltlichen Gründen aber auch, weil etliche Themen naturgemäß zwischen den staatlichen Ebenen strittig sind – Parteibuch hin oder her. Beispielsweise die Aufnahme von Flüchtlingen und der Aufstand der Kommunen, die sich im Stich gelassen fühlen. Auch SPD-Bürgermeister und Landräte wollen hier mehr finanzielle Hilfen vom Bund. Ein schwieriger Spagat für die Sozialdemokraten auf Bundesebene. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) war angetreten mit der Ansage: Keine Obergrenzen für Flüchtlinge. Doch offensichtlich hat der Druck aus den Kommunen sie nun zum Umdenken veranlasst. Die Sozialdemokratin plädiert nun für sogenannte Aufnahmezentren vor den Grenztoren der EU. Das wiederum ruft den linken Flügel der SPD-Bundespartei auf den Plan, wo man von Abschiebezentren redet, die so nicht umgesetzt werden dürften. Vielleicht ein Grund, warum sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei den Feierlichkeiten zu 160 Jahren SPD nicht hat blicken lassen. Den Groll ihrer linken Parteigenossen konnte sie so umgehen.
Auch der ehemalige Superstar der SPD, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, ist ziemlich abgetaucht. Nachdem sich die Pandemie in eine Endemie entwickelt hat, fehlt Lauterbach sein großes Thema. Nun muss er sich mit Themen im Gesundheitssektor auseinandersetzen, an denen schon Vorgänger sich die Zähne ausgebissen haben, vor allem die Frage der Finanzierbarkeit des Gesundheitssektors. Das neue Zauberwort heißt: Entökonomisierung, also eine Absenkung oder Abschaffung der Fallpauschalen. Zudem soll es mehr Spezialisierung geben, was Experten ahnen lässt, dass es nicht ohne Klinikschließungen abgehen wird. In seiner Komplexität ist das alles andere als ein Winner-Thema.
Ähnlich geht es Parteifreundin Klara Geywitz. Die Bundesbauministerin wollte ursprünglich 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen lassen. Das hat sich als völlig illusorisch herausgestellt, was weniger an Geywitz liegt als den veränderten Rahmenbedingungen: Bauen ist richtig teuer, für viele so gut wie unerschwinglich geworden. Das liegt an (Umwelt-)Auflagen, Zinsen und massiven Teuerungen beim Material, vom Fachkräftemangel ganz zu schweigen. Nicht nur Wohnungsbau-Unternehmen lassen ihre genehmigten Bauanträge verfallen, da nicht mehr finanzierbar.
Da nimmt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius als neuer Star in den Reihen der sozialdemokratischen Ministerriege ganz anders aus, obwohl auch er mit alten Strukturen zu kämpfen hat. Die gelegentliche Kritik, dass er das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro nicht längst komplett ausgegeben hat, kann er verschmerzen. Aber mit Reformen insbesondere bei der Beschaffung scheint es ähnlich zu stehen wie im Gesundheitsbereich: Komplex gewachsene Strukturen und massiver Lobbyeinfluss sind für Reformer eine gefährliche Gemengelage.
Selbe Partei – unterschiedliche Bilanz
Im Gegensatz zu Pistorius taucht Hubertus Heil nicht täglich in den Medien auf. Dabei setzt der Arbeits- und Sozialminister das eine oder andere sozialdemokratische Kernthema um, wie den Mindestlohn von zwölf Euro. Erst wurde der Niedergang des deutschen Wirtschaftslebens heraufbeschworen, und als der Mindestlohn dann da war, standen die Menschen trotzdem weiter in Lohn und Brot. Längst befasst man sich im Bundesarbeitsministerium mit einer Gesetzesnovelle für einen Mindestlohn von 12,50 oder 13 Euro, um die Inflation auszugleichen. Doch offiziell hält sich Amtschef Hubertus Heil damit zurück. Für die Planungen gab es gegenüber FORUM keine Bestätigung. Frei nach dem Motto: Keine schlafenden Hunde wecken, einfach Tatsachen schaffen.
Der nächste große Brocken ist die Kindergrundsicherung. Hubertus Heil schaut voraus, auch die Vier-Tage-Woche hat er längst auf dem Schirm und hält sie auch für umsetzbar. Sollte sich Hubertus Heil auch da wieder in seiner unaufgeregten Art durchsetzen, wäre das für seine SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken ein weiteres Geschenk, wenn bis dahin der interne Frieden in der Partei hält. Im kommenden Jahr ist Bundesparteitag der SPD. Und Esken würde doch gern wiedergewählt werden.