Die deutsche Nationalmannschaft erlebt einen Umbruch, nachdem große Namen zurückgetreten sind. Auf Joshua Kimmich als neuen Kapitän wird es besonders ankommen.
Nach der Europameisterschaft haben sich die Strukturen innerhalb der deutschen Fußball-Nationalmannschaft grundlegend verändert. Mit dem Rücktritt von prominenten Spielern wie Toni Kroos, Thomas Müller, Manuel Neuer und Ilkay Gündogan ist eine Ära zu Ende gegangen. Diese vier Spieler, die über Jahre hinweg das Rückgrat der Mannschaft bildeten und wichtige Rollen sowohl auf als auch neben dem Platz ausfüllten, hinterlassen eine Lücke. Doch diese Veränderung könnte sich als Chance für das Team erweisen, wie Niklas Füllkrug betonte. „Es sind zwar nur vier, fünf Leute, die aktuell nicht da sind, aber uns haben ein paar ganz, ganz große Namen verlassen, die auch tragende Rollen in dieser Mannschaft auf und neben dem Platz hatten“, sagte Füllkrug. Diese Abgänge eröffnen nun jungen und ehrgeizigen Spielern die Möglichkeit, in der Mannschaft eine neue Rolle zu übernehmen und frischen Wind in die Nationalmannschaft zu bringen.
Mit dem Aufbau einer neuen Hierarchie, angeführt von Joshua Kimmich als neuem Kapitän, durchläuft das Team nun einen Umbruch, der für die Zukunft entscheidend sein könnte. Füllkrug zeigt sich zuversichtlich: „Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Es wird ein Prozess, um in die Rollen reinzuwachsen.“ Besonders betont Füllkrug die positive Stimmung innerhalb der Mannschaft und das wachsende Interesse der Fans. Nach einer schwierigen Phase, in der das Vertrauen in die Nationalmannschaft schwand, sind die Länderspiele wieder ausverkauft, und auch die TV-Quoten steigen. Dies führt Füllkrug auf die gelungene Zusammenstellung des Kaders zurück: „Ich glaube, durch die Kaderzusammenstellung, durch die Charakterzusammenstellung haben die Trainer es geschafft, die neue Energie natürlich zu erzeugen – und nicht künstlich“, so Füllkrug. Dabei geht es auch darum, die Nähe zu den Fans wiederherzustellen, ein Aspekt, der laut Füllkrug früher versucht wurde, indem mehr öffentliche Trainingseinheiten angeboten wurden.
Teamgeist und kollektive Stärke
Der Neuaufbau basiert aber nicht nur auf der personellen Erneuerung. Vielmehr setzt das Team auf eine kollektive Identität und den Stolz, das Nationaltrikot zu tragen. Füllkrug betont, dass die Spieler dies auf dem Platz ausstrahlen wollen: „Wir wollen als Einheit auftreten, als stolze Deutsche das Nationaltrikot tragen. Wir wollen, dass alle stolz sind, dass wir für sie auf dem Platz stehen.“ Diese neue Einheit verkörpert sich in der Figur des neuen Kapitäns Joshua Kimmich. Der 29-jährige Mittelfeldspieler, der inzwischen auf 91 Länderspiele zurückblicken kann, wurde von Bundestrainer Julian Nagelsmann zum neuen Anführer der Mannschaft ernannt. Kimmich tritt in die Fußstapfen von Ilkay Gündogan, der das Amt nach der Europameisterschaft niedergelegt hatte.
Für seinen ersten Auftritt als Kapitän wählte Kimmich bewusst ein Retro-Trikot, das an den Triumph der deutschen Mannschaft bei der Europameisterschaft 1996 erinnert. Dieses Trikot, das Kimmichs Stolz symbolisiert, nun zur Ahnengalerie der deutschen Kapitäne zu gehören, weckt Erinnerungen an eine Zeit, in der es nicht nur auf den Kapitän ankam, sondern auf den Teamgeist und die kollektive Stärke. Kimmich betonte auf der Pressekonferenz in Herzogenaurach, dass es sich bei seiner neuen Rolle nicht um eine „One-Man-Show“ handle, sondern dass die Nationalmannschaft möglichst viele Spieler brauche, „die sich verantwortlich für ein Ergebnis fühlen“. Diese Aussage mag zunächst selbstverständlich klingen, verdeutlicht aber Kimmichs Verständnis von Führung, die auf Teamarbeit und geteilte Verantwortung setzt.
Die Karriere von Joshua Kimmich im Nationalteam war bisher geprägt von Höhen und Tiefen. Seine Ambitionen und sein Ehrgeiz wurden nicht immer von den gewünschten Ergebnissen begleitet, was ihn in den Augen mancher Kritiker als gescheiterte Führungsfigur erscheinen ließ. Die Enttäuschungen der Turniere von 2021 und 2022 haben ihren Schatten auf Kimmichs Rolle in der Mannschaft geworfen. Doch es gibt auch eine andere Perspektive auf seine Entwicklung: Die eines Spielers, der sich immer verantwortlich fühlte und an der fehlenden Unterstützung seiner Mitspieler verzweifelte. Es wäre jedoch zu einfach, Kimmich als verkannten Helden darzustellen, der missverstanden wurde. Sicherlich war er mit seiner fordernden Art nicht immer Everybody’s Darling. Dennoch zeigte die Europameisterschaft in diesem Sommer, wie Kimmich in der Lage war, in einer neu strukturierten Mannschaft aufzublühen und seine beste Leistung im Nationaltrikot zu zeigen – und das nicht einmal auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld.
Besonders bemerkenswert war, dass Kimmich auch als Rechtsverteidiger eine überzeugende Leistung brachte, obwohl er selbst diese Position früher kritisch sah. Unter der Führung von Julian Nagelsmann, der klare Rollenbilder innerhalb der Mannschaft etablierte, fand Kimmich zu neuer Stärke. Er selbst sagte: „Man habe doch wohl gesehen, dass er auch als Rechtsverteidiger viel Spaß“ habe, so dass „wir das Thema vielleicht irgendwann begraben können.“
Entscheidende Karrierephase
Die Herausforderung für die deutsche Nationalmannschaft liegt nun darin, den Schwung und den Geist der Europameisterschaft in die kommenden Turniere zu übertragen. Dabei wird es weniger darauf ankommen, ob Kimmich ein charismatischer Anführer ist, sondern vielmehr, ob das Team und sein Trainer es schaffen, den kollektiven Geist zu bewahren und weiterzuentwickeln. Nagelsmann scheint dies verstanden zu haben und hat neben Kimmich ein Kapitänskollegium etabliert, dem Antonio Rüdiger und Kai Havertz als Stellvertreter angehören. Darüber hinaus wurde ein Mannschaftsrat gebildet, dem neben den drei Kapitänen auch Jonathan Tah, Pascal Groß, Niclas Füllkrug und Marc-André ter Stegen angehören. Diese Struktur soll sicherstellen, dass die Meinung der Mannschaft gebündelt an das Trainerteam weitergegeben wird. „Der Kapitän platziert die Meinung der Mannschaft beim Trainerteam. Joshua war der logische Nachfolger. Er geht mit seiner Mentalität voran“, so Nagelsmann.
Eine weitere wichtige Entscheidung betraf die Position des Torhüters. Nach einer langen Wartezeit bekommt nun endlich ter Stegen das Vertrauen des Bundestrainers:. „Marc ist jetzt verdientermaßen die Nummer eins“, sagte Nagelsmann und unterstrich damit die Leistung und den Status von ter Stegen im Team.
Joshua Kimmich, der mit 29 Jahren in einer entscheidenden Phase seiner Karriere steht, wird als Kapitän nicht nur die Erwartungen an sich selbst, sondern auch die Erwartungen der Mannschaft und der Fans tragen. Er ist sich bewusst, dass seine Geschichte eng mit dem Erfolg oder Misserfolg der Mannschaft verbunden sein wird. Sein Ziel ist es, „möglichst viele Spieler mitzunehmen“, weil er weiß, dass nur ein starkes Team die Chance hat, die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. „Ich, meine Generation, wir haben nichts mehr zu verschenken“, sagte Kimmich und machte damit deutlich, dass er und seine Mitspieler alles daransetzen werden, endlich einen Titel mit dem Nationalteam zu gewinnen – um den Makel der vergangenen Jahre loszuwerden.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die neu formierte Mannschaft und ihr Kapitän es schaffen, den Geist der Europameisterschaft aufrechtzuerhalten und in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Die Verantwortung, die auf Kimmich lastet, ist groß, doch er scheint bereit, diese Herausforderung anzunehmen und die Mannschaft mit seiner Mentalität und seinem Führungsstil zu prägen. Letztendlich wird sich zeigen, ob Kimmich in der Lage ist, das Team zu einem neuen Höhepunkt zu führen und sich selbst als Kapitän in die Geschichtsbücher des deutschen Fußballs einzutragen.