Die deutsche Öffentlichkeit wurde für ein Thema sensibilisiert, das einfach jeden betrifft. Die Industriechemikalien-Stoffgruppe der PFAS hat sich inzwischen weltweit ausgebreitet und ist dadurch zu einer womöglich ewigen Bedrohung geworden – für die Gesundheit und die Umwelt.
Im 20. Jahrhundert war die Bezeichnung „Jahrhundertgift“ meist nur in Zusammenhang mit Dioxinen gebraucht worden, den chlorierten organischen Verbindungen. Doch inzwischen wird der Begriff immer häufiger für eine Gruppe von chemischen Stoffen verwendet, die längst auf der ganzen Welt verbreitet sind, die bei fast jedem Menschen im Blutkreislauf nachgewiesen werden können und deren Auswirkungen für Umwelt und Gesundheit noch kaum abzuschätzen sind. 2023 schätzt die EU-Kommission die Zahl der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) auf mehr als 10.000, die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher.
Bei der Beschäftigung mit der chemischen Stoffgruppe der PFAS kann ein Leistungskurs im Fachbereich Chemie nicht schaden. Um den geneigten Leser nicht gleich abzuschrecken, wird daher versucht, die PFAS in möglichst einfach verständlicher Form vorzustellen.
Zahl der PFAS auf 10.000 geschätzt
Das Entscheidende bei dieser Gruppe von Industriechemikalien ist, dass es sich dabei um organische Verbindungen verschiedener Kettenlängen handelt, bei denen die am Kohlenstoff gebundenen Wasserstoffatome vollständig (perfluoriert) oder auch nur teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind.
Dadurch erhalten diese Industriechemikalien, die in der Natur nicht vorkommen, eine enorme Stabilität, da Fluor und Kohlenstoff eine sehr feste Bindung miteinander einzugehen pflegen, die in der Umwelt kaum aufgebrochen werden kann.
Aufgrund ihrer besonderen technischen Eigenschaften wie Öl-, Fett-, Schmutz- und Wasserabweisung sowie hoher Temperatur- und Chemikalien-Beständigkeit werden sie bei zahlreichen industriellen Prozessen und in vielen gängigen Verbraucherprodukten eingesetzt.
Weder Bakterien noch Wasser, Luft oder Licht können die PFAS-Moleküle vollständig zersetzen. Das kann allenfalls bei einer Hochtemperaturbehandlung in spezialisierten Abfallverbrennungsanlagen gelingen, was allerdings bei dem riesigen Umfang des Problems keine wirklich praktikable Lösung sein kann. Deshalb gelten die PFAS ökologisch als nahezu unabbaubar und wurden daher „Forever Chemicals“ getauft –
Chemikalien für die Ewigkeit.
Allein schon die Dauerhaftigkeit der PFAS mit unabsehbaren negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit hat Anfang 2020 in der EU zu einer Fünf-Länder-Initiative geführt. Dabei haben sich die Staaten Deutschland, Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden für ein generelles Verbot aller 10.000 PFAS nach einer mehrjährigen Übergangsfrist eingesetzt oder wollen zumindest erreichen, dass der künftige Einsatz von PFAS auf absolut notwendige Bereiche beschränkt werden soll. Anfang Februar 2023 haben die zuständigen Stellen der EU mit den Beratungen über diesen Antrag begonnen. Die EU-Chemikalienagentur ECHA in Helsinki wird ein etwaiges Verbot prüfen müssen. Frühestens in den Jahren 2025 oder 2026 dürfte den EU-Mitgliedsstaaten dann ein Verbotsantrag zur Abstimmung vorgelegt werden können.
Wie nicht anders zu erwarten, sind längst mehr als 100 Lobbyverbände und Firmen aus dem Umfeld der hiesigen chemischen Industrie Sturm gegen diese Verbots-Initiative gelaufen. Die Konzerne Bayer und BASF drängen auf Ausnahmen, etwa für die Herstellung von Batterien, Elektrofahrzeugen oder Halbleitern. Der Verband der Chemischen Industrie hält ein generelles Verbot für völlig übertrieben. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat sich davon bislang jedoch nicht einschüchtern lassen: „Es ist kein Problem, vor dem nur die deutsche Chemieindustrie stehen würde, die natürlich ein wichtiger Arbeitsplätze-Faktor und auch ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor ist. Aber wir reden über einen Prozess, der auf wissenschaftlicher Basis über einen mittleren Zeitraum stattfindet, um menschliche Gesundheit und natürliche Lebensgrundlagen zu schützen.“
In Deutschland mehr als 1.500 verschmutzte Orte
Breite öffentliche Rückendeckung dürfte die Umweltministerin durch einen Ende Februar ausgestrahlten ARD-Beitrag erhalten haben. Mittels Recherchen des „Forever Pollution Projects“ unter Beteiligung zahlreicher renommierter europäischer Journalisten-Verbände wurde die deutschlandweite Belastung durch PFAS aufgezeigt. Demnach konnten mehr als 1.500 mit PFAS verschmutzte Orte identifiziert werden, darunter 300 als stark gesundheitsgefährdend eingestufte Hotspots.
Dabei wurde die Vermutung geäußert, dass Böden und Grundwasser vor allem rund um die hiesigen Standorte der Textil-, Papier- und Plastikindustrie sowie der Metallveredelung und im Umfeld von Flughäfen, Deponien, Kläranlagen und Militärgeländen durch PFAS belastet sein müssten. Zudem gebe es in Deutschland gleich sechs Fabriken, die solche Stoffe herstellen, in Bad Wimpfen, Frankfurt, Leverkusen und im bayerischen Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen an der Alz – das sind mehr als anderswo in Europa. Eine systematische Überprüfung von Böden und Wasser auf eine etwaige PFAS-Belastung durch die zuständigen Behörden habe es bislang in Deutschland nicht gegeben, von einer umfassenden Sanierung ganz zu schweigen. Diese sei laut Steffi Lemke auch „fast nicht möglich“. Die ganze Gruppe der PFAS müsse daher, so Lemke, grundsätzlich überprüft und die gefährlichen Stoffe verboten werden, „weil wir es uns nicht leisten können, sie weiter in diesem Umfang in die Umwelt zu entlassen – mit teilweise unbekannten Folgen, aber der Sicherheit, dass sie uns Jahrzehnte oder Jahrhunderte begleiten werden.“
PFAS werden übrigens schon seit den späten 1940er- beziehungsweise frühen 1950er-Jahren hergestellt. Schon in den 1960er-Jahren konnte in Tierversuchen eine Lebervergrößerung infolge von PFAS aufgezeigt werden. Wenig später konnten die Stoffe im Blut von Mitarbeitern des Chemieriesen DuPont nachgewiesen werden.
Ein prophylaktischer Schutz gegen die Aufnahme von PFAS ist nicht mehr möglich. Dafür sind die Stoffe inzwischen zu weit verbreitet. Beispielsweise in Verbraucherprodukten wie Papier, Toilettenpapier (wie aus einer aktuellen US-Studie der University of Florida hervorgeht), Backpapier, Textilien (vor allem in Outdoor-Klamotten), Teppichen, Lebensmittelverpackungen, antihaft-beschichteten Pfannen, Elektronikgeräten, Kosmetika, Einwegkochgeschirr, Imprägniersprays oder Ski-Wachsen. Zudem werden PFAS in der industriellen Produktion zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Reinigungs- und Pflanzenschutzmitteln, in der Fahrzeug- und Bauindustrie, im Energiesektor, in Farben, Kälte- und Treibmitteln oder in Feuerlöschschäumen eingesetzt.
PFAS können über verschiedenste Pfade in die Umwelt eingetragen werden und vor allem über die Nahrungskette auch in den menschlichen Organismus gelangen. PFAS können heute praktisch überall aufgefunden werden, im Boden, in Sedimenten, im Wasser, in der Luft, in Pflanzen, in Tieren, im menschlichen Blut und sogar in der Muttermilch. Durch die Abluft von Industriebetrieben können PFAS in umliegende Böden und Gewässer eingelagert oder über die Atmosphäre weit fortgetragen werden. Aus der Luft können die Stoffe durch Niederschläge wieder ins Erdreich oder in Oberflächengewässer gelangen. Auch in Innenräumen können PFAS durch Verflüchtigungen von Teppichen oder Heimtextilien freigesetzt werden. In häuslichem oder gewerblichem Abwasser sind sie ebenso vorhanden und können in den Kläranlagen nur mit kostspieligen Mitteln wie Aktivkohlefiltern – die danach auch gleich entsorgt werden müssen – eliminiert werden. Vieles bleibt im Klärschlamm erhalten, der daher kaum mehr als Dünger verwendet werden kann.
Aufnahme über Lebensmittel und Luft
Mit PFAS kontaminierte Böden und Gewässer zu sanieren ist praktisch so gut wie unmöglich, da laut Bundesumweltamt PFAS in geringen Konzentrationen inzwischen in allen Böden der Republik vorhanden sind. Das Abladen von verschmutzten Böden auf Deponien etwa würde schnell deren Kapazitäten überschreiten. Eine Verpflichtung zur Messung von PFAS im Trinkwasser liegt in Deutschland laut Bundesumweltamt bislang noch nicht vor. Auch für das Grundwasser wurden deutschland- und europaweit noch keine Schwellenwerte bezüglich einer PFAS-Belastung festgelegt. Menschen nehmen PFAS größtenteils durch Lebensmittel und über die Luft auf. Laut der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA sind Fisch, Eier und Früchte derzeit die Haupt-PFAS-Quellen im Nahrungsbereich. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat vor allem Fleisch und Leber vom Wildschwein als PFAS-Risiko-Food deklariert. Dennoch gibt es bislang europaweit keine festgelegten Höchstgehalte für PFAS-Konzentrationen in Lebensmitteln.
Was mögliche Gesundheitsgefahren angeht, so stehen PFAS schon seit Langem laut dem oben genannten ARD-Beitrag unter Verdacht, „Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen, zur Fettleibigkeit und zu Immunschwächen bei Kindern beizutragen.“ Die „FAZ“ verwies auf eine mögliche Schädigung des Hormon- und Immunsystems ab einer gewissen Konzentration der Stoffe. Auch negative Auswirkungen auf Leber, Niere, Schilddrüse und den Cholesterin-Spiegel werden immer wieder genannt. Fast bei jedem Menschen sind PFAS im Blut vorhanden, wie aus einer US-Studie mit einem 95-prozentigen diesbezüglichen Nachweis abgelesen werden konnte. Laut Umweltbundesamt gibt es eine Reihe von Gesundheitsgefahren, die mit PFAS in einem direkten Zusammenhang zu stehen scheinen. So konnten bei Kindern mit höheren Konzentrationen verschiedener PFAS im Blutserum „eine geringere Bildung von Antikörpern nach üblichen Impfungen beobachtet“ werden. Auch höhere Cholesterinspiegel und niedrigere Geburtsgewichte sowie die Beeinflussung eines Leberenzyms konnten registriert werden. Aus Tierversuchen lasse sich die Vermutung ableiten, dass viele PFAS die Leber schädigen, den Fettstoffwechsel, den Schilddrüsenhormonspiegel und das Immunsystem beeinträchtigen könnten. Ein erhöhtes Krebsrisiko lasse sich bislang nicht sicher nachweisen. Eine vergleichsweise hohe Exposition gegenüber PFAS hätten gestillte Kinder über die Muttermilch.