Wo Kulturen aufeinanderprallen, entstehen oft Konflikte. Falko Liecke (CDU), Sozialstadtrat in Berlin-Neukölln, über Parallelgesellschaften, konfrontative Religionsbekundungen und warum sich hier die Zukunft Deutschlands entscheidet.

Herr Liecke, was raten Sie einer Lehrerin, der beim Elternabend ein Handschlag zur Begrüßung durch einen muslimischen Vater verwehrt wird, weil sie eine Frau ist, die sich andererseits vom selben Mann im Befehlston sagen lassen muss: „Du bringen meine Sohn Deutsch bei!"?
Lehrerinnen, die sich so einem Dominanzverhalten ausgesetzt sehen, sind in einem ganz schwierigen Spannungsfeld. Einerseits wollen sie immer verhindern, dass sich so ein Konflikt auf ihre Schülerinnen und Schüler auswirkt. Andererseits dürfen sie so etwas aus meiner Sicht nicht auf sich beruhen lassen. Es ist ja gerade das Problem, dass dieses Verhalten schleichend normalisiert wird, wenn man es nicht offen thematisiert und bekämpft. Ich selbst habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Einbürgerungsfeiern werden in Neukölln recht festlich arrangiert. Wir „machen Deutsche", sage ich immer. Dabei wurde mir des Öfteren von Frauen der Handschlag verweigert. Das war schon irritierend. An der Einbürgerung ändert das aber im Ergebnis nichts. Auch wenn ich für mich feststellen muss, dass das kurz zuvor versicherte Bekenntnis zu unserem Grundgesetz, zu Gleichberechtigung und offener Gesellschaft offenbar nicht allzu viel wert war.
Kommt man gegen den Einfluss der Eltern und des Islamunterrichts in der Moschee überhaupt an?
Natürlich. Müssen wir. Aber nicht so wie bisher. Auf Initiative meiner Fraktion hat das Neuköllner Kommunalparlament – übrigens gegen die Stimmen von Grünen und Linken – die Landesregierung dazu aufgefordert, eine salafistische Moschee zu verbieten. Das ist sieben Jahre her. Passiert ist seitdem nichts. Diese Moschee macht weiter Korankurse für Kinder und Jugendliche. Auf Facebook werden weiter solche Dinge verbreitet: „Das Kopftuch schützt im Winter vor der Kälte, im Sommer vor der Hitze und im Jenseits vor dem Höllenfeuer". Wir müssen als Mehrheitsgesellschaft einfach härter, schneller und entschlossener gegen so etwas vorgehen. Wir machen uns lächerlich, wenn wir jahrelang nur zusehen und dann die Folgen beklagen.
2021 wurde in Neukölln eine „Anlauf- und Registerstelle konfrontative Religionsbekundungen" eingerichtet. Sie engagiert sich seit Jahren in der Prävention von konfrontativen Religionsbekundungen in Schulen. Was kam heraus?
Die Registerstelle konnte Ende 2021 erst mal nur als Vorprojekt starten. Ich musste gegen einige Gegenwehr aus dem zuständigen Bundesministerium um jeden Euro kämpfen, und dann war das Haushaltsjahr fast schon vorbei. Aber die Ergebnisse dieses kurzen Projektes lassen sich sehen. Erstmals gab es einen strukturierten Blick in die Neuköllner Schulen. Von den zehn befragten Schulen hat nur eine kein Problem mit konfrontativer Religionsbekundung. Bei der Hälfte ragen die Konflikte tief in den Alltag hinein. Hier muss man schon infrage stellen, ob ein regulärer Schulunterricht überhaupt noch möglich ist.
Werden Radikalisierungstendenzen mitgedacht und frühzeitig systematisch erfasst?
Nicht alles, was vermeintlich religiös motiviert daherkommt, ist auch gleich eine Radikalisierung. Oftmals ist es auch alterstypisches Aufbegehren und typisch jugendliches Verhalten. Aber man darf das nicht verharmlosen und muss in jedem Einzelfall genau hinsehen. Nur so haben wir eine Chance, Radikalisierung schon im Ansatz zu begegnen. Und zwar immer im Sinne des Jugendlichen, der gerade auf die vollkommen falsche Bahn kommt. Das sehen leider nicht alle so. Gegner des Projektes wollen das Phänomen gar nicht im Detail erfassen, lehnen den Begriff komplett ab. Aus meiner Sicht ein fataler Fehler, den wir schon viel zu lange gemacht haben.
Wie zufrieden sind Sie mit der Registerstelle?
Der Verein Devi hat in extrem kurzer Zeit wirklich tolle Arbeit geleistet. Man kann förmlich mit Händen greifen, wie wichtig es wäre, hier mehr Zeit, Geld und Mühe zu investieren. Darum will ich auch unbedingt, dass hier echte Strukturen aufgebaut werden. Mindestens für Neukölln, am besten für ganz Berlin.
Zunächst wurde die Registerstelle nur für ein paar Monate finanziert. Wie wird es weitergehen?
Die rot-grün-rote Landesregierung muss sich ehrlich machen und sie verlässlich finanzieren. Aktuell sprechen wir über ganz viele Einzelfälle, die aber nicht systematisch ausgewertet werden. Wir wissen schlicht nicht, wie groß das Problem wirklich ist. Daran sollte wirklich jeder ein Interesse haben, und das erwarte ich auch vom Senat. Die Bildungssenatorin war Leiterin einer Grundschule genau gegenüber der oben angesprochenen Moschee. Sie muss wissen, wo die Probleme sind, und darf sich jetzt nicht von weiten Teilen der Koalition einlullen lassen.
Man kann es auch so sehen: Wenn sich die einen Jungs auf dem Schulhof den anderen überlegen fühlen, ist das normales Konkurrenzverhalten. „So wie wir damals in der Schule auf die ‚doofen‘ Protestanten herabgeguckt haben", erzählte ein katholisch geprägter Kollege. Oder verharmlosen wir damit die Lage?
Natürlich war so ein Verhalten auch früher nicht in Ordnung. Und natürlich steckt oft auch alterstypisches Gehabe dahinter. Es ist aber eine vollkommen andere Qualität, was wir auf den Schulhöfen sehen. Wenn einem nicht muslimischen Kind von Mitschülern das Trinken in der Hofpause verboten wird, weil gerade Ramadan ist und es dann auch nichts trinken solle, werden einfach Grenzen überschritten. Wer das nicht sehen will, verharmlost das Problem in der Tat.
Besuchen Schulklassen auch mal eine Kirche, Moschee und Synagoge zusammen?
Das ist ganz schwierig und hängt sehr stark von den einzelnen Schülern und ihren Lehrern ab. Da wo es klappt, sind das wirklich gute Erfolge. Aber gleichzeitig weigern sich Schüler, am Gedenken für den in Frankreich brutal ermordeten Samuel Paty teilzunehmen, „weil er es ja verdient" hätte. Und jahrelang unauffällige Jugendliche drehen vollkommen frei, wenn eine Regenbogenflagge an „ihrem" Jugendclub gehisst wird.
Sport hat ja eine sehr integrative Wirkung. Spielen die Jugendlichen zusammen Fußball, zum Beispiel Team Muslime gegen Team Christen, oder was wird unternommen?

In Neukölln gibt es tolle Projekte, die genau das machen. Und sehr oft klappt es. Als Jugendstadtrat war es mir sehr wichtig, genau solche Angebote zu unterstützen. Aber Sport ist nicht Allheilmittel. Es ist noch nicht lange her, dass ein jüdisches Kind beim Fußball auf dem Bolzplatz brutal gefoult wurde. Die Aussage des Mitspielers: „Weil du Jude bist". Das macht etwas mit dem Kind und lässt sehr tief in die Familie und die Community des Täters blicken.
Ihr Buch „Brennpunkt Deutschland" mit dem Schwerpunkt politischer Islam ist gerade erschienen. Worum geht es darin, und was möchten Sie damit erreichen?
Neukölln steht für alles, was in Deutschland nicht funktioniert. Parallelgesellschaften, Verwahrlosung, Ideologie vor Verstand und tödliche Gewalt auf den Straßen. Aber Neukölln steht auch für das Beste in diesem Land. Unermüdlicher Einsatz für die Schwächsten, kleine Erfolge, die deutschlandweit Schule machen, 330.000 Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können und dennoch ein Schicksal teilen. Neukölln ist das Labor Deutschlands. Was wir hier erreichen, bereichert uns alle. Darum entscheidet sich hier unser aller Zukunft.