Die Saar-CDU ist in der Opposition angekommen. Kritik an der Regierung wird mit eigenen Gegenvorschlägen untermauert. Parteireformen als Folge der Wahlniederlage, inhaltliche und personelle Neuaufstellungen stehen aber noch am Anfang.
Die Geschichte der CDU Saar im Jahr 2022 lässt sich an drei Stationen festmachen: Die bittere, letztlich aber nicht unerwartete Wahlniederlage Ende März, der Führungswechsel Ende Mai und jetzt im Herbst erste Profilierungsversuche in der Oppositionsrolle.
Eine echte Mitmachpartei soll es werden, hat Parteichef Stephan Toscani schon in der ersten Phase der Aufarbeitungsversuche nach der Landtagswahl versprochen. Dazu entwickelte die Partei auch neue Gesprächsformate.
Die Themen, die in den letzten Wochen aber fast alle anderen Diskussionen überlagern, sind für die Partei wenig erfreulich. Das Dilemma zeigte sich gleich zu Beginn eines kleinen Parteitags, bei dem die CDU einen Gegenentwurf zu den Regierungsplänen eines Transformationsfonds beschließen wollte – als Zeichen dafür, wie sie die neue Rolle interpretieren und wieder Profil gewinnen will.
Parteichef Toscani räumte zwei Themen zu Beginn der Versammlung mit wenigen Sätzen ab, wissend, dass sie die Partei noch eine ganze Weile beschäftigen werden: der Rücktritt des Vorsitzenden der Jungen Union (JU) nach schweren Vorwürfen sexueller Belästigung und schwere Vorwürfe gegenüber der Handwerkskammer (HWK). Im Mittelpunkt deren Präsident Bernd Wegner, zugleich langjähriges Mitglied der CDU-Landtagsfraktion. Beide zeitgleichen Vorgänge werfen Bemühungen, die Partei in Ruhe neu aufzubauen, zurück.
Mit dem Rücktritt des JU-Vorsitzenden ist zwar eine schnelle Konsequenz gezogen worden. Das dahinterstehende Problem dürfte damit kaum erledigt sein. Das machen Aussagen von JUlerinnen, die ihren Namen nachvollziehbarerweise nicht gern abgedruckt sehen wollen, über einige Vorgänge deutlich. „Es gehört quasi zum guten Ton, dass man dir beim Deutschlandtag mal an den Hintern greift oder dich nach deiner Zimmernummer fragt. Die Mädels, die sich darauf einlassen, sind am Sonntag dann meist das Gespräch.“ Zwei JUlerinnen berichten von konkreten Fällen, in denen es einmal zum körperlichen Angriff eines betrunkenen Mitglieds gegen eine junge Frau gekommen sein soll oder von einem Vorfall, bei dem K.o.-Tropfen im Spiel gewesen sein sollen. Als sie die Vorfälle ansprechen wollten, sei ihnen „der Mund verboten worden“, man habe versucht, das alles „mit einem Mantel des Schweigens“ zuzudecken. Fazit einer der beiden: „Den – versteh’ mich nicht falsch, absolut berechtigten – Amtsrücktritt von Frederic Becker mit der angeblichen ‚Null-Toleranz-Politik‘ der JU zu begründen, ist ein Riesenwitz.“
Solche Schilderungen und Diskussionen können schnell das alte Bild einer Partei bestätigen, die sich mit dem Frauenthema immer schon schwergetan hat.
Die Vorwürfe gegenüber der Handwerkskammer, ausgelöst durch einen Prüfbericht des Landesrechnungshofs, wiegen – auf einer anderen Ebene – ebenfalls ziemlich schwer. In einer Reihe von Fällen sei in der Vergangenheit „gegen fundamentale Grundsätze des Haushalts- und Satzungsrechts verstoßen“ worden. Immerhin habe die Handwerkskammer „zahlreiche Empfehlungen des Rechnungshofs bereits umgesetzt beziehungsweise entsprechende Maßnahmen angekündigt“, heißt es in dem Bericht. Unabhängig davon bleiben aber Ermittlungen gegen HWK-Präsident Wegner. Wenn bei manchem böse Erinnerungen an Vorgänge um den Landessportverband (LSVS) wach werden, kann man es ihm nicht verdenken.
Hinter solchen Schlagzeilen geraten andere Personalia der Partei im Zuge einer inhaltlichen und personellen Neuaufstellung in den Hintergrund. Kurz nach der verlorenen Wahl war nicht nur ein Wechsel an der Landesparteispitze notwendig. Auch zwei Kreisverbände waren kurzzeitig ohne Vorsitz, weil deren Vorsitzende sich nach der Wahlniederlage beruflich anderweitig orientierten. In St. Wendel steht jetzt Landrat Udo Recktenwald an der Spitze des Kreisverbandes, den Kreisverband Homburg führt jetzt die Landtagsabgeordnete Jutta Schmidt-Lang.
Langer Weg zur echten „Mitmachpartei“
Für kurzfristige Schlagzeilen sorgte die Wahl einer stellvertretenden Generalsekretärin. Die Saar-CDU folgte damit dem Weg, den Friedrich Merz für die Bundespartei mit der neuen Position einer Vize-Generalsekretärin eingeschlagen hatte. Ein Stück weit Symbolik. Was der Generalsekretär der Saar-CDU, Frank Wagner, mit dem Hinweis einordnete, dass der Vizeposten eine eigenständige Funktion in der Partei sei. Die Besetzung mit der Studentin Carolin Mathieu sollte jedenfalls ein Signal setzen.
Für die personelle Erneuerung der CDU ist das allenfalls ein Anfang. Die regierungsgewöhnte Partei steht vor einer ganzen Reihe von ungewohnten Herausforderungen. Mit dem Gegenkonzept zum Transformationsfonds hat die Partei zwar ein Zeichen gesetzt, wie sie Oppositionsarbeit verstehen will, nämlich mit kritischer Begleitung der Regierungsarbeit und eigenen Gegenvorschlägen. In der Substanz steht aber noch eine ganze Menge Arbeit vor der Partei. Wie im Bund hat auch im Land die lange Regierungszeit zu einer inhaltlichen Auszehrung geführt.
Wofür die Saar-CDU programmatisch steht, war nicht mehr erkennbar. Sich diese Substanz neu zu erarbeiten, ist ein Prozess, der sich nicht nur auf die Erarbeitung eines neuen Programms, was für sich schon eine große Herausforderung ist, beschränkt ist.
Es gibt mehr Klärungsbedarf als nur die Positionierung in einzelnen politischen Themenfeldern oder bei symbolischen Fragen wie etwa bei der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Die Frage ist, was die Partei jenseits aufgeschriebener Programmatik nach dem Verlust der Regierungsmacht attraktiv macht. Mit diesem Klärungsprozess steht die Landespartei nicht alleine da, in dem steckt die Bundespartei genauso tief nach der Ära Merkel.
Das Zauberwort für die Saar-CDU heißt „Mitmachpartei“. Schon nach der Wahl wurden zur Aufarbeitung der Niederlage neue Formate in Regionalkonferenzen ausprobiert. Wichtigstes Ziel war, die Parteibasis wieder stärker zu Wort kommen zu lassen. Die fühlte sich schon länger ziemlich ungehört. Im Wahlkampf wurde das dann besonders deutlich. Die alleine auf den Spitzenkandidaten personalisiert zugeschnittene Kampagne fand alles andere als helle Begeisterung.
Jetzt soll es die Parteibasis selbst richten. In einer Serie sogenannter Thementische sollen inhaltliche Schwerpunkte herausgearbeitet werden, die schließlich in einem neuen Programm zusammenfließen sollen. Parteichef Toscani zeigte sich überzeugt: „Wir sind wieder im Kommen.“
Der erste große Test dafür sind die Kommunalwahlen 2024. Die werden aber erfahrungsgemäß weniger durch ausformulierte Programmatik sondern vielmehr durch die Performance der Partei bestimmt.