Wo gibt es so eine Chance noch einmal? Eine Schauspieltruppe samt Regisseur und Produzent bekommt ein komplettes Theater als Spielstätte zugesprochen samt Kneipe, Brauerei und Werkstatt. Fast wie im Märchen seit einem Jahr aber Realität für das Pfefferberg Theater.
Da kann einer schon hin und weg sein. So wie Jan Zimmermann, Regisseur und Theatermann der ersten Stunde. "Wir sind im September letzten Jahres hier in der Schönhauser 176 eingezogen und fangen quasi von Null an", sagt er mit leuchtenden Augen. Nicht ganz von Null, denn zusammen mit Schauspielerin Carsta Zimmermann und Produktionsleiter Roger Jahnke hatte Zimmermann auf dem Grundstück nebenan vor 22 Jahren das legendäre Hexenkessel Hoftheater gegründet. Im Hof eines besetzten Hauses.
Doch der Reihe nach. Berlins jüngstes Theater steht auf dem Pfefferberg. Einst beliebtes Ausflugsziel, mit Schankwirtschaft und Restauration. Joseph Pfeffer (daher der Name) eröffnete 1893 hier ein "Bierzapfungslokal der neuen bayerischen Bier-Brauerei" mit Schankhalle und Kühllager. Die große Inflation in den 1920er-Jahren überlebte die Brauerei nicht, die Anlage verfiel, Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg taten ein Übriges. Zu DDR-Zeiten zogen vorübergehend Druckerei und Verlag des "Neuen Deutschland" ein. Dann folgte der Leerstand.Nach der Wende gründeten Anwohner den Verein "Pfefferwerk" und richteten einige Gebäude für kulturelle und soziale Zwecke her. Die gute Lage und der schattige Biergarten machten den Ort wieder bekannt. Der große Aufschwung kam 2007. Der Verband für integrative Angebote (VIA), ein finanzkräftiger sozialer Träger, übernahm die Anlage, stellte zwischen 2011 und 2013 die stark verfallene Bausubstanz denkmalgerecht wieder her, um Werkstätten für Menschen mit Behinderungen unterzubringen. Teil dieses Projekts wurde die VIA Schankhalle Pfefferberg gGmbH, zu der ein Restaurant mit Brauerei und eben das Theater gehören.
Wie das zusammenpasst? "Bestens", sagt Produzent Roger Jahnke. "Wir haben bei uns Leute aus den VIA-Werkstätten, einer Schneiderei, einer Tischlerei und einer Malerwerkstatt eingebunden. Was braucht ein Theater mehr?" Die Theatertruppe hat ihre Bühne, VIA kann Arbeitskräfte beschäftigen, und in der Schankhalle fließt das selbst gebraute Bier. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Vom Hexenkessel auf den HexenbERG
1994 hatte die Theatertruppe sich zum "Hexenkessel-Theater" zusammengefunden, führte im Hinterhof des besetzten Hauses nebenan erste Stücke auf. 1998 mussten die Theaterleute die Spielstätte räumen, traten eine Zeitlang in der Kulturbrauerei auf und zogen 1999 schließlich in den Monbijou-Park. Damals vereinigten sich die Hexenkessler mit der Theaterkompanie "item". Sie bespielten zunächst mobile Bühnen und seit 2008 das hölzerne Amphitheater. Im Winter führten sie Märchen in einer rustikalen Hütte auf dem Dach eines ehemaligen Hochbunkers auf.
2015 hat sich die Hexenkesseltruppe vom Monbijou-Theater und der Märchenhütte getrennt und ist in das Pfefferberg-Theater gezogen. "Wir sind an unsere Ursprünge zurückgekehrt: von der Schönhauser 177 zur Schönhauser 176 ist das nicht wunderbar?", begeistert sich Schauspielerin Carsta Zimmermann. "Und wir rücken näher an unser Publikum heran."
Theater als Lebensgefühl
Das nämlich ist vom "Hexenkessel" ein ganz spezielles Theatererlebnis gewohnt mit Tempo, Übermut beim Spielen, genau richtig gesetzten Pointen, gekonnten Slapstick-Nummern. Im "Hamlet", dem zweiten Stück in dieser Saison, sind beispielsweise drei Schauspieler in elf Rollen auf der Bühne. "Das ist Wahnsinn", sagt Vlad Chiriac, der schon lange zur Company gehört. "Aber uns verbindet die Lust an der Situationskomik, am Improvisieren. Das zieht auch Zuschauer an, die sonst nichts mit Theater am Hut haben."
Und so beginnt auch die aktuelle Produktion "Der Geizige" mit wildem Hin und Her. Ein Schauspieler befestigt Preisschilder an jedem Dekorationsstück auf der Bühne, selbst an dem altersschwachen Gummibaum. Zwei sitzen wie Puppen auf dem Sofa und lassen sich auch wie Puppen biegen und bewegen. Türen knallen, Musik spielt, Licht flackert und dann wird es mit einem Mal taghell Auftritt: Harpagnon, der Geizige, der wieder einmal seine Geldkassette sucht. Natürlich verdächtigt er seinen Diener, ihn bestohlen zu haben.
Künstler brauchen noch Nebenjobs
Molière zeigt mit seinem Stück, wie Habsucht und Geiz alle menschlichen Bande zerstören. Das ist zeitlos. Harpagnon treibt seine eigene Familie auseinander. Seine Tochter will er mit einem reichen älteren Bauern und den Sohn mit einer vermögenden Witwe verehelichen. Beide machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Sohn liebt Marianne, die Harpagnon eigentlich für sich haben will. Und die Tochter liebt den Verwalter (Vlad Chiriac), der scheinbar auf Harpagnons Seite steht, ihn aber zum Schluss raffiniert hintergeht. Dazwischen versucht andauernd eine Heiratsvermittlerin (Carsta Zimmermann) ihr Glück, kommt aber auf keinen grünen Zweig. Am Ende ist der Schatz weg, und die Liebespaare sind vereint.Geiz ist hier gar nicht "geil" im Gegenteil. Es geht nicht um kluge Sparsamkeit, sondern um Habsucht. Molière soll sich die Figur bei einem berühmten Pariser Geizkragen abgeschaut haben, der trotz seiner enormen Barschaft in Lumpen ging und in jeder Kneipe sein Essen zusammenschnorrte. Jan Zimmermann hat die Dialoge verknappt und behutsam aktualisiert. Christoph Bangerter, der den Harpagnon gibt, ähnelt im Laufe des Abends immer mehr der Figur "Gollum" aus der "Herr der Ringe"-Trilogie. Etwa wenn er mit seiner leeren Geldkassette unter dem Arm das Publikum verdächtigt, seinen "Schatz" geraubt zu haben.
"Wir haben dieses Stück ganz bewusst auf den Spielplan gesetzt, denn natürlich stehen wir am Anfang, und uns fehlt es hinten und vorne an Geld", sagt Roger Jahnke augenzwinkernd. Noch kann keiner der Akteure vom Theater leben alle brauchen Nebenjobs bei Film und Fernsehen.
Einnahmen erhofft sich die Truppe vom Märchenberg in den nächsten Wochen stehen 18 der beliebtesten Grimmschen Märchen auf dem Programm. Gespielt wird am frühen Abend für Kinder, um 20.30 Uhr folgt eine Fassung für Erwachsene. "Die Märchen transportieren uralte Mythen, sie sind im kollektiven Gedächtnis tief verankert: der Wald, die böse Hexe, die verfolgte Unschuld, Wolf, Teufel und die gute Fee" erklärt Jan Zimmermann.
Als der "Geizige" nach gut 90 Minuten vorbei ist und alle Vorhänge absolviert sind, tritt Chiriac noch einmal auf mit der Geldkassette. Und erzählt eine brillant schräge Geschichte von einer antiken Drehbühne, die Sophokles mit Kopernikus gebaut habe, um in Amsterdam ein griechisches Restaurant mit Speisen auf einer Drehscheibe zu eröffnen. Das Lokal machte Pleite, Sophokles ging zurück nach Griechenland, verlor unterwegs die Drehbühne, sie blieb in Berlin liegen und gehört jetzt dem Pfefferberg-Theater, Damit sie aber richtig ins Rollen kommt, braucht die Truppe Geld, Spenden also, und bitte keine Münzen, die sind so schwer. Tatsächlich knistern nachher jede Menge Scheine in der roten Kassette und Vlad grinst. Der "Schatz" ist wieder da.
Volker Thomas
Weitere Informationen zum Spielplan:
www.pfefferberg-theater.de