Vor 130 Jahren erfand der polnische Augenarzt Ludwig Lejzer Zamenhof eine neue Sprache: Esperanto. Sie sollte einfach und für jeden schnell zu erlernen sein. Zamenhofs Ziel war mehr Völkerverständigung. Bis heute hilft die Plansprache dabei, dass Menschen aus aller Welt miteinander kommunizieren können.
Das Beste aus allen Sprachen: Das ist Esperanto, mittlerweile von Menschen in über 120 Ländern weltweit gesprochen. Einfach in der Struktur, aber stark im Ausdruck, mit Wörtern nach dem Baukastenprinzip und minimaler Grammatik. Eine Sprache wie ein Spiel. Oder wie es auf Esperanto heißt: Lingvo kiel ludo. Vor 130 Jahren, am 26. Juli 1887, veröffentlichte der polnische Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof unter dem Pseudonym Doktoro Esperanto ("Doktor Hoffender") die bis heute gültigen Grundlagen der Plansprache. Die erste Broschüre war 40 DIN-A5-Seiten dick und enthielt 16 Grammatikregeln und rund 900 Wortstämme. Zamenhof formulierte darin die Ziele seiner Sprache: "Jeder, der diese Sprache erlernt hat, muss sie sofort zum Verkehr mit anderen Nationalitäten benutzen können, ganz abgesehen davon, inwiefern diese Sprache von der Welt anerkannt wird, ob sie viele, wenige oder gar keine Anhänger hat." Zamenhof sah darin "ein Mittel, die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden". Später entwickelte sich daraus die humanistische Lehre Homaranismo ("Lehre der Angehörigen der Menschheit"). Diese ging von der Gleichwertigkeit der Sprachen und Religionen aus Zamenhof formulierte es so: "Jede Bestrebung einer Person, ihre Sprache oder Religion zu der anderer Menschen zu erheben, wenn es nicht wirklich nötig ist, betrachte ich als Barbarei."
Der Arzt und Spracherfinder starb 1917. Aus Anlass seines 100. Todestages hat die Unesco 2017 deshalb auf Initiative Polens zum internationalen Zamenhof-Jahr erklärt. All das klingt erst einmal ziemlich theoretisch. Doch Esperanto lebt! In ganz Deutschland finden regelmäßig Sprachkurse und andere Treffen statt. Weltweit erscheinen jedes Jahr rund 120 neue Bücher auf Esperanto, es gibt Musik und Radiosender, die in dieser Sprache senden. Im Computermuseum in Berlin werden sogar Führungen auf Esperanto angeboten. Auf Wikipedia ist die Sprache ebenfalls gut vertreten: Über 200.000 Artikel sind dort auf Esperanto verfasst und damit in etwa so viele wie auf Dänisch oder Bulgarisch. Das ist auch insofern bemerkenswert, als dass Esperanto in keinem Land der Welt Amtssprache ist.
"Es ist eine lebendige Sprache", meint auch Ulrich Brandenburg. Der ehemalige deutsche Botschafter in Russland und Portugal ist einer der prominentesten lebenden Esperanto-Muttersprachler, von denen es weltweit nur etwa 1.000 gibt. Seit Juni 2017 ist er zudem "Prezidanto", also Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes (DEB) mit Sitz in Berlin-Kreuzberg. In der Katzbachstraße befindet sich im "Esperanto-Laden" die Bundesgeschäftsstelle des DEB. Dort schätzt man die Zahl der Esperanto-Sprecher in Deutschland auf rund 30.000, weltweit sollen es zwischen 100.000 und zwei Millionen sein je nachdem, welches Niveau der Sprachbeherrschung und -nutzung man als Kriterium heranzieht.
Gerade bei den Jüngeren habe das Interesse an Esperanto in den vergangenen Jahren wieder zugenommen, sagt Verbandssprecher Louis von Wunsch-Rolshoven. Allerdings würden nur die wenigsten in den DEB eintreten und sich als Mitglied aktiv beteiligen. "Aber das ist ja ein Problem, das auch andere Organisationen haben", sagt von Wunsch-Rolshoven. Die Zahl der Mitglieder bleibt daher bei etwa 1.000, in der Deutschen Esperanto-Jugend sind es rund 130. Auch wenn sich die Geschäftsstelle des DEB in Berlin befindet: Das Herz der deutschen Esperanto-Bewegung schlägt im Harz. Dort, in Herzberg, gibt es die erste Esperanto-Stadt des Landes.
Seit 2006 trägt Herzberg am Harz auf Beschluss des Stadtrates offiziell diesen Namenszusatz. Das Deutsche Esperanto-Zentrum in der Stadt ist Begegnungsstätte und Schulungsort gleichermaßen; unter anderem findet dort die Ausbildung für Kursleiter und Esperanto-Lehrer statt. Das ganze Jahr über gibt es zahlreiche kulturelle Veranstaltungen mit Esperanto-Bezug. Einige Restaurants im Ort bieten sogar Speisekarten auf Esperanto an. Vor der Wiedervereinigung war Esperanto vor allem in der DDR aber auch in anderen sozialistischen Ländern beliebt. Auch weil diese Staaten Englisch als Weltsprache nicht akzeptieren wollten und daher Esperanto als Gegengewicht unterstützten. In Ungarn ist es bis heute ein offizielles Schulfach und kann sogar für die Abiturprüfung gewählt werden. "Für viele Menschen im Ostblock war Esperanto eine Möglichkeit, Kontakte ins Ausland zu knüpfen, auch über den Eisernen Vorhang hinweg", sagt Ulrich Brandenburg. Völkerverständigung, wie sie schon Spracherfinder Zamenhof propagiert hatte. "Die Idee eines friedlich vereinten Europas haben Esperantisten schon sehr lange gelebt", so Brandenburg.
International durchgesetzt hat sich zwar Englisch als Weltsprache Nummer eins. In einigen Bereichen aber hat Esperanto laut Muttersprachler Ulrich Brandenburg Vorzüge, die Englisch nie einholen kann: Gerade weil es nirgendwo offizielle Amtssprache ist und es deshalb so wenige Muttersprachler gibt, herrschen bei der Kommunikation gleiche Voraussetzungen für alle. Bei anderen Sprachen schaffen es hingegen selbst mit jahrelangem Unterricht nur die Wenigsten ein Niveau zu erreichen, das dem eines Muttersprachlers in Ausdrucksvermögen, Idiomatik und grammatikalischer Korrektheit auch nur annähernd ebenbürtig ist.
Zudem sei Esperanto wegen der regelmäßigen Grammatik einfacher zu lernen. "Verglichen mit Englisch brauchen Sie vielleicht ein Viertel des Aufwands", sagt Brandenburg. In der Regel würden zwei oder drei Wochenendkurse ausreichen, um erste Gespräche führen zu können.
Durch ein System von rund 40 Wortbildungssilben lassen sich von einem Wortstamm viele Begriffe ableiten, ohne sie gesondert lernen zu müssen. Wer 500 Wortstämme beherrscht, kann damit bis zehn Mal so viele Wörter bilden. Und ein weiterer Vorteil der Kunstsprache ist: Wer schon in jungen Jahren Esperanto beherrscht, dem fällt es später leichter, auch andere Sprachen zu lernen. Der bekannte Fantasy-Autor J.R.R. Tolkien, Verfasser von "Der Herr der Ringe", war übrigens auch ein Anhänger von Esperanto. Im Jahr 1932 schrieb Tolkien: "Mein Rat an alle, die die Zeit oder Lust haben, sich mit der internationalen Sprachbewegung zu befassen, wäre dieser: Unterstützt Esperanto!"
Jan-Philip Häfner
INFO:
Esperanto eine einfache Sprache
Im Esperanto wird alles genauso geschrieben wie gesprochen. Die Betonung liegt immer auf der zweitletzten Silbe. Substantive enden stets auf -o; Adjektive auf a.
Unregelmäßige Verben gibt es keine. Die Konjugation hat nur eine Form und ist für alle Personen gleich. Der Wortschatz basiert auf internationalen Wortstämmen: universitato, studento, hundo. Durch eine andere Endung ergibt sich ein anderes Wort: vivi leben, viva lebendig. Aus gelernten Vokabeln lassen sich durch Wortbildungssilben viele verwandte Wörter ableiten. Zum Beispiel: hundo (Hund) wird mit der Silbe "in" zu hundino (Hündin).