Elektrogeräte haben heute oft viel mehr Funktionen, als der Kunde braucht. "Frugale Innovationen" sollen die Dinge wieder vereinfachen. Der Trend etabliert sich
auch in Deutschland.
Nachts um zwölf klingelt der Wecker. Oh nein, falsche Zeit eingestellt! Schlaftrunkenes Herumtappen, wie geht das Ding nur aus?! Eine einfache Aus-Taste gibt es nicht dafür kann mir das Gerät genau sagen, wie das Wetter in Kalkutta ist. Die neue Waschmaschine ist auch so ein Kandidat: Sie kann sprechen und ihre 36 Spezialprogramme ersetzen fast eine kommerzielle Wäscherei. Ihre wichtigste Funktion, der Ein-Aus-Knopf, ist allerdings nicht auf Anhieb zu finden.
Den Ingenieur und Unternehmer Wolfgang Hoeltgen regt so etwas auf. "Wie viele Programme Ihrer Wasch- oder Geschirrspülmaschine nutzen Sie wirklich?", fragt er und gibt sich die Antwort selbst: "Wenige! Moderne Elektrogeräte von heute sind total überfrachtet, können alles, allerdings nur ganz wenig, was der Kunde wirklich täglich braucht." Kluge Ingenieure wollen das nun ändern und setzen auf frugale Innovationen: Das lateinische "frugalis" bedeutet "einfach, sparsam oder nutzbar".
Hoeltgen ist mit seiner Idee ein Trendsetter, zumindest in Deutschland. Hierzulande setzt man weiter auf Hightech. China und Indien sind da deutlich weiter, Deutschland muss sich sputen. Der internationale Druck könnte sonst dazu führen, dass deutsche Firmen ins Hintertreffen geraten. Hoeltgen will das Einfache, das Handhabbare: "Das ist der Wecker, wo ich einmal an dem Rad drehe und das Ding einstelle, und den ich morgen dann noch mal für eine andere Zeit einstelle das ist frugal."
Der Ingenieur hat in Indien eine Firma gegründet, in der Studenten und Ingenieure nach diesen Gesichtspunkten Produkte entwickeln. Angefangen hatte es mit wirtschaftlichen Aspekten: Kunden hatten schlicht nicht das Geld für die Hightech-Varianten. Zusätzlich stieg auch noch die Anfälligkeit der Produkte in subtropischen oder tropischen Klimazonen, es gab aber kaum Servicemitarbeiter für die Wartung. Natürlich sank die Bereitschaft der Käufer, diese Geräte zu erwerben.
Daher der Schwenk zum Einfachen. "Brot-und-Butter-Maschinen" werden die abgespeckten Produkte auch genannt. Ihr Vorteil liegt auf der Hand: Sie halten länger als ihre überladenen Konkurrenten, sind meist auch billiger.
Vorreiter der frugalen Innovation sind übrigens Zulieferer der Autoindustrie, die oft mehrere Unternehmen beliefern. Normalerweise legt gerade diese Branche auch bei Kleinteilen Wert auf Exklusivität. "Doch das kostet", weiß Rajnish Tiwari von der TU Hamburg-Harburg.
Das wollen sich viele Unternehmen nicht mehr leisten. Deshalb finden sich zum Beispiel Dieseleinspritzpumpen, die einst für indische Autos entwickelt wurden, nun auch in namhaften deutschen Autos wieder. Oder Hupen, ursprünglich für den ägyptischen Markt konzipiert, verrichten nun in Deutschland gute Dienste. Ihr Vorteil: Sie halten deutlich länger, weil Autofahrer in Ägypten weit öfter hupen als hierzulande. Früher hatten auch die Autos vom Nil deutsche Hupen, doch die "waren ständig kaputt, überlastet", so Rajnish Tiwari, der für seine Doktorarbeit die frugalen Innovationen erforscht.
In Deutschland sind die abgespeckten Produkte hingegen kein großes Thema. Die Unternehmen fürchten sogar einen Preisverfall, weil hiesige Kunden ausgefeilte Waren gewöhnt sind. "Was wenig kann, ist auch schnell mal wenig wert", erläutert Tiwari die Angst der Hersteller.
Denn nicht immer wird der Preisvorteil bei der Einführung eines frugalen Produktes an den Kunden durchgereicht, weiß er. "Es gibt Fälle für beides. Unternehmen, die diese Gewinne einkassieren, und Unternehmen, die diese Gewinne weitergeben müssen, weil der Wettbewerb sie dazu zwingt." Für den Kunden ist das gut, weil Konkurrenz die Preise drückt.
"Brot-und-Butter-Maschinen" statt überladener Geräte
Unter der Hand gibt es Light-Varianten vielerlei Art natürlich längst auch im bundesdeutschen Konsumentenalltag. Nur wird das dann anders benannt: So bieten Billigfluggesellschaften wie Air Berlin oder Ryanair bekanntlich kaum Service, dafür aber günstigere Preise als die Lufthansa auch das ist frugale Innovation. Groß gemacht haben das Prinzip hierzulande Discounter wie Aldi. Sie haben schon immer auf jeglichen Schnickschnack in ihren Läden verzichtet, dafür aber kleine Preise geboten.
Wobei das nur eine Seite ist. Zur frugalen Innovation gehört schon auch die Möglichkeit zum Upgrade, also dazu, auf eine Basis wieder andere Funktionen aufzusatteln, glaubt Forscher Tiwari. Aber freiwillig. Wer mag, kann gerne mehr zahlen und dafür auch mehr Leistung bekommen. Tiwari: "Frugale Innovation muss nicht mit Verzicht einhergehen." Einer, der das vorführt, ist zum Beispiel Lidl: Lidl wirbt bewusst mit zwei Produkten, der günstigen Hausmarke und dem teureren Markenprodukt.
Die Forschung zum Thema steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen. Die Technische Universität Hamburg-Harburg ist eine der ganz wenigen deutschen Hochschulen, die sich damit beschäftigen. Ansonsten bieten sich Auslandssemester in Ländern wie Indien an, sagt Professor Cornelius Herstatt von der Hamburger TU, die auch mit einer ähnlichen Einrichtung in Kalifornien zusammenarbeitet.
"Die Idee, Ingenieure mal ins ganz kalte Wasser zu schmeißen und in die Entwicklungsländer zu schicken, ist eigentlich eine ganz gute Sache", meint Herstatt. Dort würden sie in ganz massiver Form mit den Problemen vor Ort konfrontiert. Von dieser Erfahrung profitierten die Nachwuchsingenieure dann auch nach ihrer Rückkehr. Sie hätten gelernt, "dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, mal über einfachere Handhabung, Selbsterklärung und solche Dinge nachzudenken". Die so entwickelten Produkte seien dann deutlich kostengünstiger, einfacher, robuster das alles entspricht genau jenen Kriterien, die man an frugale Innovation anlegt.
Ob die so geschulten Ingenieure ihr Wissen dann aber bei ihrem späteren Arbeitgeber einbringen können, ist allerdings nicht sicher. Denn viele Unternehmen wollten immer noch "Hightech statt frugaler Innovation", sagt Rajnish Tiwari. Die große Masse mache hierzulande bisher noch nicht mit.
Aber dennoch: Inzwischen gebe es ausreichend Beispiele, die belegen, dass das Prinzip auch in Deutschland angewendet werde. "Es gibt kein Gesetz, dass deutsche Ingenieure das nicht machen könnten." Unternehmer Hoeltgen kann dem nur beipflichten. "Deutsche Ingenieure sind nicht doof", sagt er. "Die können das auch alles. Der Punkt ist, dass sie sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben."
Klaus Martin Höfer