Viele Winterorte bieten für Touristen Biathlon-Schnupperkurse an. FORUM-Autorin Barbara Schaefer hat das in Lenzerheide in der Schweiz mal ausprobiert.
Seit Jahren schaue ich mir das mit wachsender Faszination im Fernsehen an: die Kombination aus zwei Sportarten, von denen schon jede für sich nicht einfach ist. Skaten, also diese rasante Langlauftechnik, und Schießen: Biathlon. Ich war noch nie skaten und ich habe noch nie geschossen. Nicht einmal auf einem Jahrmarkt. Das sollte mich aber nicht daran hindern, einen Biathlon-Schnupperkurs zu buchen.
So stehe ich nun in Lenzerheide unter einem Schild mit der Aufschrift: „Home oft the Shooting Stars“. Klarer Fall, hier bin ich richtig. Trainer Stefan Martz erklärt alles genau, es klingt nicht zu kompliziert. Hier das Gewehr, da vorne fünf Scheiben, die muss man treffen, dann klappen sie runter. Also lege ich mich auf den Bauch. Anfänger dürfen mit einer Aufstützhilfe schießen, müssen das Gewehr nicht freihändig halten. Magazin reinschieben, fünf Schuss sind drin, einen Hebel betätigen, ein anderes Metallteil kräftig nach vorne schieben. Zielen, treffen. So die Idee. Da ich mit dem rechten Auge sehr schlecht sehe, habe ich ein Linksgewehr. Das fühlt sich aber als Rechtshänderin verdreht an. Ich fixiere das Ziel, man muss durch ein Loch am Gewehr gucken, vorne am Lauf ist ein weiteres, umrandetes Loch, in dem ist ein Kreis – und in der Mitte des Kreises sehe ich die erste Scheibe. Ich schieße. Das weiße Metallding klappt nicht nach unten, also nicht getroffen. Noch vier Schuss, nicht ein einziger Treffer.
4,5 Kilogramm wiegt das Gewehr
Ich bekomme auf der blauen Matte liegend einen Lachkrampf. So desaströs hatte ich es mir nicht vorgestellt. Zweites Magazin. Zielen, sanft abdrücken. Nichts. Fünf Schuss, nicht ein Treffer! Das darf doch nicht wahr sein! Aber so schnell will ich nicht die Flinte in den Schnee werfen. Besser gesagt: das Kleinkalibergewehr. Wettkampfgewehre wiegen mindestens 3,5 Kilogramm und höchstens 7,5. Profis greifen zum leichtesten. Meines wiegt 4,5 Kilogramm, gut zum Zielen, schwer zu halten. Fünf Patronen sind im Magazin, und nach jedem Schuss muss neu geladen werden.
Schnuufa, schnuufa, und dann den Druckpunkt am Gewehr antippen. Sagt Stefan. Tief durchatmen also. Ich tausche das Gewehr, vielleicht doch mit dem rechten Auge und der rechten Hand versuchen. Stefan richtet alles her. Ich lege mich neben das Gewehr. Keine Chance. Ich kann nicht einmal die Zahlen erkenne. Also die etwa einen halben Meter großen Zahlen, die die jeweilige Bahn bezeichnen. Dann doch lieber mit links.
Drittes Magazin. Stefan packt den Kasernenhofton aus. „Zielen, schneller, wir sind hier im Wettkampf. Zielen, schießen!“ Fünf Schuss, nicht ein Treffer. Es schmaucht aus der Führungsrinne der Munition und riecht wie an Silvester. Ich stehe auf, Stefan schaut durch sein Trainer-Zielfernrohr. Er sucht die weiße Leiste mit den Scheiben ab. „Ich muss dir sagen, ich sehe nicht einen Kratzer, du hast nicht mal die Leiste getroffen.“
Ich werfe mich wieder auf den Boden. Viertes Magazin. Stefan ruft über alle Anwesenden hinweg einem Kollegen zu: „Die hat schon drei Magazine verschossen und nicht einmal getroffen.“ – „Ha ha, sehr lustig!“ Jetzt packt mich heiliger Zorn. Stefan: „Ich sehe nicht, was sie falsch macht.“ Ich bin so wütend, dass ich die Luft anhalte, ziele: Treffer. Nächster Schuss: Treffer. Dritter Schuss: Niete. Vierter Schuss: Treffer. Stefan klatscht Beifall, „Jetzt hast du’s raus!“ Fünfter Schuss – nichts.
Ich vermute, ich hatte zu hoch gezielt. Los jetzt, nächstes Magazin, her damit! Dalli, dalli. Vier Treffer. Ich bin nun doch zufrieden. Aber natürlich war das die leichteste Übung. Nun soll ich die Skier anziehen. Und liege bäuchlings mit Skiern an den Füßen und verdrehten Knien auf dem Schnee. Meine Orthopädin wäre entsetzt. Aber ich treffe wieder dreimal. Finde ich ok. Dann schickt mich Stefan eine Runde laufen. Ich wurstle mich in einer Art Skating-Stil einmal um den Platz herum, komme schwer atmend am Schießstand an, werfe mich wieder flach hin. Drei Treffer. Geht doch! Später fragen mich Freunde, ob das nicht total laut war. Erstaunlicherweise nein. Es ploppt eher so. Oder ich hab den Schuss nicht gehört.
Nächste Stufe. Im Stehen schießen. Stefan warnt mich. Die meisten würden das erste Mal nichts treffen. Sein Tipp: Sobald du die Scheibe im Visier hast, abdrücken. „Je länger du wartest und zielst, desto schlechter wird es.“ Stefan demonstriert es, er trifft vier von fünf. Was ihn einigermaßen ärgert. Nun soll ich mich aufstellen. Nicht frontal zu den Zielscheiben, sondern um 90 Grad gedreht, mit der rechten Hüfte vorne. Ich lege das Gewehr an, drücke es kräftig in meine linke Schulter, der rechte Ellbogen ruht auf der rechten Hüfte. Ich lade durch, schaue durch die Löcher, ein Gewackel ist das. Als die Scheibe vor meinem Auge vorbeikommt, drücke ich ab. Nichts. Aber dann – ich treffe zweimal! Stefan glaubt mir nicht mehr, dass ich noch nie geschossen habe. Das sei für den Anfang wirklich gut. Ha! Meine Wut nach den anfänglichen Nieten half wohl. Auch wenn nüchtern betrachtet die Kombination aus Zorn und Schusswaffe nicht optimal erscheint.
Erst der fünfte Schuss trifft
Wie kamen Menschen überhaupt auf die Idee, mit Skiern an den Füßen in die Winterlandschaft zu schießen? In Skandinavien zeigen 5.000 Jahre alte Höhlenmalereien Menschen bei der Jagd auf Skiern mit Pfeil und Bogen. Schon im 18. Jahrhundert wurde Biathlon Militärsport in Nordeuropa, 1954 erkannte das IOC Biathlon als Sportart an, 1958 gab es in Österreich die ersten Weltmeisterschaften und 1960 wurde Biathlon in Squaw Valley für Männer olympisch. Erst in Albertville 1992 durften auch Sportlerinnen skilanglaufen und schießen. Überraschenderweise entwickelte sich Biathlon vor allem in Deutschland zu einer beliebten Wintersportart – vor dem Fernseher. Bis zu sechs Millionen schauen sich Wettkämpfe an, weit mehr als Abfahrtsrennen oder Slalom, das verstehe, wer will.
Ausprobieren kann man Biathlon in vielen Wintersportorten, etwa in Nesselwang im Allgäu, im Pustertal in Südtirol oder eben in Lenzerheide in der Schweiz. Die 2013 eröffnete Roland Arena c/o Biathlon Arena Lenzerheide AG ist schweizweit die einzige weltcuptaugliche Biathlonanlage. Im Februar 2025 soll hier die Weltmeisterschaft ausgetragen werden.
Am zweiten Tag bringt mir Markus Schüppach noch ein paar Feinheiten bei. Er ist in der Roland-Arena zuständig für Technisches, auch für die Beschneiung. Schüppach gesteht, er habe erst vor kurzem mit Biathlon angefangen. Er sei beim Militär ein guter Schütze gewesen, das helfe. Wieder liege ich also auf dem Boden. Die Flinte liegt auf dem Böckchen. Und es ist wie am Vortag. Mal treffe ich vier- von fünfmal ins Schwarze, mal fünfmal gar nicht. Markus justiert das Gewehr nach, das ist sehr freundlich, ich glaube aber nicht, dass es daran liegt. Markus sagt, wenn ich treffe, sei es immer mitten ins Schwarze. Aber manchmal eben, tja. Nach einigen leeren Magazinen fragt Markus, ob ich es nochmal im Stehen versuchen möchte. Klar doch. Viermal nichts, der fünfte Schuss trifft. Markus grinst, wir sagen beide nichts. Dann fügt er an: „Es fragt niemand, auf welche Scheibe du gezielt hast. Das Treffen zählt!“
Da meine Ergebnisse so stark unterschiedlich ausfallen, komme ich zu diesem finalen Eindruck: Das Zielen und Schießen ist gar nicht der springende Punkt. Es scheint viel mehr auf kontrolliertes Atmen und Fokussieren anzukommen. Zen und die Kunst, ins Schwarze zu treffen. Vielleicht versuche ich es im Sommer mal mit Bogenschießen. Sieht ja auch nicht schwer aus.