Das Segment der Familien-Vans ist klein, erst recht das mit Elektroantrieb. Jetzt hat Mercedes die Preise des „EQT“ drastisch gesenkt. Hält der Akku bis zum Kindergeburtstag durch?
Wer fährt heute noch einen Van? Die einst so beliebten Familienkutschen machten Anfang 2024 gerade noch 7,3 Prozent aller in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge aus, wie die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zeigt. Die wenigen Modelle, die es noch gibt, lassen es oft an Komfort vermissen, da sie auf Transportern basieren. Einzige Ausnahme: der VW-Bulli-Nachfolger ID.Buzz, der aber ordentlich ins Geld geht.
Gibt’s hier etwa eine Marktlücke? Oder verkommen die elektrischen Kastenwägen zu Ladenhütern? Mercedes zumindest hat die Preise seines Hochdachkombis „EQT“ im Mai kräftig gesenkt. Von einst über 50.000 Euro ging es runter auf unter 40.000 Euro. Wer als Zielgruppe infrage kommt, listet Mercedes in eigens produzierten Youtube-Videos auf: Familien, die zum Kindergeburtstag fahren („bis zu drei Kindersitze nebeneinander“), ihre Haustiere kutschieren („richtig viel Platz für Hundeboxen“) oder in einen Kaufrausch verfallen („beidseitige Schiebetüren“).
Von außen sieht er schon mal sehr hübsch aus. Die geschwungenen Scheinwerfer machen optisch was her, die blaue, aufpreispflichtige Metallic-Lackierung glänzt in der Sonne. Nur hinten wirkt er wie abgehackt, was daran liegt, dass er deutlich kürzer ist als sein großer Bruder, der Mercedes EQV. Ein echtes Unikat ist der EQT jedenfalls nicht, denn Renault und Mercedes haben bei der Entwicklung ihrer Vans kooperiert: Der Renault Kangoo E-Tech bietet unter der Haube die gleiche Technik.
Im Fond wird’s für Erwachsene eng
Beim Außenrundgang hält sich Komfort zunächst in Grenzen: Die große Kofferraumklappe lässt sich nicht etwa elektrisch, sondern nur per Hand öffnen. Ich taste mich vorsichtig vor, ziehe den Kopf ein und hoffe, nicht zu nah am nächsten Fahrzeug geparkt zu haben. Zum Schließen muss ich an einer schlecht platzierten Schlaufe ziehen – nicht gerade Premium! Witzigerweise schneidet in diesem Punkt der Toyota Proace besser ab. Er hat eine elektrische Heckklappe. Innen wird’s dann wieder etwas „mercediger“: griffiges Lenkrad, stylische runde Luftdüsen, Armaturenbrett mit Lederabdeckung. Ganz verhehlen kann der EQT seine Transporter-Wurzeln trotzdem nicht. So sind die Türen von innen mit hartem Plastik verkleidet, während der Tacho analog daherkommt.
Beim sieben Zoll kleinen Hauptbildschirm setzt sich die Reise in die Vergangenheit fort. Hier muss man ordentlich zielen, um die kleinen Symbole auf holprigen Straßen zu treffen. Beim Lenkrad knubbeln sich alle Funktionen für Blinker und Scheibenwischer in nur einem Hebel. Warum es keinen zweiten gibt, weiß wohl nur Mercedes. Gut gelungen sind die Tasten unterhalb des Hauptbildschirms, die einen direkten Zugriff auf Navi, Kamera und Radio/Multimedia bieten. Die Klimatisierung wird ebenfalls über klassische Drehknöpfe geregelt. In der Mitte dieser Knöpfe befindet sich jeweils ein Mini-Bildschirm, der die aktuelle Temperatur für Fahrer und Beifahrer anzeigt – super!
Kommen wir zur Familientauglichkeit, der Kernkompetenz dieses Autos. Wie sich zeigt, passen tatsächlich drei Kindersitze nebeneinander. Auch Hunde – sogar mehrere – können dank der niedrigen Ladekante bequem ein- und aussteigen. Erwachsene müssen im Fonds hingegen die Beine einziehen. Ich selbst bin nicht einmal 1,80 Meter groß, stoße aber mit meinen Knien gegen den Vordersitz. Noch schlimmer wird es, wenn man einen der Rücksitz-Tische herunterklappt – im Prinzip eine gute Idee, doch sind sie so tief platziert, dass meine Knie haarscharf daran vorbeischrammen. Beim ID.Buzz ist das besser gelungen.
Was gut funktioniert, ist das Umklappen der Rückbank. Einfach einen Hebel ziehen, leicht gegen die Lehne drücken – fertig! Eine ebene Fläche entsteht dadurch zwar nicht, aber der ohnehin große Kofferraum vergrößert sich erheblich.
Assistenzsysteme sind richtig gut durchdacht
Rollt der EQT erst einmal, kommt doch noch ein gewisses Premiumgefühl auf. Zwar fiept der Elektromotor ein wenig, solange er kalt ist. Doch insgesamt wirkt die Geräuschkulisse angenehm ruhig, genau wie die Federung. Dank der hohen Sitzposition fühle ich mich wie ein Busfahrer. Die Sonne scheint, der EQT gleitet über die Autobahn, aus den Lautsprechern plätschert ein Podcast dank Bluetooth-Verbindung mit dem Smartphone. Gebettet in einen bequemen Sitz könnte ich stundenlang weiterfahren – anders als der EQT. Nach spätestens 200 Autobahnkilometern ist sein Akku nämlich leer – und das, obwohl ich extra den Öko-Modus aktiviert habe und nur zarte 100 bis 120 Kilometer pro Stunde fahre.
Immerhin geht es an der Ladesäule einigermaßen zügig voran: Exakt 35 Minuten dauert es, die Batterie von zehn auf 80 Prozent aufzuladen. Das ist sogar minimal schneller als vom Hersteller angegeben. An den darauffolgenden Tagen dauert es manchmal auch länger, je nachdem, ob der Akku schon warmgefahren wurde oder nicht. Beim Laden mit Wechselstrom kommt er auf bis zu 22 Kilowatt. So ist er in weniger als drei Stunden voll, selbst wenn keine Schnellladesäule in der Nähe ist. Eine tolle Funktion, die es bei der Konkurrenz – wenn überhaupt – nur gegen Aufpreis gibt.
Die vielen Assistenzsysteme zeigen sich von ihrer besten Seite. So erkennt der EQT dank seiner Kameras das aktuell gültige Tempolimit. Er korrigiert die Spur, falls ich einmal über die gestrichelte Linie fahre. Und er blendet das Fernlicht ab, sobald ein anderes Auto auf der Gegenfahrbahn auftaucht (Sonderausstattung). Auch andere Hersteller bieten solche Systeme an. Dort agieren sie aber oft übereifrig, indem sie ständig piepsen und vermeintliche Fehler korrigieren. Nicht so beim EQT. Fährt man zu schnell, blinkt ein Temposchild dezent im Cockpit. Überfährt man die Spur, korrigiert er sanft. Hier ist kein Lehrmeister am Werk, sondern ein echter Assistent.
Prozentanzeige für Akku wäre wünschenswert
Das Navi sollte sich an diesem Verhalten ein Vorbild nehmen. Zwar versteht es mich gut, wenn ich per Sprachbefehl ein Ziel nenne. Doch unterwegs liefert der kleine Bildschirm viel zu viele unnötige Informationen: Namen von Stadtvierteln, Staus auf Querstraßen, Symbole in allen Farben und Formen – wer will so was wissen?! Eine für E-Autos immens wichtige Funktion aber fehlt: Wie weit komme ich mit meiner Akkuladung? Und wo kann ich unterwegs laden? Anders als andere Mercedes-Modelle berechnet der EQT keine automatischen Ladestopps.
Auch eine Prozent-Anzeige zum Akkustand sucht man vergeblich. Stattdessen werden im Tacho nur die restlichen Kilometer angezeigt, die sich je nach Geschwindigkeit und Umgebung (Bergfahrt, Talfahrt) aber häufig ändern. Wie schnell das zu unangenehmen Situationen führen kann, merke ich, als ich das Auto abends abstelle. Mit einer prognostizierten Restreichweite von 34 Kilometern kann ich am nächsten Morgen locker zur nächsten Schnellladestation fahren – so zumindest meine Annahme. Als ich den EQT aber wieder starte, blinkt die Akkulampe nervös auf. Plötzlich wird gar keine Restreichweite mehr angezeigt, nur noch zwei Striche. Oh, oh. Zum Glück liegt die Ladesäule nur wenige Kilometer entfernt, sodass die Zitterpartie ein gutes Ende nimmt.
Nach 1.200 Kilometern ziehe ich Bilanz: Mit seiner ruhigen Geräuschkulisse, bequemen Sitzen und zuverlässigen Assistenzsystemen kann der EQT punkten. An manchen Details wurde offensichtlich gespart, doch insgesamt handelt es sich um ein solides Familienauto. Zu weit sollte der besagte Kindergeburtstag aber nicht entfernt liegen, möchte man in einem Zug ankommen. Da sich die Unterschiede zu anderen Elektro-Vans in Grenzen halten und die Preise momentan stark schwanken, kann es sich lohnen, auch mal bei der Konkurrenz vorbeizuschauen.