Der große Traum vom Stammplatz beim FC Bayern München könnte sich für Torhüter Alexander Nübel doch noch erfüllen. Danach sah es noch vor drei Monaten keineswegs aus.
Alexander Nübel ist durchaus ein lockerer Typ. Davon konnten sich im Januar die Zuschauer des „Aktuellen Sportstudios“ überzeugen. Der vom FC Bayern München an die AS Monaco ausgeliehene Torhüter saß im Studio, während sein deutscher Mitspieler Kevin Volland in einem Video-Beitrag erzählte, dass Nübel beim „Monaco-Stammtisch“ immer ein „schwarzes Kräutergetränk“ bestellen müsse. „Das schwarze Kräutergetränk wird eigentlich immer getrunken, damit wir am Wochenende gewinnen“, sagt Nübel auf hartnäckige Nachfrage von Moderator Jochen Breyer lachend: „Es kommt, glaube ich, sogar aus Deutschland, schmeckt kalt am besten, aber sollte man in Maßen genießen.“ Aber das, so Breyer, enthalte doch Alkohol. „Ja“, gibt Nübel zu: „Aber dazu trinken wir ja Bier als Wasser-Ersatz.“ So spontan und locker reagieren die heutzutage meist medial gut dressierten Fußball-Profis selten.
Was wird aus Manuel Neuer?
Doch was ist eigentlich der „Monaco-Stammtisch?“ Auch das klärt Nübel auf. „Das sind Leute, die in Monaco leben, die alle Deutsch sprechen“, sagt er: „Wir treffen uns ab und zu, gehen Mittagessen.“ Zu der Gruppe, die „ein wilder Mix“ sei, gehören neben TV-Star Robert Geiss und Ex-Nationalspieler Kevin Volland auch Deutschlands bester Tennisspieler Alexander Zverev oder der in dieser Saison einzige deutsche Formel-1-Fahrer Nico Hülkenberg.
„Grundsätzlich ist es immer interessant und hilfreich, sich mit anderen Leistungssportlern auseinanderzusetzen“, erzählt Nübel im dpa-Interview über den Austausch mit Zverev und Hülkenberg: „Man verlässt die eigene Blase.“ Das sei hilfreich, auch wenn die anderen beiden Einzelsportler sind und er, ja, was ist ein Torhüter eigentlich? Teamsportler oder doch irgendwie Einzelsportler? „Wir Torhüter sind ja eine Art Zwitterwesen. Wir sind Einzel- und Teamsportler zugleich“, sagt Nübel: „Somit gibt es schon viele Gemeinsamkeiten. Natürlich reden wir aber nicht nur über Sport. Es wird viel gelacht, und es gibt tatsächlich ein Heimatgefühl.“
Diese Station in Monaco, seine erste im Ausland, hat ihm aber sehr geholfen. „Ich bin jetzt da, wo ich sein wollte“, sagt Nübel. Das ist natürlich ein wenig geflunkert. Denn eigentlich wäre er jetzt am liebsten Stammtorhüter des FC Bayern München. Was immer noch sein Ziel ist und was er weiter für möglich bis realistisch hält. Doch wenn man genauer hinsieht und Nübels Weg in den vergangenen vier Jahren verfolgt, weiß man, was er damit meint. „Ich habe zurzeit einen Vertrag bis 2025 bei Bayern München und spiele als Stammtorwart bei der AS Monaco, einem der interessantesten Teams in Europa“, sagt er: „Damit bin ich bis jetzt ehrlich gesagt sehr zufrieden.“
Zumal sich seine Perspektive in den vergangenen Wochen schlagartig verbessert hat. Galt er bis vor wenigen Wochen für viele noch als einer, der sich mit dem Wechsel zum FC Bayern übernommen hat und beim deutschen Rekordmeister gescheitert ist, so sieht das nun schon etwas anders aus. Doch der Reihe nach:
2020 wechselt Nübel zum FC Bayern, 23 Jahre alt und ablösefrei. Viele fragen, was das soll. Nübel ist erst seit Kurzem Stammspieler beim FC Schalke, aber auch schon Kapitän. Seine Wechsel-Ankündigung wirbelt auf Schalke so viel Staub auf, dass er erst seine Kapitäns-Binde und dann auch seinen Stammplatz verliert. „Natürlich hat mich die Wucht der Kritik schon hart getroffen“, sagt er heute: „Das hat man ja damals auch an meiner Leistung gesehen. Aber ich habe das mittlerweile reflektiert.“
Die neutralen Experten wundern sich, wieso er nun schon zum FC Bayern wechselt, wo doch mit Manuel Neuer der unantastbarste Keeper der Welt Stammhalter ist. Und zu diesem Zeitpunkt trotz 34 Jahren nicht die geringsten Anzeichen von Altersmüdigkeit zeigt. Doch Nübel glaubt an eine echte Chance, zumindest an regelmäßige Einsätze. Die seien ihm auch zugesagt worden, heißt es in vielen Medienberichten. Ob dem so ist oder ob das Ganze ein Missverständnis war, klären weder Nübel noch der FC Bayern je auf.
Nur vier Einsätze in einer Saison
In München freuen sie sich jedenfalls über den Transfer. Eine „kluge und strategische Entscheidung“ sei das, lobte der heutige Vorstandschef Oliver Kahn, damals noch normales Vorstandsmitglied, und selbst einst ein Weltklasse-Torhüter. Nübel sei bereit, „sich hinten anzustellen. Er sieht sich in einigen Jahren als absolute Nummer eins. Er ist aber auch bereit, von einem Welttorhüter wie Manuel Neuer zu lernen. Es ist ein sehr mutiger Schritt, aber seinen Weg gilt es zu akzeptieren“, sagte Kahn. Sportchef Hasan Salihamidzic weist daraufhin, dass auch er einst belächelt wurde, als er vom Hamburger SV zu den Bayern wechselte – und sich am Ende durchgesetzt habe.
Doch bei Nübel läuft es zunächst nicht so. 55 Pflichtspiele bestreitet der FC Bayern in seiner ersten Saison, bei ganzen vier steht er im Tor: In der ersten Pokalrunde beim Fünftligisten Düren, in einem Champions-League-Spiel nach sicherem Weiterkommen, im Achtelfinal-Rückspiel gegen Lazio nach 4:1-Sieg in Rom und am 33. Spieltag gegen Freiburg, als der Meistertitel schon feststeht. Das genügt ihm nicht, stellt Nübel nun fest, und lässt sich nach Monaco verleihen. Dort ist er vom ersten Tag an Stammtorhüter, nun schon fast zwei Jahre lang. Er bekommt Spielpraxis, in der Liga des damaligen Weltmeisters und aktuellen Vize-Weltmeisters, spielt gegen Weltstars wie Lionel Messi, Kylian Mbappé oder Neymar und kommt auch im Europacup zum Einsatz. Er reift, gewinnt wichtige Erfahrung und Selbstvertrauen.
Dennoch scheint der Kampf gegen Neuer aussichtslos, zumal der bis 2024 verlängert. Im Juni 2022 stellt Salihamidzic Nübel aber eine Vertragsverlängerung in Aussicht. Der kündigt gleichzeitig an, erst nach Neuers Karriereende zurückkommen zu wollen. „Wenn Manuel noch da sein sollte, wird das glaube ich nichts mehr“, sagt er. Es mache dann „keinen Sinn, dass ich zurückkomme“. Im November 2022 legt sich Salihamidzic öffentlich schon mal fest: „2023 wird das nicht passieren. Danach muss man sehen.“
Doch dann ändert sich in wenigen Tagen fast alles. Zuerst verletzt sich Neuer beim Skifahren, erleidet einen Unterschenkelbruch. Die Bayern brauchen einen Torhüter, weil sie in Sven Ulreich eine gute Nummer zwei sehen, aber keinen Stammkeeper für eine ganze Rückrunde mit K.-o.-Spielen in der Champions League. Und plötzlich sagt Salihamidzic: „Wir prüfen verschiedene Szenarien. Aber natürlich wäre Alexander Nübel eine naheliegende Lösung.“
Hat nübel eine Zukunft in Monaco?
Dann beurlauben die Münchener Torwart-Trainer Toni Tapalovic. Der ist Neuers enger Vertrauter, sogar sein Trauzeuge. Nübel dagegen beklagte mangelnde Kommunikation. Daraufhin gibt Neuer offenbar am Verein vorbei ein Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ und bei „The Athletic“. „Für mich war das ein Schlag – als ich schon am Boden lag“, sagt er da: „Ich hatte das Gefühl, dass mir das Herz herausgerissen wurde. Das war das Brutalste, was ich in meiner Karriere erlebt habe.“ Und er sagt sogar explizit: „Ich habe über alles Mögliche nachgedacht, auch über meine Zukunft im Verein.“
Die Bayern-Bosse sind stocksauer und stellen das auch einer nach dem anderen öffentlich dar. Nicht wenige glauben nun, dass Neuers Zukunft beim FC Bayern als Kapitän und Stammtorhüter offen ist, angesichts eines offenbar solch gestörten Vertrauensverhältnisses. Nübel kommt trotzdem im Winter nicht zurück. „Mir hat man vonseiten Monacos früh deutlich gemacht, dass man mich auf keinen Fall gehen lässt“, sagt er. Das stellt eine Wertschätzung dar, genau wie die Anfrage der Bayern.
Die holen stattdessen Yann Sommer aus Mönchengladbach. Und weil sich ein Schweizer Nationaltorhüter nicht für ein halbes Jahr holen lässt, bekommt er einen Vertrag bis 2025. Da man Ulreich nach dem Ablauf im Winter als ernsten Kandidaten ausnehmen kann, lauten die Fragen nach dem Zweikampf ab Sommer in München: Sommer gegen Neuer? Oder doch Sommer gegen Nübel? Dessen Vertrag in Monaco läuft im Juni aus, der in München läuft dann noch zwei Jahre.
Es sei „alles offen“, sagte Nübel derzeit nur: „Ich bleibe fokussiert auf das Hier und Jetzt. Alles andere lenkt nur ab. Unser Job ist ohnehin schwer genug.“ Aus Frankreich wird derweil von der Sporttageszeitung „L’Equipe“ aber gemeldet, dass Monaco nicht mehr an einer Weiterverpflichtung im Sommer interessiert sei. Das wirkt seltsam nach dem Veto im Winter. Doch das Blatt schreibt, Nübel habe grundsätzlich ein Niveau erreicht, mit dem der Verein zufrieden sei. Das Problem sei, dass er kaum besondere Aktionen habe oder welche, die ein Spiel retten. Zudem sei er „im Elfmeterschießen ewig hilflos“. Von 22 Strafstößen hat er im AS-Trikot keinen einzigen gehalten. Auch nicht im Elfmeterschießen des Europa-League-Play-offs gegen Bayer Leverkusen, als er im Rückspiel auch das 0:1 durch einen Patzer ermöglichte. „Da seine zweijährige Leihe in diesem Sommer ausläuft, muss er sich beeilen, nach seiner Zeit im Fürstentum positive Spuren zu hinterlassen“, schrieb das Fachblatt.
Auch das werden sie in München genau beobachten. Doch so chancenlos wie noch vor wenigen Wochen ist Nübel nun keineswegs.