Tonnenschwere Betonbarrieren taugen nicht als wirksamer Schutz vor schweren Fahrzeugen. Das ergaben unlängst Tests durch die Dekra. Deshalb arbeiten Produzenten und Händler fieberhaft an innovativen Lösungen für mobile Fahrzeugsperren. Die Polizei ihrerseits leistet mit einer technischen Richtlinie einen Beitrag.
Mit 55 Stundenkilometer steuert der Lkw direkt auf eine Reihe Betonblöcke zu. Selbst wenige Meter vor der Barriere, mindert das Fahrzeug die Geschwindigkeit nicht. Es fährt frontal auf die Lücke zwischen zwei Pollern zu. Fast mühelos schiebt der Lkw die Blöcke zur Seite und kommt erst 25 Meter weiter zum Stehen. Die Szenerie wirkt gespenstisch, doch das Ganze ist nur ein Test, an dem keine Personen beteiligt sind. Nizza, Berlin, Stockholm und London: 2016 und 2017 steuerten islamistisch motivierte Attentäter Fahrzeuge in große Menschenmengen und rissen Dutzende in den Tod.
Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hatte im Frühjahr 2017 den Deutschen Kraftfahrzeug-Überwachungsverein, kurz Dekra, beauftragt, die 2,4 Tonnen schweren Betonbarrieren zu testen. „Der MDR äußerte den Wunsch, dass wir – analog zu der Amokfahrt in Stockholm im April 2017 – einen Zehntonner für die Tests nehmen", erklärt Dekra-Projektmanager Marcus Gärtner. In dem Versuch wurde auch exakt derselbe Abstand zwischen den Pollern gewählt, wie jener der Betonsperren auf den Dresdner Weihnachtsmärkten.
In Deutschland gibt es derzeit zwei gängige Normen: PAS 68 und IWA 14. Die gelten jedoch nur bedingt für fest installierte Poller. Um bei den Tests das gleiche energetische Niveau zu erreichen wie bei einer PAS 68-Prüfung, setzte Gärtner das Tempo des Lastwagens auf 55 km/h hoch.
Das ernüchternde Ergebnis des ersten Dekra-Tests im schleswig-holsteinischen Neumünster: Die zwei im 90-Grad-Winkel aufgebauten Betonbarrieren trafen den Lkw auf Höhe der beiden Vorderachsen, die beide weggerissen wurden. Dennoch rutschte das Fahrzeug noch 25 Meter weiter und stieß letztlich mit einer relativ hohen Restenergie gegen den Anprallblock. „Wir waren überrascht, dass hier die Rückhaltewirkung relativ gering ist", resümiert Gärtner. Der zweite Versuch brachte im Prinzip dasselbe Ergebnis: Vier Betonpoller wurden in einem Winkel von 30 Grad zueinander postiert. Durch den ersten Anprall wurde dem Lkw die rechte Vorderachse weggerissen. Mit der Folge, dass der nach rechts wegdriftete und einen der Betonblöcke mehrere Meter wegschleuderte. Auch hier kam der Lkw erst nach 25 Metern zum Stehen – aufgehalten durch eine zusätzlich aufgestellte Betonschutzvorrichtung. „Die Aufhaltewirkung war auch hier recht gering", fasst Gärtner zusammen.
Gängige Normen gelten nur bedingt für feste Klötze
Zwei Monate später wiederholte Dekra im Auftrag des Fernsehsenders den Test. Diesmal mit zwei Betonwürfeln, die durch zwei Stahlseile verbunden waren. Dahinter wurden zwei sternförmige Sperren aufgestellt. „Wir haben auf Worst Case getestet, das heißt der Lkw ist gegen die Stahlseile gefahren, die relativ schnell ausgerissen sind", sagt der Dekra-Versuchsingenieur. Die X-Sperren schob der Lkw scheinbar ohne Mühe zur Seite. Der Lkw stoppte erst nach dem Zusammenstoß mit dem Anprallblock.
Wie Veranstaltungen im öffentlichen Raum technisch und baulich bestmöglich gesichert werden können, damit beschäftigt sich die Polizei nicht erst seit den Amokfahrten in europäischen Metropolen. Doch seit jenen terroristischen Attentaten stellt sich diese Frage drängender denn je. Mit Hochdruck arbeitet das Polizeitechnische Institut der Deutschen Polizeihochschule in Münster seit Januar an einer technischen Richtlinie für mobile Fahrzeugsperren. In der sogenannten Arbeitsgruppe Führungs- und Einsatzmittel arbeiten Vertreter von Länder- und Bundespolizei zusammen. Vorgesehen ist, dass die Richtlinie bis September stehen soll. „Wir erstellen diese Richtlinie, damit die mobilen Fahrzeugsperren auf unsere Belange geprüft werden können", erklärt der Leiter des Polizeitechnischen Instituts Johann-Markus Hans. „Die Kommunen können davon profitieren", ergänzt der Leitende Polizeidirektor.
In dem Regelwerk sollen genaue Anforderungen an mobile Barrieren beschrieben werden. Was für eine Bremswirkung und Widerstandskraft braucht eine Sperre, wenn ein Zehntonner mit 60 km/h aufgehalten werden soll? Was passiert mit einer Fahrzeugbarriere, nachdem ein Fahrzeug in einem bestimmten Winkel dagegen prallt? Welche Abmessungen muss eine Schutzzone hinter einer Sperre haben? Daneben soll in der Richtlinie ein Prüfverfahren entwickelt werden, mittels dem anerkannte Prüfinstitute die mobilen Fahrzeugsperren auf ihre Praxistauglichkeit testen können. Im Idealfall erfüllt das Produkt die entsprechenden Kriterien und wird durch eine Prüfgesellschaft zertifiziert. Dekra-Ingenieur Gärtner hält für am sinnvollsten mobile Fahrzeugsperren in entsprechende Leistungsklassen (eine Leistungsklasse beschreibt wie gut eine Schutzeinrichtung abschneidet, wenn ein bestimmter Fahrzeugtyp dagegen prallt, Anm. d. Red.) einzustufen und diese in einem Anforderungskatalog für Kommunen festzuschreiben. „Das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung und würde Klarheit schaffen", sagt Gärtner. Städte und Gemeinden hierzulande könnten so sehen, dass sie für eine Veranstaltung entsprechender Größe dieses oder jenes System einzusetzen könnten.
„Die Hersteller müssen ihre Systeme unter gleichen Bedingungen testen und zertifizieren lassen. So weiß eine Kommune, was sie zu tun hat", sagt Gärtner. Um das Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung zu erhöhen und Großveranstaltungen besser vor terroristischen Anschlägen zu schützen, arbeiten derzeit Produzenten und Händler an innovativen Fahrzeugsperren. Ein Beispiel dafür ist die Firma StoneLand mit Sitz in Hamburg. StoneLand-Geschäftsführer und Diplom-Ingenieur Thomas Pampel ist seit mehr als 20 Jahren im Kata-strophenschutz und Sicherheitsgewerbe tätig, kooperiert mit mehreren Herstellern relevanter Fahrzeugsperren, darunter MIFRAM, einer in Israel ansässigen Firma für Sicherheitsprodukte, zu deren Kundenstamm nach eigenen Angaben die US-Armee, das israelische Verteidigungsministerium und die Vereinten Nationen gehören. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt entwickelt StoneLand unter anderem ein permanentes Poller-System, das so bisher noch nicht auf dem Markt ist. Anders als fest installierte Poller sei das System nicht mit Beton, sondern mit einem speziellen Verbund-Gemisch ummantelt, erklärt Pampel. „Das wird bis dato nicht in Poller-Systemen verwendet." Im Unterschied zu den gängigen im Boden versenkbaren Pollern beruht das neu zu entwickelnde System auf dem Schwerkraftprinzip, wie Pampel erläutert. „Wenn unser Poller hochfährt, rastet er ein und hält durch sein Eigengewicht die Position. Alle übrigen Poller-Systeme heben sich und halten durch spezifische Antriebe und durch Druck den Poller in der Höhe", sagt Pampel. Wesentlicher Unterschied zu bisherigen Pollern ist StoneLand zufolge auch, dass unter anderem das permanente Poller-System durch sein Eigengewicht nicht mit handelsüblichen Werkzeugen manipulierbar ist. „Wir wollen einen anderen Effekt auslösen, nämlich die Umwandlung von horizontaler in vertikaler Energie", fasst Pampel zusammen. Doch welche Fahrzeugsperren versprechen die größtmögliche Rückhaltewirkung?
Der Versuchsingenieur für Crash Tests der Dekra, Marcus Gärtner, sagt, das sei schwer zu beantworten. „Man muss die Energie anders abbauen als es bisher vorgesehen ist." Das bedeutet, die Energie wird nicht über Reibung abgebaut, sondern sie wird umgewandelt. „Wir lassen den Lkw aufsteigen und bauen dadurch Energie ab", sagt er. Technisch ausgedrückt: Die Horizontalenergie wird in Vertikalenergie umgewandelt. Die eleganteste Lösung dafür seien fest im Boden installierte Poller, unter anderem zum Schutz von öffentlichen Gebäuden. Doch auch da gibt es keine 100-prozentige Sicherheit, wie Gärtner klarstellt: „Das Fahrgestell bleibt zwar unten stehen, aber es gibt unter Umständen ein anderes Problem, nämlich, dass die Fahrerkabine abgerissen wird und unkontrolliert weiterfliegt." Bei mobilen Systemen sei es unwahrscheinlich, dass ein Fahrzeug nach einem Meter stillsteht, erläutert er weiter.
StoneLand ist in Zusammenarbeit mit der Firma Neuland Beton wie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig auch an der Entwicklung eines mobilen Sperrsystems beteiligt. „In der Verbindung der einzelnen Sperrelemente ist es eine neue technische Konzeption, die es so bislang nicht gibt", sagt Pampel. Das neuartige Produkt beschreibt er so: „Wir nehmen praxiserprobte Elemente aus anderen technischen Einsatzgebieten und führen sie einer anderen Bestimmung zu, um so die bestmögliche Präventiv-Strategie für die jeweilige Veranstaltung, in Abhängigkeit der jeweiligen Parameter, bereitzustellen."
StoneLand beauftragte im Frühjahr 2017 die HTWK mit einer physikalischen Berechnung eines Terrorszenarios mit Lkw. Im Dezember vorigen Jahres hatte auf der A61 ein 40-Tonner einen Polizeiwagen erfasst und diesen 200 Meter weit geschoben. Analog zu dem Unfall wurde schon damals berechnet, was passiert, wenn ein 40 Tonnen schwerer Lkw mit 80 km/h gegen einen 2,4-Tonnen-Betonblock prallt. Das Ergebnis: Der Lkw hätte den Betonblock in ein gefährliches Geschoss verwandelt, das weiter als 160 Meter katapultiert worden wäre. „Trotz Medienberichten und Tests ignorieren Kommunen, Veranstalter und Polizei den Umstand, dass Betonblöcke nicht nur keinen Schutz bieten, sondern auch zusätzlich eine potenzielle Gefahr darstellen", betont Pampel.
Darum plant StoneLand in naher Zukunft bundesweite Lager, sogenannte Hubs, mit der Firma HPC-Logistics einzurichten, wo sich die Länder- und Bundespolizei, aber auch Kommunen und Veranstalter aus einem Pool an StoneLand-Produkten bedienen können. Das Augenmerk soll dabei auf im Einsatz erprobten und geprüften Sicherheitssperren sowie auf mobilen Fahrzeugsperren, die nach europäischen und internationalen Standards getestet wurden, gelegt werden. Von dem Vorschlag, bundesweite Lager aufzubauen, ist offenbar das Polizeitechnische Institut in Münster angetan. „Wir erhoffen uns letztlich ein Füllhorn an zertifizierten Sperren, sodass wir auswählen können, was für eine bestimmte Verkehrsinfrastruktur erforderlich ist", sagt Hans. So könnte die Polizei der Länder und des Bundes Fahrzeugbarrieren für ihre Zwecke beschaffen und Großveranstaltungen im öffentlichen Raum noch besser absichern.