Moritz Holz, Leitender Psychologe der Median Klinik Berus, spricht im Interview über die Symptome einer Depression, Behandlungsmöglichkeiten und darüber, was Angehörige tun können.
Herr Holz, wie erkennt man, dass man eine Depression hat? Wann ist es nur ein Stimmungstief, wann eine Depression?
Eine Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die sich deutlich von einem vorübergehenden Stimmungstief oder einer Phase von Niedergeschlagenheit unterscheidet. Sie beeinflusst das Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen, kann sogar mit starken körperlichen Beschwerden einhergehen. Es gibt drei Hauptsymptome: gedrückte Stimmung, Interessen- oder Freudlosigkeit sowie verminderter Antrieb mit erhöhter Erschöpfbarkeit und Einschränkungen der Aktivität.
Zusätzliche Symptome können verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle und eine pessimistische Zukunftsperspektive bis hin zu Suizidgedanken sein. Betroffene Menschen haben nicht selten Schlafstörungen, beklagen Appetitverlust oder den Verlust an sexuellem Interesse. Für die Diagnose „Depression" müssen mehrere dieser Symptome länger als zwei Wochen andauern. Wobei ich dieses Kriterium für einen sehr kurzen Zeitraum halte. Bei einschneidenden Lebensereignissen wie beispielsweise dem Tod naher Menschen, der Trennung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes kann ich mir eine ähnliche Symptomatik durchaus auch für einen längeren Zeitraum vorstellen, ohne einen Menschen in solch einer Situation als krank bezeichnen zu wollen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei einer Depression?
Prinzipiell kann man eine medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka und eine Psychotherapie als Therapiemöglichkeit benennen. Bei einer ambulanten Psychotherapie sind es drei anerkannte Verfahren, die über die Krankenkasse abgerechnet werden können. Das sind die Verhaltenstherapie, die Tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie und die Psychoanalyse. Bei länger andauernder und schwerer Symptomatik gibt es zudem die Möglichkeit einer stationären Behandlung innerhalb einer Akutpsychosomatik oder einer Rehabilitationseinrichtung wie hier in Berus. Wir arbeiten verhaltenstherapeutisch orientiert. Dabei konzentrieren wir uns auf die Veränderung von Denken und Verhalten zur Verbesserung des Gesamtbefindens.
In der Verhaltenstherapie haben sich in den letzten zehn Jahren zwei neue Therapieformen entwickelt, die auch bei Depressionen angewandt werden. Das ist zum einen die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT). Sie fokussiert auf Akzeptanz eigener innerer Reaktionen statt Reaktanz, will Denken und Erleben im Hier und Jetzt verorten statt in Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsangst. Commitment bedeutet Entschlusskraft zu stärken, eine Wahl zu treffen und in eine bestimmte Richtung zu gehen, auch mit dem Mut, dieses wieder zu korrigieren, wenn man davon abgewichen ist.
Zum anderen ist da noch die Schematherapie. Sie fokussiert auf die Veränderung des emotionalen Erlebens. Die in Kindheit und Jugend durch Bedürfnisfrustration erlernten Schemata hindern uns heute an einer angemessenen Erfüllung aktueller Bedürfnisse, diese Muster sollen erkannt und verändert werden. Die therapeutische Beziehung nimmt eine zentrale Rolle ein, hierbei aktiv, fürsorglich und teilweise elternartig.
Was ist mit den Therapieverfahren, die keine Kassenzulassung haben? Welche sind empfehlenswert?
Verfahren ohne Zulassung sind grundsätzlich selbst zu finanzieren, deshalb aber nicht unbedingt besser oder schlechter. Es gibt unter anderem Heilpraktiker Psychotherapie, systemisch arbeitende Therapeuten oder Angebote mit körpertherapeutischem Schwerpunkt. Das muss dann jeder für sich selbst herausfinden. Eine große Wirkvariable bei der Behandlung ist die Passung zwischen Therapeut und Patient. Man muss sich wohlfühlen. Die therapeutische Beziehung hat einen sehr großen Stellenwert für die Wirkung der Verfahren. Wenn wir allerdings von einer schweren depressiven Symptomatik sprechen, dann empfehle ich, zuallererst einen psychologischen Psychotherapeuten oder einen Facharzt aufzusuchen.
Für Angehörige von depressiv Erkrankten ist es meist auch schwer, damit umzugehen …
Für Angehörige ist es in der Tat sehr herausfordernd. Sie können helfen, aber nicht heilen. Angehörige sind emotional verquickt, leiden mit. Eine Depression verändert auch die Beziehungsdynamik. Der Erkrankte hat plötzlich einen riesengroßen Einfluss auf das, was ein Paar gemeinsam tut und vor allem nicht tut.
Was können Angehörige tun?
Zu Beginn einer depressiven Symptomatik kann es unter Umständen erst einmal helfen, den anderen zu aktivieren oder auf andere Gedanken zu bringen. Der Betroffene soll das Gefühl bekommen, dass man Interesse hat, zuhört und keine Vorwürfe macht. Bleiben sie geduldig und unterstellen keine Schuld, niemand wird freiwillig depressiv. Sie können ermutigen, sich Hilfe zu suchen, oder den Betroffenen sogar zu Ärzten oder Psychotherapeuten begleiten. Das gemeinsame Leben kann in solch einer Phase ganz schön anstrengend werden.
Was können Angehörige für sich selbst tun?
Sie sollten eigene Überforderung vermeiden, Belastungsgrenzen wahren und selbstständige Aktivitäten und Kontakte nicht vernachlässigen. Sie sollten die Depression als Krankheit akzeptieren, sich Bücher über das Thema besorgen und informieren. Eine Selbsthilfegruppe kann nicht nur für den Betroffenen sondern auch für Angehörige unterstützend wirken. Bei uns hier in der Klinik laden wir gerne zu Paargesprächen ein, um dem Angehörigen genau zu erklären, was eine Depression ausmacht, welche Zusammenhänge bestehen und was der einzelne tun kann. Das soziale Umfeld ist von dieser Erkrankung immer mit betroffen.
Wie reagiert man im Ernstfall? Der Partner hat sich zum Beispiel im Zimmer eingeschlossen und droht, sich umzubringen.
Den Betroffenen nicht allein lassen und zuhören. Sie sollten den behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten informieren, gegebenenfalls zum gemeinsamen Weg in die nächstgelegene Psychiatrie ermutigen. Wenn dies nicht möglich ist, scheuen Sie sich nicht den Notarzt zu rufen. Wenn ein Betroffener nicht kooperativ ist, kann die Polizei auch gegen seinen Willen eine Einweisung in die Psychiatrie begleiten.
Frauen sollen angeblich öfter daran erkranken?
Studien gehen von einer mindestens doppelt so großen Häufigkeit dieser Erkrankung bei Frauen im Vergleich zu Männern aus. Ob dies wirklich so ist, kann aber auch in Zweifel gezogen werden. Die Zahlen ergeben sich aus der Häufigkeit einer gestellten Diagnose. Und die wird gestellt, wenn ein Arzt kontaktiert wurde. Frauen suchen sich viel schneller Hilfe als Männer. Männer erleben Depressionen anders als Frauen, schildern ihre Symptomatik anders. Die Diagnose Depression wird womöglich bei Männern seltener gestellt. Das ist so ähnlich wie die Frage, ob es heute mehr Depressionen gibt als früher. Heute sind Ärzte in Bezug auf Depressionen besser ausgebildet, es gibt mehr psychologische Psychotherapeuten, die Diagnose wird eher gestellt und die Krankheit häufiger behandelt. Ich denke nicht, dass depressive Erkrankungen wesentlich zugenommen haben.
Gibt es auch Depressionen bei Kindern und Jugendlichen?
Ja, sie gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in diesen Altersstufen. Sie geht zudem häufig mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, somatoformen Störungen oder ADHS einher, was eine Diagnose zusätzlich erschwert. Um die altersabhängigen Besonderheiten der Symptomatik zu erkennen, sollte hier unbedingt ein Kinderarzt oder Kinder- und Jugendpsychiater beziehungsweise -psychotherapeut zu Rate gezogen werden. Auch hier gilt es, keine Scheu davor zu haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie ist die Prognose bei einer Depression?
Grundsätzlich sind Depressionen gut behandelbar, entweder mit Psychopharmaka und Psychotherapie. Eine Depression zeichnet sich in der Regel durch eine zeitlich begrenzte Krankheitsphase aus, die häufig aber auch ohne therapeutische Maßnahmen wieder abklingt und auch mit vollständiger Symptomfreiheit einhergehen kann. Bleiben wenige Symptome weiter bestehen, erhöht sich das Risiko für eine erneute Krankheitsepisode. Jeder fünfte kann im Laufe seines Lebens an einer Depression erkranken, jährlich haben wir etwa sechs Millionen depressiv erkrankte Menschen in Deutschland.
Die Median Klinik Berus ist auf psychosomatische Erkrankungen spezialisiert und genießt einen sehr guten überregionalen Ruf. Die Patienten können in zwei Bereichen behandelt werden: in der psychosomatischen Reha oder im psychosomatischen Fachkrankenhaus.
Adresse:
Orannastraße 55
66802 Überherrn-Berus
Telefon 06836-390
berus-kontakt@median-kliniken.de
Neben der stationären Behandlung gibt es eine Trauma-Ambulanz: 06836-39160 oder 06836-39555