Rosemary und Frederick West gelten als freundliche und hilfsbereite Nachbarn. Doch hinter ihrer bürgerlichen Fassade verbirgt sich das Grauen.
Es ist ein anonymer Anruf, der den Fokus der Kriminalpolizei auf das Ehepaar Frederick und Rosemary West aus der beschaulichen, mittelenglischen Stadt Gloucester lenkt. Die Vorwürfe der jungen Anruferin, die ihren Namen auch auf wiederholte Nachfrage nicht nennen will, sind hart: Der 52-jährige Bauarbeiter und seine 39 Jahre alte Frau sollen ihre vermisste Tochter Heather Ann ermordet und in ihrem Vorgarten in der Cromwell Street 25 vergraben haben. Als die Polizei daraufhin das Haus und den Garten der Familie durchsucht, verschlägt es sogar den gestandenen Ermittlern die Sprache.
Neben den zerstückelten Überresten von Heather stoßen die Beamten auf insgesamt elf weitere weibliche Leichenteile. Viele der verwesten menschlichen Überreste weisen auf bestialische Folterungen hin. Manche der Schädel sind in Folien eingewickelt, andere werden nur noch von verrottenden Ledergürteln zusammengehalten.
Das Ehepaar West wird sofort verhaftet, doch die Gerichtverhandlung, in der Frederick West wegen Mordes in zwölf Fällen verurteilt werden soll, erlebt der Serienkiller nicht mehr. Der bullige Bauarbeiter entzieht sich der Strafe, indem er sich mit einem Bettlaken in seiner Zelle erhängt. Seine Ehefrau Rosemary bekommt lebenslange Haft. Als Mittäterin muss sie sich für zehn Morde an jungen Frauen verantworten – unter den Opfern sind sogar ihre beiden Töchter.
Doch wie kommt es überhaupt zu der haarsträubenden Mordserie eines unscheinbaren Ehepaares, das von seinen Nachbarn als stets freundlich und hilfsbereit beschrieben wurde? Die Kriminologen sehen einen möglichen Grund in der Kindheit der späteren Ehepartner, auch wenn die Vermutung nur eine Hypothese ist und nicht eindeutig belegt werden kann.
Frederick West kommt 1941 als zweites von insgesamt sechs Kindern des Landarbeiters Walter Stephen West und der Hausfrau Daisy Hannah zur Welt. Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. An manchen Tagen bekommen die Kinder nicht mal etwas zu essen. Während der Ermittlungen soll West stets betont haben, wie martialisch sein Vater gegenüber den Familienmitgliedern vorging. Demnach gehörten sexueller Missbrauch und Folterung zu seiner Kindheit dazu. Sein Vater soll sich immer wieder an seinen jüngeren Schwestern vergangen haben und hätte sogar seinen Sohn gezwungen, es ihm gleichzutun. „Er sagte mir immer, ich kann mit ihnen machen, was ich möchte", schildert West in einem seiner letzten Interviews. „Ich dürfe nur nicht erwischt werden". Mit zwölf Jahren soll West seinen Angaben nach von seiner Mutter missbraucht worden sein – vor den Augen seines Vaters. „Missbrauch und Vergewaltigung gehörte bei uns eben zur Normalität", sagt der Mörder.
Eine Kindheit voller Gewalt
Auch wenn der junge West handwerkliche begabt zu sein scheint, fällt ihm das Lernen sehr schwer. Mit 15 Jahren bricht er die verhasste Schule ab und treibt sich lieber auf den Straßen herum oder fährt mit seinem Motorrad ziellos durch die Gegend. Mit 17 Jahren verschuldet er einen Unfall, stürzt von seinem Motorrad und erleidet einen Schädelbasisbruch sowie eine Beinfraktur. Nach Angaben seiner jüngeren Geschwister, die übrigens alle Vorwürfe elterlichen Missbrauchs abstreiten, verändert der Unfall die Persönlichkeit von Frederick West. Er wird als zunehmend aggressiv und gewalttätig beschrieben. Zwei Jahre später stürzt West von einer Feuerwehrleiter und liegt 24 Stunden im Koma. „Das hat ihm vermutlich den Rest gegeben", erzählt sein Bruder Doug. „Ab diesem Zeitpunkt war er einfach unberechenbar."
Im Alter von 20 Jahren entgeht West nur knapp einer Anklage wegen Kindesmissbrauchs an einem 13-jährigen Mädchen aus seiner Nachbarschaft. Ein befreundeter Arzt attestiert ihm epileptische Anfälle, und West plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit. Es kommt zum endgültigen Bruch mit seiner Familie.
Doch er bleibt nicht lange allein. Nach nur einem Jahr heiratet er seine alte Bekannte Catherine Bernadette Costello. Rena, wie die junge Frau von ihren Freiern genannt wird, ist eine polizeibekannte Diebin und Prostituierte. Liebe und Zuneigung gibt es in der Ehe nicht. Wenn Rena ihrem Beruf nachgeht, wird sie anschließend von West geschlagen. Bringt sie kein Geld nach Hause, ist West nicht weniger wütend und prügelt auf seine Frau ein. „Wir haben uns immer wieder getrennt", berichtet West während der Ermittlungen. „Aber sie kam immer wieder zurück. Warum das so war, kann ich nicht sagen."
Mit 29 Jahren trifft der immer noch verheiratete West auf seine spätere Frau Rosemary Pauline Letts. Ihre Begegnung beschreibt der Serienkiller als ungewöhnlich romantisch. „Als ich sie zum ersten Mal sah, hab ich mich gleich in sie verliebt", schwärmt er. „Sie hatte diese großen braunen Augen und zu einem Pagenkopf geschnittene braune Haare. Eine wahre unschuldige Schönheit."
Der Schein trügt allerdings. Die 15-jährige Rosemary – zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens noch ein halbes Kind – hat schon ein wahres Martyrium hinter sich. Gewalt und Missbrauch bestimmen die Kindheit des Mädchens. Ihre Mutter, die als Krankenschwester arbeitet, leidet an schweren Depressionen. Ihr Vater ist schizophren und misshandelt nicht nur seine Ehefrau und Rose, wie Rosemary gennant wird, sondern auch ihre jüngeren Geschwister. Rose ist in sich gekehrt und gilt als aggressiv. Sie kommt in der Schule nur schwer mit anderen Kindern in Kontakt. Meist bleibt das Mädchen für sich allein. Die mögliche Parallele einer schwierigen Kindheit schweißt das spätere Ehepaar West zusammen, mutmaßen die Kriminologen. Gleichzeit fördern sie die Gewaltbereitschaft der Partner, die in bestialischen Morden mündet.
Rose reagiert dankbar auf die Avancen des jungen Mannes. Kurzerhand ziehen sie zusammen. Während ihres gemeinsamen Lebens – rund 25 Jahre verbringt das Paar in dem ärmlichen Häuschen in Gloucester in direkter Nachbarschaft zur örtlichen Kirche – bekommen die beiden acht Kinder. Dennoch ist das gemeinsame Leben alles andere als eine Familienidylle. Es scheint, als hätte Frederick auch für seine Frau Rose keine tiefergehenden Gefühle. Vielmehr sieht er die junge Frau als Sexualobjekt. Sie wiederum ist ihrem Mann hörig, geht für ihn sogar auf den Strich. Auch als Frederick West mit seinem Eiswagen einen dreijährigen Jungen überfährt – zu diesem Zeitpunkt schlägt sich Fred als Tagelöhner durch und bessert das Familienbudget mit Eisverkauf auf – bleibt sie bei ihm.
Mit Eiswagen Kind überfahren
Das ändert auch nicht die Ankunft seiner leiblichen Tochter Charmaine aus der ersten Ehe mit Rena Costello. Rose nimmt sie zunächst sogar in die Familie auf, tötet das Mädchen dann aber, als Frederick wegen Diebstahls eine kurze Strafe im Gefängnis verbüßt. Bei den Ermittlungen erklärt Frederick West den ersten Mord im Jahr 1971 als einen Akt der Verzweiflung. „Sie war total überfordert mit unseren Kindern", nimmt er seine spätere Mittäterin in Schutz. „Und dann musste sie sich plötzlich auch noch um meine Tochter kümmern."
Rosemary geht auch gegen die eigenen Kinder vor. Am meisten bekommt die älteste Tochter Heather ab. Wenn mal das Geld nicht reicht oder ihre Freier sich wieder mal an Rosemary abreagiert haben, prügelt sie immer wieder auf ihre minderjährige Tochter ein. So sehr, dass sie dann im Alter von gerade mal 16 Jahren an den Folgen eines Schädelbruchs – Rose tritt dem Mädchen regelmäßig gegen den Kopf – verstirbt. „Damals sagten wir, das Heather einfach abgehauen ist", erzählt Frederick West den fassungslosen Ermittlern bei der Befragung. „Die Nachbarn haben es uns dann einfach abgekauft."
Die Leute haben sogar Mitleid mit den Wests. Während der Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Familie durchaus Ansehen in der Gemeinschaft genießt. „Sie sind nicht unbedingt beliebt", sagt der Kriminalpolizist bei der Verhandlung. „Aber sie werden geachtet." Der bullige und kräftige Fred ist ein gern gesehener Helfer. Immer wieder bietet er den Nachbarn von sich aus Hilfe an. „Wenn jemand etwas bauen oder im Garten umgraben wollte – ich habe immer geholfen", verkündet er stolz. „Das haben die Menschen geschätzt."
Was parallel in der Cromwell Street 25 vorgeht, bekommt offenbar niemand mit. Immer wieder lockt das Ehepaar mit lukrativen Annoncen junge Frauen ins Haus. „Wir suchten in Zeitungen nach Kindermädchen und boten ihnen Kost und Logis an", beschreibt der Mörder sein Vorgehen. Parallel spricht das Ehepaar auch junge Frauen auf der Straße an. „Am liebsten waren uns junge Frauen, die von zu Hause abgehauen sind", bringt er es auf den Punkt. „Nach ihnen wird nur selten gesucht."
Einmal in den Fängen der Wests, werden die Frauen gequält und vergewaltigt. Dafür baut Frederick sogar ein eigenes „Porno-Studio" im Keller seines Hauses aus. Dorf finden die Ermittler Gürtel, Peitschen, Ketten, Seile und Handschellen, mit denen die Opfer auf brutale Art und Weise hingerichtet werden.
Insgesamt 20 Jahre, von 1967 bis 1987, dauert die Mordserie im beschaulichen Gloucester an. Erst mit dem Anruf der Unbekannten – die Kriminalpolizei stellt die Vermutung auf, dass es eine der jungen Frauen ist, die Fred und Rose entkommen konnten – kommen die bestialischen Verbrechen ans Tageslicht.
Bis zu seinem Selbstmord zeigt Fred keine Reue. Seine inhaftierte Ehefrau verlobt sich am 1. September 1997 mit Stephen Saliwon – so wie ihr Ehemann Fredrick ist auch Saliwon ein Sexualverbrecher.