
In Deutschland polarisiert Volksmusik – da sie meist mit Klischees, aufgesetzter guter Laune und üppig ausgestatteten Fernsehshows in Verbindung gebracht wird. Anders ist das beispielsweise in Skandinavien oder im angelsächsischen Raum, wo Folk Music mit Stars wie Joan Baez oder Bob Dylan Musikgeschichte geschrieben hat.
Dass Volksmusik bei uns einen schlechten Ruf hat, liegt auch an unserer Vergangenheit. Heimatliche Klänge wurden für die nationalsozialistische Propaganda missbraucht, was dem Genre ein sehr zweifelhaftes Image bescherte. So gibt es heute sowohl unverwüstliche Fans all jener Veranstaltungen, bei denen glatt gestylte Folkloretruppen eine heile Welt heraufbeschwören, als auch jene, bei denen die bloße Erwähnung des Begriffs schon für Naserümpfen sorgt. Vielleicht zu Unrecht, wenn man der Musik, den Texten und ihrem Ursprung wirklich auf den Grund geht. Denn sind nicht die oft verpönten „Volkslieder" Geschichten und Klänge aus längst vergangenen Zeiten? Ein musikalisches Erbe mit unglaublichem Potenzial, das überhaupt nicht rückwärtsgewandt sein muss, im Gegenteil, sogar das Zeug zur Avantgarde hat.
Das jedenfalls finden eine ganze Reihe gut ausgebildeter junger Musiker – in Deutschland und den europäischen Nachbarländern. So wie beispielsweise das österreichische Duo „Ramsch und Rosen" mit Julia Lacherstorfer und Simon Zöchbauer. Contemporary Folk nennt die Sängerin, die auch Geige und Bratsche spielt, selbstbewusst ihre Stilrichtung. Im oberösterreichischen Bad Hall wurde die heute 33-Jährige in eine musikalische Familie geboren. Die Mutter spielte Kontrabass, der Vater Dudelsack und Drehleier, der Großvater Akkordeon. Im Alter von sechs Jahren begann das Mädchen, das gern Jodelmusik hörte, Geige zu lernen. Für sie ist Volksmusik wie eine innere Bibliothek, aus der sie sich bedienen kann. Julia Lacherstorfer studierte in Wien zunächst Musikerziehung, Psychologie und Philosophie. Dabei beschäftigte sie sich mit alten traditionellen Schriften aus verschiedenen Ländern und entdeckte unbekannte musikalische Welten und ihre Leidenschaft für die Improvisation. Ihr Studium im Bereich Jazz und improvisierte Musik schloss sie mit Auszeichnung ab. Mit ihrem Ensemble „Alma" gewann sie den zweiten Platz bei den „Austrian World Music Awards". 2017 erhielt „Alma" auf dem renommierten Rudolstadt-Festival den begehrten Deutschen Weltmusik-Sonderpreis „Ruth". In diesem Jahr wurde das Duo „Ramsch und Rosen" mit dem überregionalen Volksmusikpreis „Pongauer Hahn" ausgezeichnet.

Julias Duett- und Lebenspartner Simon Zöchbauer singt, spielt Trompete und Zither und komponiert auch. Der 30-Jährige wuchs genau wie Julia mit traditioneller Musik auf – darunter auch Blasmusik. Neben dem klassischen Trompetenstudium nahm er Gesangsunterricht. Sein Fokus liegt auf freier Improvisation. Simon Zöchbauer gewann mehrfach den „Austrian World Music Award" und den Preis der deutschen Schallplattenkritik. 2014 bekam er das Startstipendium für Musik des österreichischen Bundeskanzleramtes und konnte so für mehrere Monate nach New York City reisen, wo er Unterricht in Improvisation und Komposition nahm. Heute vermischen sich in seinen Kompositionen Elemente traditioneller österreichischer Instrumental- und Vokalmusik und Jazz, Klassik sowie experimentelle Musik. Derzeit arbeitet er an Kompositionen für Streichquartett und Trompete.
Musik aus den Bergen und von der skandinavischen Küste

Mit den Formationen „Federspiel" und „Ramsch und Rosen" ist er international unterwegs, gab unter anderem Konzerte in Deutschland, Italien, Tschechien, Frankreich, Spanien und Kanada. Seit 2018 sind Simon Zöchbauer und Julia Lacherstorfer nicht nur Duettpartner, sondern auch Intendanten des österreichischen Wellenklänge Festivals in Lunz am See. Die beiden sind nicht nur musikalisch, sondern auch privat ein Paar. Gekonnt verleihen sie alpenländischen Klängen einen zeitgenössischen Anstrich jenseits aller Klischees.

Während „Ramsch und Rosen" mit den Bergen verbunden sind, lieben Helene Blum und Harald Haugaard das Wasser. Vor ihrer Haustür im dänischen Fünen liegt der Wald, und der nächste Fjord ist nicht weit entfernt. Wasser spielt in der nordischen Musik eine große Rolle, auch in den Songs des Musiker-Paares – mitunter als elektronisch abgemischter „natürlicher" Sound.
Blum und Haugaard haben eine starke Verbindung zur Natur. Sie ist in ihrer Heimat Dänemark seit Langem eine gefeierte Künstlerin – schon allein wegen ihres musikalischen Könnens und ihrer ausdrucksstarken Stimme. Sie hat in Europa, aber auch in Nordamerika und Japan ein treues Publikum gefunden, das die von Ehemann Haugaard arrangierten alten dänischen Lieder zu schätzen weiß.
Harald und Helene waren noch Kinder, als sie sich in der Musikschule kennenlernten, sie war sieben, er elf. Eigentlich wollte Helene Pianistin werden. Nach Ausflügen ins Musiktheater und Opernfach suchte sie aber andere kreative Herausforderungen. Beschäftigte sich mit zeitgenössischer Lyrik, Kunst und nordischen Mythen. Helene Blums und Harald Haugaards Tonkunst bewegt sich heute zwischen den Welten und vereint Jazz, Klassik, Pop und natürlich Folk – ein Folk des 21. Jahrhunderts. Mal akustisch, mal elektronisch. Mal schnell, in die Beine gehend, zum Mitwippen und Tanzen anregend. Dann wieder melancholisch, fast meditativ.

Mit diesem Profil haben die beiden Musiker mittlerweile eine ganze Reihe von Preisen abgeräumt. Darunter auch den Preis der deutschen Schallplattenkritik oder den renommierten europäischen Folkmusikpreis „Eiserner Eversteiner". Helene Blum und Harald Haugaard wurden zu Kulturerbe-Botschaftern ernannt und haben Deutschland im Europäischen Kulturerbejahr 2018 vertreten. Ihr Projekt „The Sharing Heritage Love Tree Ensemble" ist ein Ensemble von elf Musikern aus zehn europäischen Ländern, darunter Finnland, Nordirland, Italien und Portugal. Dabei ist auch der deutsche Musiker Albin Paulus. Eine musikalische Bandbreite mit ganz unterschiedlichen Traditionen ergibt sich so.
Projekt mit Musikern aus zehn Ländern
Einige der vertretenen Künstler kann man jetzt in Berlin erleben – in der Passionskirche in Kreuzberg. Helene Blum und Harald Haugaard laden hier zu ihrem schon fast traditionellen Weihnachtskonzert ein. Einer der Gäste ist der Gitarrist Mattias Pérez, der als einer der führenden schwedischen Folkmusiker mit verschiedensten Formationen weltweit tourt.
Mit von der Partie ist außerdem die Cellistin Sophie Abraham, eine in Wien lebende Musikerin. Die genau wie alle anderen Musiker bei diesem besonderen Konzert Spaß an kreativen Grenzüberschreitungen hat.