Wyatt Earp gilt als einer der bekanntesten Helden des Wilden Westens. Bis zu seinem Tod vor 90 Jahren war er Gesetzeshüter, Glücksspieler, Saloonbesitzer und Büffeljäger. Earp hat das Bild, das wir heute noch von einem Revolverhelden haben, entscheidend mitgeprägt.
Ohne Wyatt Earp hätte es womöglich keinen einzigen John-Wayne-Film gegeben. Der berühmte Schauspieler erklärte einmal, dass er sich sein Western-Image erst aufgrund eines Zusammentreffens mit Earp zugelegt habe, den er 1928 bei den Dreharbeiten zum Film „Hangman’s House" von Regisseur John Ford kennengelernt hatte. Bis heute gilt Earp als einer der bekanntesten Helden des Wilden Westens und als der härteste Revolverheld seiner Zeit. 30 Sekunden reichten aus, um diesen Ruf für immer zu manifestieren. Länger dauerte das Feuergefecht nämlich nicht, das sich am 26. Oktober 1881 in Tombstone im US-Bundesstaat Arizona ereignete und das als Schießerei am O.K. Corral in die Geschichte eingegangen ist. Es diente als Vorbild für zahlreiche Western-Filme und ist bis heute ein Symbol für den Kampf zwischen Recht und Gesetz auf der einen Seite sowie wildem Banditentum auf der anderen.
Doch ganz so eindeutig hat sich die Sache im Wilden Westen oft nicht dargestellt. Auch für das Leben von Wyatt Earp gibt es mehr als nur eine Perspektive. Je nach Betrachtungsweise schlägt das Pendel dabei mal stärker in Richtung Held, mal stärker in Richtung Halunke aus. So urteilte Hilfssherriff Jimmy Cairns über ihn: „Wyatt Earp war ein wundervoller Beamter. Er war pflichtbewusst bis in die Haarspitzen und fürchtete sich offenbar vor nichts. Die Cowboys respektierten ihn alle und erinnerten sich seiner Überlegenheit und Autorität bei Gelegenheiten, wo er sie einsetzen musste." Seine Gegner nannten ihn dagegen einen korrupten, dienstmarkentragenden Zuhälter, der rücksichtslos die geschäftlichen Interessen der Stadt vertrat und vor allem wohl auch seine eigenen. Erschwert wird das Ganze noch dadurch, dass bei vielen Episoden seines Lebens nicht klar ist, ob sie sich auch tatsächlich so abgespielt haben, wie Earp sie später in seiner Biographie geschildert hat.
Nicht alles ist so, wie es scheint
Nicht alles ist so, wie es scheint. Das fängt schon mit dem Ort der berüchtigten Schießerei am O.K. Corral an. Eigentlich spielte sie sich nämlich in der Fremont Street an der Ecke 3rd Street ab und nicht etwa am örtlichen Mietstall (Corral), der einen Häuserblock entfernt lag.
Acht Personen waren an dem Gefecht beteiligt: Neben Wyatt Earp auf der einen Seite auch noch dessen Brüder Morgan und Virgil, der zu dieser Zeit als Deputy Marshal in Tombstone für Recht und Ordnung sorgen sollte und Wyatt und Morgan als stellvertretende Gesetzeshüter eingesetzt hatte, sowie Doc Holliday. Auf der anderen Seite Frank McLaury, Tom McLaury, Ike Clanton und Billy Clanton. Letztere gehörten einer Gruppe von Viehschmugglern und Pferdedieben an und waren schon länger mit den Earps verfeindet. Sie hielten sich auch nicht an das Verbot zum Mitführen von Waffen in Tombstone, weshalb Virgil Earp sie zur Rede stellen wollte. Doch anstatt die Waffen niederzulegen, zogen Frank McLaury und Billy Clanton ihre Revolver und spannten sie. Die ersten zwei Schüsse gaben aber wohl Wyatt Earp und Billy Clanton ab. Wyatt traf Frank McLaury in den Magen. Insgesamt wurden in den 30 Sekunden rund 30 Schüsse abgegeben. Am Ende lagen Frank und Tom McLaury erschossen im Staub, auch Billy Clanton war tot; Doc Holliday, Morgan und Virgil Earp wurden jeweils verletzt. Wyatt Earp überlebte die Schießerei dagegen unverletzt.
Die Zeitung „Daily Nugget" schrieb später: „Der 26. Oktober 1881 wird immer als einer der brutalsten Tage in den Annalen von Tombstone markiert bleiben, als Blut floss wie Wasser und menschliches Leben nicht mehr galt als ein Federball, ein Tag, der Zeuge wurde des blutigsten und tödlichsten Straßenkampfes, der jemals an diesem Ort oder sogar in diesem Territorium stattfand."
Blutige Rache für Morgan Earps Tod
In den zahlreichen Hollywood-Verfilmungen ist die Schießerei meist der Höhepunkt, doch in Wirklichkeit war es erst der Anfang der Auseinandersetzung zwischen der Gruppe um Wyatt Earp und den Cowboys. Nach dem Gefecht glich die Stadt einem Pulverfass. Als sich herausstellte, dass einige der Toten vermutlich unbewaffnet gewesen waren, wurde Earp des Mordes angeklagt, mangels Beweisen allerdings freigesprochen. Die Cowboys nahmen Rache: Erst wurde Virgil Earp auf der Straße angeschossen, später Morgan Earp beim Billardspielen erschossen. Daraufhin startete Wyatt Earp seinerseits einen blutigen Rachefeldzug, bei dem er Frank Stilwell in Tucson (Arizona) erschoss, der am Mord an seinem Bruder beteiligt gewesen sein soll. Ein Zeuge gab später zu Protokoll, er habe noch keinen Mann gesehen, der schlimmer zugerichtet wurde als Stilwell. Nachdem es zwei Tage später in Iron Springs (Arizona) zu einem weiteren Feuergefecht kam, erkannten Earp und seine Mitstreiter, dass sie nicht länger in der Gegend bleiben konnten. Im April 1882 verließen sie den Bundesstaat in Richtung New Mexico und dann weiter nach Colorado.
Eigentlich hielt es Wyatt Earp nie sonderlich lang an einem Ort aus. Geboren wurde er 1848 in Monmouth in Illinois, doch mit seinen Eltern zog er schon als Jugendlicher nach Iowa, wo die Familie eine Farm bewirtschaftete. Earp merkte jedoch früh, dass ihm diese Lebensweise nicht zusagte. Als seine älteren Brüder in den amerikanischen Bürgerkrieg zogen, wollte er sich ihnen anschließen, war mit 13 Jahren aber noch zu jung. Mehrmals riss er aus, um es trotzdem zu versuchen.
1869 bekam Earp eine Anstellung als Polizist in Lamar (Missouri), wo sein Vater als Friedensrichter diente. Nachdem seine erste Frau Aurilla und das ungeborene Kind gestorben waren, kam er jedoch selbst immer häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Veruntreuung, Dokumentenfälschung und Pferdediebstahl lauteten einige der Vorwürfe. Wyatt Earp floh aus Missouri und war nach eigenen Angaben für drei Jahre als Büffeljäger in den Great Plains unterwegs. Andere Hinweise deuten daraufhin, dass er in Peoria (Illinois) lebte und dort im Rotlichtmilieu tätig war. Auch in Wichita (Kansas), wo er ab 1874 als Gesetzeshüter tätig war, verdiente er sich als Türsteher im Bordell ein wenig Geld nebenbei.
Lange blieb er dort nicht, schon 1876 zog er weiter und wurde stellvertretender Marshal in Dodge City (Kansas). Dort entstand auch die Legende, dass Wyatt Earp eine mit 30 Zentimetern besonders langläufige Waffe getragen habe, die sogenannte Buntline Special, die aber vermutlich doch nur die Erfindung eines Journalisten war. Tatsache ist dagegen, dass Earp 1878 nach dem Mord an Dora Hand die Verfolgung des Täters aufnahm und ihn schließlich stellen konnte. Die Schauspielerin war damals landesweit ein Begriff, und die Geschichte machte Schlagzeilen von Kalifornien bis New York. Die „Dodge City Times" bezeichnete die Gruppe um Earp als das „unerschrockenste Aufgebot, das je den Abzug betätigt hat".
Berater für Filmproduktionen
Auch nach der Schießerei am O.K. Corral blieb Wyatt Earp weiter rastlos. Er lebte in Colorado, Nevada und mehreren kalifornischen Städten, wo er Saloons und Glücksspielhäuser betrieb, mit Grundstücken spekulierte sowie in zahlreiche Minen in Colorado, Idaho und Kalifornien investierte. 1897 beteiligte er sich am Goldrausch in Alaska, ehe er 1910 in Los Angeles noch einmal eine Anstellung als Polizist bekam. Zudem arbeitete er unbezahlt als Berater für diverse Western-Filme und machte so auch Bekanntschaft mit Regisseur John Ford und Schauspieler John Wayne. „Ich dachte oft an Wyatt Earp, wenn ich eine Filmfigur spielte", sagte dieser später. „Er war ein Mann, der tatsächlich das getan hat, was ich versuche, in meinen Filmen zu machen." Wayne orientierte sich in Gangart, Sprechweise und Charakter seiner Figuren eng an Earp. Damit hat Wyatt Earp das Bild, das wir heute noch von einem Revolverhelden haben, entscheidend mitgeprägt.