In schwierigen Zeiten geht es darum, die Freiheit zu verteidigen, sagt Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Der Schutz der Verfassung müsse inhaltlich neu aufgesetzt werden.
Herr von Notz, Deutschland ist sicher – oder?
Es sind außenpolitisch sehr angespannte Zeiten. Die USA haben sich durch die Präsidentschaft von Donald Trump massiv verändert. Insgesamt ist die Gemengelage komplexer und durchaus auch schwieriger geworden. In Europa stehen wir unter Druck durch den Brexit, es gibt rechtsautoritäre Regierungen, die populistisch gegen andere Staaten und die EU agieren. Auch in Deutschland gibt es Rechtsextreme, die politisch nach Verantwortung und Veränderung streben, mit einer sehr fragwürdigen Agenda unsere Verfassung betreffend. In solchen Zeiten muss sich unser Rechtsstaat behaupten. Er muss wehrhaft sein. Dabei dürfen wir jedoch keinesfalls das Spiel von Rechtspopulisten und Terroristen mitmachen und mühsam erkämpfte Freiheitsrechte willfährig opfern. Dann hätten wir schon verloren. Wir wollen hoffen, dass es in diesen schwierigen Zeiten gelingt, einen guten Weg zu finden, um unsere Freiheit zu verteidigen. Die Zeiten, in denen das auf Autopilot lief, die sind vorbei.
Wehrhaft – da kommen Dienste wie der Verfassungsschutz ins Spiel. Aber auch an ihm gibt es Kritik, so wurde ja mit dem Ausscheiden von Verfassungsschutz-Chef Maaßen der Ruf nach mehr Kontrollmöglichkeiten und Umstrukturierung laut …
Der personelle Neuanfang war richtig. Damit ist es aber nicht getan. Es gibt seit Langem eben auch strukturelle Probleme, und die löst man nicht durch reine Personalentscheidungen. Für die Lösung dieser Probleme muss man sich auch daran machen, die Struktur zu verändern. Vorschläge hierzu haben wir Grünen immer wieder gemacht.
Welche?
Wir glauben, dass der Schutz unserer Verfassung strukturell wie auch inhaltlich neu aufgesetzt werden muss. Dazu soll nach unseren Vorstellungen ein eigenes unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung eingerichtet werden, sowie ein Bundesamt für Gefahrenerkennung und Spionageabwehr. Zwei Bereiche, die heute in einem Haus sozusagen miteinander verknüpft sind, die man aber besser voneinander trennt. Damit könnte der Dienst nach unserer Meinung in seiner Arbeit insgesamt transparenter und nachvollziehbarer werden.
Die Verfassungsschutz-Mitarbeiter sollen durch ihre Analysen ein Frühwarnsystem bilden. Wie sollte so ein System aus Ihrer Sicht aussehen?
Mir ist es ein zentrales Anliegen, zwischen dieser Analysetätigkeit und dem Erkennen von grundsätzlichen Problemlagen zu unterscheiden. Für die Gefahrenabwehr ist die Polizei zuständig und bei der Analyse ist eben auch entscheidend, vor welchem Hintergrund die Behörde sich welche Bereiche konkret anguckt. Wenn man den wissenschaftlichen Gesichtspunkt dieses Prozesses, bei dem es in erster Linie um die Auswertung offener Quellen geht, deutlicher herausstreicht und bisherige Geheimhaltungslogiken überwindet, kann man mehr Transparenz, Vertrauen und politische Legitimation schaffen. Darum geht es mir. Wenn man das erreichen würde, wären wir einen ganzen Schritt weiter.
Bei den Beobachtungsbereichen scheint es ja „Moden" zu geben: Linke, Rocker, Islamisten, Rechte … Ist das noch unabhängig?
Ob es treffend ist, von „Moden" zu sprechen, weiß ich nicht. Natürlich gibt es immer wieder sicherheitspolitische Entwicklungen und Veränderungen in der aktuellen Bedrohungs- und Gefährdungslage, auf die man reagieren muss. Aber gerade, um dem Eindruck entgegenzuwirken, es gäbe derartige „Moden" oder gar politische Vorgaben, ist es zentral, dass die Arbeit der Nachrichtendienste so nachvollziehbar wie nur irgend möglich ist. Wir brauchen Klarheit bezüglich dieser rechtsstaatlichen Maßstäbe und der Analysen, die auf ihr aufbauend stattfinden. Die Kriterien müssen wissenschaftlich aufgestellt werden. Die Analyse, die man dann aus offenen Quellen gewinnt, muss nachvollziehbar sein. Die Herausforderung liegt darin, diese rechtsstaatlichen Kriterien stetig so anzupassen, dass sie auch auf neue Phänomenbereiche passen.
Aktuell regt sich die AfD über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auf – zu Recht?
Sicherlich ist die Beobachtung einer politischen Partei ein besonders sensibler Bereich. In einer Demokratie hat die AfD selbstverständlich das Recht, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Man muss sagen, dass der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz das im Innenausschuss sehr differenziert dargestellt hat. Die Frage der Beobachtung einer Partei wird nicht von anderen politischen Parteien getroffen, sondern unabhängig von dieser Behörde nach ihren Kriterien. Ich kann nur sagen, dass ich die Argumente, die ich gehört habe und die Anhaltspunkte, die es für diese Beobachtung gibt, sehr gut nachvollziehen kann. Jetzt muss man abwarten, was dabei herauskommt.
Aber ist es denn Aufgabe des Verfassungsschutzes, eine von vielen gewählte Partei zu beurteilen und im Extremfall zu verbieten?
Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte kann man immer nur sagen, nur weil eine Organisation, eine politische Partei bei demokratischen Wahlen antritt, heißt das nicht, dass sie automatisch demokratisch und verfassungsfreundlich agiert. Vielmehr haben wir die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass auch politische Parteien missbraucht werden können, um den Rechtsstaat und die Demokratie zu zerstören. Vor dem Hintergrund ist es sicherlich richtig, dass das BfV die Möglichkeit hat, die AfD unter bestimmten Umständen und einem klar vorgegeben Rahmen beobachten zu können.
Wie schätzen Sie das Vertrauen der Bevölkerung in die Überwachungsdienste ein?
Es gab den Skandal um den NSU und den Anschlag vom Breitscheidplatz. Gleichzeitig wird in den Behörden eine wichtige Arbeit geleistet für die Sicherheit unseres Landes und Anschläge werden verhindert. Aber es gibt eben auch immer wieder Probleme. Ein moderner Nachrichtendienst im Jahr 2019 muss sich immer neuen Herausforderungen stellen, denn unsere Demokratie ist von vielen Seiten unter Druck. Ein klares Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie muss die Grund-DNA von Nachrichtendiensten sein. Auch die Frage der eigenen Fehleranalyse und des Umgangs mit Fehlentscheidungen muss zeitgemäß und konsequent umgesetzt werden. Da ist natürlich die Bundesregierung in der Verantwortung. Und da kann man sich nicht immer hinter den Diensten verstecken. Die Exekutive und die Sicherheitsbehörden müssen der Verpflichtung zu diesem modernen Leitbild gerecht werden. Ich sehe durchaus noch Spielraum, wenn es darum geht, das Ansehen und die öffentliche Wahrnehmung von Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden zu steigern. Die Menschen, die dort arbeiten, tun das oft mit einer hohen Motivation, um Schaden vom Land und seinen Menschen abzuwenden. Das hat Anerkennung verdient. Gerade deswegen sind Politik und die jeweilige Behördenleitung in der Pflicht, sich so progressiv und offen aufzustellen, dass eine Fehlerkultur und das Beschreiten neuer Wege möglich ist.