Der Bund Deutscher Einsatzveteranen ist Ansprechpartner für Soldaten nach Einsatz und Krieg. Der Bundesvorsitzende Oberstleutnant a.D. Bernhard Drescher, selbst Betroffener, kritisiert das Verfahren bei Versorgungsansprüchen und fordert eine Reform des Systems. Es gebe schließlich eine „Fürsorgepflicht des Dienstherrn".
Herr Drescher, ist die Bundeswehr noch ein attraktiver Arbeitgeber?
Bei zivilrechtlicher Fort- und Weiterbildung ja. Wenn man aber sagt, mein soziales Leben mit meiner Familie ist mir wichtig, dann ist es nicht attraktiv, bei diesem Einsatzrhythmus, den die Truppe heute hat. Ich habe meinem Sohn gesagt, du musst dich entscheiden: Familie gründen, soziales Leben oder Berufssoldat. Wer heute in die Armee geht, der ist jedes Jahr in Einsätzen. Ob das die Familie mitmacht, ist die Frage. Um eine zivilrechtlich gute Ausbildung zu erhalten bei einem zeitlich befristeten Engagement, dafür ist die Bundeswehr sicherlich sehr attraktiv. Da wird ja auch viel Werbung dafür gemacht. Aber das ist ja nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ist ja auch klar: Mit Blut, Verwundung, Verzicht auf soziales Leben in der Heimat kann man natürlich keine große Werbung mit machen.
Welche Hilfe bekommen denn die Soldaten, die im Einsatz verletzt wurden?
Wenn ein Einsatzveteran körperlich oder seelisch verwundet wurde, kämpft er in diesem Land über Jahre um seine Versorgungsansprüche. Das kann in unseren Augen nicht sein. Dann darf man auch nicht erwarten, dass diese Menschen der Bundeswehr die größte Wertschätzung entgegenbringen, obwohl sie alle darauf stolz sind, was sie getan haben mit ihrem Dienst an unserem Land.
Wie sehen die Folgen aus?
Die Inkubationszeit bei seelischen Verwundungen beträgt bis zu 30 Jahre, die durchschnittliche Outingzeit zwischen fünf und sieben Jahren. Dass bedeutet, sie stehen schon wieder mitten im zivilen Leben. Jetzt entgleisen sie auf Grund ihrer seelischen Verwundung. Sie werden krank, werden arbeitslos, haben maximal 72 Wochen Krankengeld. Die sind dann schnell bei Hartz IV. Parallel dazu, wenn sie um ihre Versorgungsansprüche kämpfen, gerade bei seelischen Verwundungen, ist es sehr schwer zu beweisen, dass diese aus dem Einsatz kommen. Gerade jetzt haben wir ein Verfahren auf dem Tisch, das schon dreieinhalb Jahre dauert, aber immer noch keine Entscheidung da ist. Die Schere zwischen der Bearbeitung der Versorgungsansprüche und dem realen Leben driftet auseinander, sodass der soziale Abstieg so gut wie sicher ist. Unter diesem Aspekt sage ich, da tut der Staat nicht genug.
Reicht die finanzielle Absicherung durch die Bundeswehr überhaupt aus, wenn das Verfahren durch ist?
Wenn man die Beschädigungsrente meint, die im Zusammenhang mit der dienstlichen festgestellten Schwerbehinderung gezahlt wird, dann werden lächerliche Beträge gezahlt. Bei 30 Prozent Schwerbehinderung bekommen sie dort 146 Euro im Monat, bei 40 Prozent 199 Euro. Das ist definitiv zu wenig und grundsätzlich nicht dazu geeignet, den Menschen nachhaltig zu helfen. Das ganze System muss reformiert werden und zwar so, dass eine soziale Sicherung und Reintegration dauerhaft in das Arbeitsleben dieser Gesellschaft wieder sichergestellt werden kann. Wenn sie eine Schwerbehinderung mit einem seelischen Hintergrund haben, stellt sie so gut wie kein Arbeitgeber mehr ein. Die wissen, dass Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ein besonders schweres Syndrom einer Depression ist. Die sehen Fehltage auf sich zukommen. Die Veteranen kriegen eine Beschädigungsrente und Hartz IV, und das war es dann. Staatsdiener mit diesem Leistungshintergrund haben das nicht verdient.
Bei Ihnen wurde PTBS diagnostiziert. Gab es einen bestimmten Einsatz, der das PTBS ausgelöst hat?
Ich war 2001 in Mazedonien in einem Einsatz. Es war ja so, dass man sich in die Geschehnisse der bestimmten Ethnien nicht einmischen durfte. Was man dort gesehen hat, hat einen zur Hilflosigkeit verdammt. Hilflosigkeit ist etwas, womit ich persönlich überhaupt nicht mit klar kam. Beispielsweise habe ich einen vor meinen Augen stattfindenden Kinderhandel nicht verhindern können. Allein aus dem Grund, weil der Befehl dagegen sprach, sich dort einzumischen. Heute weiß ich, dass man so etwas moralische Verwundung nennt, weil das eigene Wertemodell zerbröselt wie ein trockenes Brot. Man fängt dann an zu reflektieren. Heute weiß ich, mein Gewissen wäre höherwertig gewesen. Aber den Grund, warum die Krankheit ausgebrochen ist, kann ich nicht an einem Punkt festmachen. Das war die Dauerbelastung.
Wie sind Sie damit klar gekommen?
Ich kann heute offen darüber reden. Meine Einsatzerlebnisse konnte ich seelisch nicht verarbeiten. Mehrere Jahre nach den Einsätzen im Jahr 2001 wurde ich arbeitsunfähig. Ich habe jahrelang die Symptome dieser psychischen Störungen verdrängt. Schlaflosigkeit, Zittern, ständig in Gedanken – alles, was so dazu gehört. Das war ein ganz breites Spektrum. Das habe ich ignoriert, bis ich dann meine erste Panikattacke beim Autofahren hatte. Ende 2008 habe ich mich dann in Behandlung gegeben, und man hat festgestellt: Herr Drescher ist körperlich völlig gesund. Da bin ich dann zum Psychiater gegangen, und dort wurde alles aufgerollt, weil ich nicht mehr arbeits- und lebensfähig war. Und dann begann das Martyrium der Therapie. Ich habe in den Jahren dazwischen nur stundenweise gearbeitet – wenn überhaupt. Dann gab es die Gelegenheit, die Armee zu verlassen. Weil ich mich als kranker Offizier als fünftes Rad am Wagen fühlte, bin ich gegangen. Ich bin aber heute wieder mitten im Leben. Die Therapie belastet meinen Tagesablauf nicht mehr. So habe ich natürlich Empathie und Verständnis für die Leute, die wir heute betreuen und die sich in derselben Situation befinden.
Wie sieht die gesellschaftliche Akzeptanz der Soldaten aus?
Als ich als Wehrpflichtiger 1980 angefangen habe, sah man den Soldat in Uniform noch an jeder Straßenecke stehen. Man sah die Bundeswehr in Dörfern und Städten zu den großen Manövern fahren. Insofern gab es da eine größere Akzeptanz, weil es eine Sichtbarkeit für die Gesellschaft gab. Das hat sich in den 90er-Jahren schon geändert. Ich bin Hamburger, und dort konnte man eigentlich schon nicht mehr mit Uniform auf die Straße gehen, weil man gelegentlich auch bespuckt wurde. Heute ist es so, dass durch die Reduzierung die Bundeswehr immer mehr aus der Fläche verschwunden ist. Es gibt Bundesländer, da ist die Bundeswehr fast nicht mehr präsent. Wie soll dann eine Bindung zur Gesellschaft entstehen? Hier fehlen auch die Impulse der Politik. Dass man in einem freien Land leben kann, durch den Schutz der Bundeswehr, da fehlt es an Wertschätzung. Die Erwartung der Soldaten an die Gesellschaft ist auch gering geworden. Man erwartet keine Dankbarkeit mehr.
Würden Sie, mit all Ihren Erfahrungen, Ihren Kindern empfehlen, zur Bundeswehr zu gehen?
Mein Sohn ist seit 15 Jahren Berufssoldat. Ich habe ihn damals nicht beeinflusst, habe ihm seine Fragen offen und ehrlich beantwortet. Aber zu dem Zeitpunkt war ich auch noch gesund. Es ist schwer. Wenn ich als ehemaliger Bundeswehrangehöriger sicher wäre, dass das Soldatengesetz, speziell der Paragraf 31, der die Fürsorge des Dienstherren gegenüber seinen Soldaten und dessen Familie auch nach der Dienstzeit festschreibt, auch eingehalten wird. Wenn man sicher wäre, dass dieser Paragraf erfüllt wird, dann würde ich heute noch sagen: Jawohl, es ist ein Beruf, der sich lohnt für unsere Demokratie, für unsere Freiheit und für unseren sozialen Frieden. Aber es ist unsicher, dass dieser Paragraf mit Leben erfüllt wird. Das erleben wir als Verband, dass sich hier verdammt wenig getan hat. Wir haben 700 Mitglieder und betreuen etwa 500 Familien, von denen 80 Prozent um ihre Versorgungsrechte und um ihre Therapien kämpfen. Und ich würde somit heute meinem Sohn sagen, im letzten Abschnitt deines Lebens ist nicht sichergestellt, dass sich um dich gesorgt wird, so wie es im Gesetz steht, falls dir etwas passiert. Überleg dir das genau.