Wir brauchen eine neue Ökonomie, die nicht nur auf Gewinnmaximierung aus ist, sagt Günter Faltin. „Viele Davids können die Goliaths zähmen", macht er Neu-Unternehmern am Beispiel seiner Teekampagne Mut.
Herr Faltin, für Sie sind die „Davids", die kleinen Unternehmer oder Gründer, die Helden. Aber mal ehrlich: Sind Sie denn selbst nicht inzwischen mit Ihrer Teekampagne eher ein Goliath?
Ein David, aber ein erfolgreicher. 0,01 Prozent des Teeumsatzes der Welt läuft über uns. Die Teekampagne ist bei Tee aus Darjeeling der größte Händler weltweit. Darjeeling ist ein kleines Gebiet, aber außergewöhnlich durch seine Lage: Die Höhe im Himalaja mit intensiver Sonnenstrahlung, die steilen Hänge und die Winterpause machen den Tee von dort außergewöhnlich aromatisch.
Wie kann man denn mit einem so traditionellen Produkt wie Tee erfolgreich werden? Viele Innovationen am Produkt sind da ja nicht drin.
Wir waren Dilettanten, als wir 1985 damit anfingen. Ich verstand nichts von Tee, ich war Kaffeetrinker. Aber du musst nicht Experte sein, um bei etwas Erfolg zu haben. Sicher, man wird dann im Laufe der Zeit Experte, aber am Anfang ist es eher schädlich.
Wieso – was kann der Außenseiter denn besser?
Er bringt neue Sichtweisen mit. Wir haben uns damals gewundert, dass der Tee im Laden das Zehnfache dessen kostet, was der Teepflanzer dafür bekommt. Das kann doch nicht sein.
Wer verdient denn die restlichen 90 Prozent?
Es ist das Marketing, das den hohen Preis verursacht. Der Tee wird über ein halbes Dutzend Zwischenhändler zum Kunden in Deutschland gebracht. Jeder verdient daran. Außerdem wird der Tee oft in Kleinstpackungen à 50 oder 100 Gramm verkauft. Das macht ihn zusätzlich teuer. Völlig unnötig. Wir haben gesagt, wir verkaufen ihn im Kilo zu einem Preis von einem Drittel der Konkurrenz. Das war damals ein Skandal! Einer der Teehändler hat gesagt, zu dem Preis müsse es Stroh sein, was wir verkaufen.
Sie wurden also als Außenseiter von der Branche bekämpft. Schadete das, oder half es nicht vielmehr beim Erfolg?
Aufmerksamkeit war sehr wichtig für uns. Man kann als kleiner David viel erreichen. Man muss seinen Kopf einsetzen. Kopf schlägt Kapital, ist meine Devise. Früher war das anders, da war Kapital der Engpass. Heute ist das nicht mehr so.
Stichwort Aufmerksamkeit: Dafür gibt es ja in den meisten Großunternehmen das Marketing.
Es gibt verschiedene Arten von Marketing. Das eine ist, das Produkt zum Kunden zu bringen. Das ist immer nötig. Das andere ist, Aufmerksamkeit zu erzielen und bekannt zu werden. Das kann man anders erreichen als durch teure, aufwendige Werbung. Bei der Teekampagne erreichten wir Aufmerksamkeit durch ein gutes Produkt, einen günstigen Preis, fairen Handel und Schonung von Natur und Ressourcen. Der Rest geht dann von Mund zu Mund. Bei uns war das so. Heute haben wir 200.000 Kunden.
Sie gingen also schon in den 80er-Jahren viral?
Ja, wir waren und sind viral, ganz ohne die großen Digitalkonzerne.
Lässt sich Ihre Idee auch auf ganze Volkswirtschaften übertragen?
Ich glaube ja. Sehen Sie das Beispiel iPhone. Dessen Herstellungskosten betragen nur ein Viertel des Ladenpreises. Ein Hemd kostet in der Herstellung in Vietnam nur ein bis zwei Euro. Die Lohnkosten dort machen dabei nur etwa ein Prozent des Ladenpreises in Deutschland aus. Es ist also völlig unnötig und sinnlos, an den Lohnkosten zu sparen. Wir müssen den schweren Marketing-Rucksack abwerfen. Wieviel wird sinnloserweise in den Markenaufbau gesteckt, um einem Produkt den Schein von Besonderheit zu geben? Etwas, von dem der Kunde gar nichts hat. Hier können wir Ressourcen sparen, und zwar ganz erheblich, ganz ohne Konsumverzicht.
Aber so markentreu sind doch viele gar nicht – wollen die Kunden nicht auch mal eine Abwechslung?
Woher sollte bei einem wirklich guten Produkt das Bedürfnis nach Abwechslung kommen? Wenn ich einen hervorragenden Rotwein sehr günstig bekomme, warum sollte ich dann einen anderen Wein kaufen, der schlechter und teurer ist? Wer einmal einen anderen Tee probieren möchte, kann das gerne tun. Er kommt bestimmt irgendwann wieder zu uns zurück.
Die Mode lebt von der Abwechslung, da kommen Sie nicht weit mit Ihrer Idee!
Das ist Geschmackssache. Ich trage seit 20 Jahren die gleiche Kombination aus heller Hose und schwarzem Hemd. Mir gefällt das, und ich bekomme sogar Komplimente dafür. Es gibt für mich keinen Grund, das zu ändern.
Den meisten Menschen sind aber sichere Arbeitsplätze sehr wichtig, und die müssen durch neue Produkte immer wieder neu geschaffen werden.
Die neuen Arbeitsplätze entstehen heute in Start-ups, in kleinen und mittleren Unternehmen. Die Großunternehmen bauen seit den 1980er-Jahren Arbeitsplätze ab. Darüber hinaus sind die Menschen in diesen Großunternehmen oft nicht glücklich mit ihrer Arbeit. Laut Umfragen sind bis zu 70 Prozent ihrer Mitarbeiter in einem Zustand der inneren Kündigung. Von diesen kommen keine Ideen, keine Impulse. Sie interessieren sich auch nicht wirklich für den Kunden. Ein großes Manko vieler solcher Unternehmen ist ihr Mangel an Glaubwürdigkeit. Da hat der David seinen großen Vorteil. Die großen Unternehmen, die Goliaths, haben ihre Glaubwürdigkeit zu oft verspielt.
Großunternehmen sind aber oft auch die profitabelsten Unternehmen. Welche Rolle spielen Gewinne in unserer Wirtschaft?
Ich habe nichts gegen Gewinne. Ein Unternehmer muss Gewinne machen, allein schon, um Rücklagen für schlechte Zeiten zu bilden. Aber absurd wird es, wenn allein die Maximierung der Gewinne oberstes Ziel ist. Daraus folgt ja logisch, dass es die Qualität der Produkte oder die Umwelt nicht sind. Um Umsatz und Gewinne zu steigern, müssen die Konzerne Bedarf künstlich wecken, obwohl die Bedürfnisse der Menschen ja erfüllt sind.
Ist das nicht eine sehr deutsche Sicht? Wie sehen das denn Ihre Erntehelfer in Indien?
Sicher, das ist die Lage in Deutschland. Wir leben in einer Art Schlaraffenland. Als ich Kind war, war das Schlaraffenland ein Märchen. Wir haben nicht im Traum gedacht, dass wir einmal so viel Kuchen oder gar Torte essen können, wie wir wollen. Aber wenn alle so leben wie wir heute, überfordert das unseren Planeten. Wir sind Vorbild für die ärmeren, aber bevölkerungsreichen Länder der Welt – ob wir das wollen oder nicht. Der westliche Lebensstandard aber ist global unmöglich. Deshalb müssen wir sparen. Fangen wir dort an, wo es am Wenigsten wehtut. Das ist das Thema unserer Generation. Lassen wir die Verschwendung sein. Fangen wir mit dem Marketing-Rucksack an. Das tut nicht weh. Die Art von Ökonomie, wie wir sie heute betreiben, wird uns um die Ohren fliegen. Eher früher als später.
Was schlagen Sie vor? Nicht jeder kann ein Unternehmen gründen.
Jeder kann etwas tun. Jeder Geldschein im Portemonnaie ist ein Stimmzettel, mit dem wir abstimmen können – für eine bessere Ökonomie. Für Produkte mit längerer Haltbarkeit, weniger Ressourcenverbrauch, weniger Markengesäusel. Wir müssen nicht jedem Kaufimpuls folgen, jedem frechen Werbeauftritt glauben.
Sie wollen eine andere, neue Wirtschaft. Wie geht das ganz konkret?
Hören wir auf, Wasser in Flaschen einzukaufen. Wasser von Unternehmen wie Nestle oder Coca Cola. Trinken wir lieber Leitungswasser. Alle Tests dazu, auch der Stiftung Warentest, sagen, dass Wasser aus dem Wasserhahn nicht schlechter, eher besser ist als aus Flaschen. Ökologisch ist das Leitungswasser sage und schreibe um den Faktor 300 weniger Ressourcen verschlingend als Wasser aus Flaschen. Ein kleiner, aber erster Schritt zu intelligenterem Wirtschaften. Wir können Ökonomie besser. Ohne Verschwendung beim Marketing und ohne ständig neue Bedürfnisse herauszukitzeln. Wir dürfen die Welt nicht den Goliaths überlassen.