Die gebürtige Norwegerin Vera Bartholomay hat einen ungewöhnlichen Lebensweg beschritten, der sie schließlich in die Selbstständigkeit führte. Ihre Erfahrungen hat die Therapeutin in einem Mutmachbuch für angehende Freiberufler veröffentlicht.
Vera Bartholomay hat schon früh in ihrem Leben Mut bewiesen, und ihre Abenteuerlust hat sich gelohnt. Auch wenn es für sie, wie sie findet, eben einfach ihr Leben ist, ist ihr Weg mit Sicherheit nicht alltäglich. Dass die gebürtige Norwegerin direkt nach dem Abitur nach Deutschland kommen würde und erst als Übersetzerin und mittlerweile als Therapeutin und Autorin arbeitet, hätte sie sich so wahrscheinlich nicht träumen lassen. Mittlerweile ist sie seit über 30 Jahren selbstständig und weiß zu schätzen, dass sie einen Beruf gefunden hat, der all ihre Interessen und Fähigkeiten „ganz genial vereint in einer Art und Weise, die man nicht hätte planen können", wie sie sagt. Bis sie an diesen Punkt kam, hat sie viele Erfahrungen gesammelt, die sie nun mit anderen teilen möchte. Gerade hat sie ein Buch veröffentlicht, das sich an alle Menschen richtet, die mit einem Herzensprojekt den Weg in die Selbstständigkeit wagen wollen.
„Man wird schnell in eine Rolle gedrängt"
Bartholomays Geschichte beginnt auf einer kleinen Insel an der norwegischen Südküste. Rundherum Natur, draußen das Meer. Wo für viele der perfekte Urlaubsort ist, wächst Vera Bartholomay auf. Damals heißt sie noch Vera Olsen. Sie erzählt, wie traumhaft und pittoresk es in ihrer Heimat ist, mit kleinen Ortschaften und den typischen weiß angestrichenen Holzhäusern. In dieser Umgebung wird sie groß, ganz besonders liebt sie dabei schon immer die grenzenlose Weite des Meeres. Im Laufe der Zeit wird ihr die Enge und Festgelegtheit der isolierten Insel im Gegensatz dazu immer klarer bewusst. „Jeder kennt jeden, und man wird schnell in eine Rolle gedrängt", erinnert sie sich. Nach dem Abitur trifft sie deshalb eine Entscheidung. Sie will die Insel verlassen, um etwas Größeres zu sehen. Die junge Frau will es wissen. Sie entscheidet sich, nicht etwa in die nächstgrößere Stadt zu gehen, sondern Norwegen einfach ganz zu verlassen. Dass ihre Wahl dabei gerade auf Deutschland fällt, ist Zufall: „Mein Deutsch war nicht sehr gut. Ich dachte, wenn schon Ausland, dann da, wo ich die Sprache etwas besser lerne." Über Bekannte kommt sie nach Düsseldorf, und sie erinnert sich noch heute daran, was für ein Schock dieser neue Ort war, an dem ihr vor allem das Meer fehlte. Sie beginnt ein Psychologiestudium, das sie aber bald wieder abbricht. Zuerst jobbt sie, dann denkt sie darüber nach, wie sie ihr Leben weiter gestalten soll. Dabei kommt sie auf das Naheliegende: Sie spricht viele Sprachen, mittlerweile auch immer besser Deutsch. Deshalb entscheidet sie sich dafür, die Kunst der Übersetzung zu studieren. Zu dieser Zeit bieten nicht viele Universitäten einen passenden Studiengang an, eine davon befindet sich zufälligerweise im Saarland. „Ich wusste nicht, wo Saarbrücken war. Ich wusste gar nichts", sagt sie und lacht. „Man hat mich einfach hierhin geschickt." Dass sie dort hinkommt, ist also Zufall Nummer zwei. Das war vor mehr als 30 Jahren und vielleicht waren all diese Zufälle in Wirklichkeit gar nicht so zufällig wie zunächst gedacht. Denn in Saarbrücken ist Vera Bartholomay bis heute geblieben, hier hat sie ihren Lebensmittelpunkt mit Mann, Kindern, Haus und Freunden gefunden. Im Saarland ist die Norwegerin angekommen, und sie ist trotzdem immer noch über viele Grenzen hinaus unterwegs. Das bringt ihr Beruf als Therapeutin mit sich.
Nach dem Studium macht sich Bartholomay zunächst als Übersetzerin selbstständig und spezialisiert sich auf Übersetzungen vom Deutschen ins Norwegische. Schnell baut sie sich einen großen Kundenstamm auf und übersetzt vor allen Dingen Industrietexte ins Norwegische, mit denen sie erst einmal überhaupt nichts am Hut hat: „Das waren Maschinenanleitungen. Von Elektrowerkzeugen bis Hebebühnen und Schokoladenherstellungsmaschinen, dazu habe ich viel übersetzt." Einen außergewöhnlichen Effekt hat dieses eher kuriose Themengebiet auf jeden Fall. Wenn sie heute in Norwegen Elektrogeräte kauft, begegnen ihr noch immer ihre eigenen Übersetzungen, erzählt sie lachend. Ihre Wortschöpfungen haben dabei sogar direkten Einfluss auf die norwegische Sprache genommen. Wenn es ein technisches Wort, etwa für einen neuen Schwingschleifer, im Norwegischen nicht gab, habe sie eben einen neuen Begriff dafür erfinden müssen. „Und der Begriff ist heute immer noch da", sagt sie. Obwohl die Auftragslage damals gut ist, führen die Nüchternheit der Texte und die Doppelbelastung als Selbstständige und junge Mutter sie irgendwann in eine Sackgasse, in der sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gerät. An dieser Stelle kommt der nächste Zufall oder womöglich auch Wink des Schicksals in ihr Leben. Heute weiß sie, dass die Diagnose für sie wohl schlichtweg Burn-out gelautet hätte. Damals ist Burn-out allerdings noch kein Begriff, beim Arzt findet sie keine Hilfe und keine Erklärung für ihr Befinden. Damit will sie sich nicht abfinden. Sie hört zufällig von einer Heilerin, die die Technik des Handauflegens praktiziert und die gerade in Saarbrücken für einen Vortrag Station macht. Bartholomay entscheidet intuitiv, sich den Vortrag anzuhören, obwohl sie vorher eigentlich nichts damit zu tun hatte. Umso erstaunter ist sie im Anschluss an den Vortrag, weil die Referentin so gar nichts mit den esoterischen Klischees gemein hat, die man sich vielleicht vorstellen würde. „Ich bin hin und habe eine ganz normale Frau erlebt, was ich überraschend fand, und dadurch, dass sie so bodenständig und normal war, konnte ich gut annehmen, was sie erzählt hat", erinnert sich Bartholomay. Sie kümmert sich sofort um einen Privattermin und ist bereits nach zwei Sitzungen begeistert. „Das war damals für mich wie ein Wunder, dass sie das mit Energien schafft, mich wieder in Ordnung zu bringen." In ihr wächst der Wunsch zu verstehen, wie die Sache mit dem Handauflegen funktioniert. Zunächst weniger, um es bei anderen anzuwenden, sondern eher, um sich selbst zu helfen. Sie beginnt zu recherchieren und sich zu informieren. Zunächst ist sie ernüchtert: „Ich fand unendlich viel esoterischen Unsinn, den ich als technische Maschinenübersetzerin nicht für mich übernehmen konnte." Doch dann begegnet ihr eine Methode namens „Therapeutic Touch", die ursprünglich in den USA für die Krankenpflege entwickelt wurde und bewusst ohne religiöse Inhalte oder esoterische Einflüsse bleibt. „Alles, was fremd wirken könnte, ist entfernt worden, damit man es im Krankenhaus anwenden konnte, ohne dass jemand dumm guckt", fasst Bartholomay zusammen. Sie besucht Seminare und bildet sich weiter. Irgendwann beginnt sie auch, andere zu behandeln und geht voll und ganz darin auf. „So rutschte ich, ohne das groß zu wollen, in einen neuen Beruf hinein, ich habe immer mehr Leute behandelt, hatte irgendwann eine eigene kleine Praxis, habe irgendwann angefangen zu unterrichten, und das ist immer mehr geworden." Es ist sogar so viel geworden, dass sie heute davon lebt, Seminare zu geben. Sie reist durch Deutschland, die Schweiz und unterrichtet auch in Norwegen. Den Beruf als Übersetzerin hat sie lange aufgegeben.
Jeder stolpert auf dem Weg zur Selbstständigkeit
Vera Bartholomay geht mit offenen Augen durch die Welt. Was sich anhört wie eine einfache Geschichte, darin steckt viel Mut, viel Ausprobieren, Scheitern und am Ende auch Erfolg haben. Im Umgang mit Menschen profitiert sie von ihrer positiven und aufmerksamen Art. Nur so lässt sich erklären, dass sie in den vielen Gesprächen, die sie in ihren Seminaren führt, irgendwann auch ihre eigene Geschichte erkennt. Als sie immer wieder von Seminarteilnehmern hört, dass diese mit den unterschiedlichsten Projekten den Schritt in die Selbstständigkeit wagen wollen, fällt ihr, die schon ihr ganzes Leben als Selbstständige arbeitet, etwas auf. „Irgendwann habe ich erkannt, dass es ein System hat, dass alle an den ähnlichen Stellen stolpern, dass alle mit ähnlichen Fragen unterwegs sind." Deshalb beschließt sie, ihre Erfahrungen zu teilen. Im Ratgeber, den sie geschrieben hat, geht es nicht um BWL, pragmatische Leitfäden oder Formalitäten, sondern um all die Emotionen, die hinter einem solchen Projekt stecken. „Es geht um die innere Entwicklung, um die ganzen Ängste, die ganzen Fragen und die ganzen Träume", sagt sie. Sie will zeigen, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben. Und damit setzt sie genau da an, wo viele andere Ratgeber einfach aufhören.