„Residenzpflicht" heißt das internationale Kunstprojekt, bei dem zehn Künstler in diesem und im nächsten Jahr in Berliner Flüchtlingseinrichtungen arbeiten.
An diesem Mai-Montag ist es ganz schön frisch – die Temperaturen sind über Nacht ordentlich gefallen. Durch die fast lückenlose Wolkendecke blitzt nur ab und zu die Sonne hervor. Und der Wind fegt über den leeren Innenhof der Modularen Unterkunft MUF (Flüchtlingsunterkunft, die aus vorgefertigten Betonbauteilen gebaut ist, Anm. der Red.) in Berlin-Marzahn, setzt die Kinderschaukeln auf dem Spielplatz in sanfte Bewegung. Ein trist wirkendes Setting, in dem ein leuchtend gelber Farbtupfer vor dem Eingangsgebäude die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Farbtupfer, der sich beim Nähern als kleines Holzhäuschen entpuppt, das für vier Wochen das Zuhause von Manaf Halbouni ist. Der syrische Künstler ist der erste „Artist in Residence", der im Rahmen des Projektes „Residenzpflicht" an einem Kunstobjekt arbeitet.
205 Bewerber mit 53 Nationalitäten

„Residenzpflicht" geht auf eine Idee der Künstlerinnengruppe msk7 zurück. Zu ihr gehören Mona Babl, Kati Gausmann, Ricarda Mieth und Anja Sonnenburg. Finanziert wird die Initiative von den Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Stadtentwicklung und Wohnen. Die hatten ursprünglich einen Wettbewerb „Kunst am Bau" in den MUFs ausgeschrieben, zunächst nur für eine Einrichtung. Doch die Künstlerinnen von msk7 waren der Auffassung, dass Kunst in alle Modularen Unterkünfte gehöre. Schließlich wurde das Projekt „Residenzpflicht" international ausgeschrieben, 205 Bewerber mit 53 Nationalitäten reichten Projektvorschläge ein, eine Jury wählte zehn davon aus. In diesem und im nächsten Jahr sind somit je fünf Stipendiaten in fünf verschiedenen Unterkünften mit einem „mobilen Wohnatelier" zu Gast.
Für sie besteht, wie für die Geflüchteten, Residenzpflicht. Das bedeutet, sie müssen sich in einem von den Behörden festgelegten Bereich aufhalten. Die Sanitäreinrichtungen und Küchen der Einrichtungen können von den Künstlern mitgenutzt werden – so sollen sich quasi im Alltag Kontakte mit den Bewohnern ergeben. Und auch eine Annäherung an zeitgenössische Kunst, ein Austausch über kulturelle Grenzen hinweg. Mitarbeit am entstehenden Kunstwerk ist dabei ausdrücklich erwünscht.
Stipendiatin Simone Bailey aus San Francisco zum Beispiel hat vor, mit Geflüchteten eine musikalische Performance zu erarbeiten, der italienische Künstler Claudio Beorchio will untersuchen, wie ein Denkmal in der Unterkunft aussehen könnte. Und die rumänische Comic-Autorin Andreea Chirica wird bis Ende Juni in einer weiteren Modularen Unterkunft im Nordosten Berlins an einer Graphic Novel arbeiten. Der Berliner Albrecht Fersch hingegen hat bislang nur geplant, „mit nichts anzukommen und daraus etwas zu entwickeln".
Denn, so Fersch, auch als Flüchtling lasse man alles hinter sich, habe nichts außer der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Beim Träumen kann jeder fliegen
In der MUF in der Wittenberger Straße in Berlin-Marzahn baut der syrische Künstler Manaf Halbouni seit etwa zwei Wochen an einem Flugzeug – aus Holz.
Manaf schneidet schmale Leisten zurecht, die er zwischen dicken Bohlen verschraubt. Ein kurzer prüfender Blick, dann wiederholt er den Arbeitsschritt. Das Material bekam er teilweise umsonst vom Baumarkt, aus der Verschnittkiste. Teile des Grundgerüstes hat er aus Dresden mitgebracht, wo er zurzeit seinen Lebensmittelpunkt hat.
Sein Projekt hat er „The Flying Dreams" benannt. „Das Flugzeugprojekt mache ich jetzt zum dritten Mal", erzählt er. Die Idee entstand erstmals 2010 aus dem Wunsch heraus, doch wieder einmal nach Damaskus fliegen zu können. Damals tobte noch kein Bürgerkrieg in Syrien. Doch nach Damaskus zu reisen war für Manaf dennoch unmöglich. „Ich hatte kein Geld für ein Ticket, zudem hätte ich nicht einreisen können, weil ich den Militärdienst verweigert hatte." Damals wurden in Dresden gerade viele Häuser saniert, und Manaf beschloss, sich aus Bauschuttcontainern das Material für ein Flugzeug aus Holz zu besorgen. „Da habe ich mich dann immer reingesetzt und mir vorgestellt, ich fliege jetzt nach Hause."
Manaf weiß um die Parallelen zwischen zwischen ihm und den Menschen, die in den Unterkünften wohnen. „Sie sind mit dem Traum gekommen, da zu leben, wo es besser ist." Er schaut zu dem Holzgerüst und legt eine Hand auf einen Balken. „Vielleicht werden manche von ihnen abgeschoben, ironischerweise im Flugzeug, obwohl sie im Boot gekommen sind. Aber den Traum, an einen besseren Ort zu gelangen, kann man ihnen nicht wegnehmen. Dieses Flugzeug hier, das nirgendwo hinfliegen kann, steht symbolisch dafür."
Die Kinder sind fasziniert
Meistens arbeitet er allein. Ab und zu kommt ein Bewohner der MUF vorbei, schaut kurz zu, einbringen wollte sich bislang keiner. „Wenn man im öffentlichen Raum arbeitet, dauert es immer eine Weile, bis Menschen auf einen zukommen, das braucht seine Zeit. Und erst vor wenigen Tagen kam abends ein Kind mit einem Teller Essen vorbei, das seine Mutter für mich gekocht hatte." Manaf arbeitet vormittags, das sei entspannter, weil die Kinder dann in der Schule sind. „Sonst werde ich ununterbrochen mit Fragen bombardiert", sagt er lächelnd. „Das Hauptgerüst habe ich an einem Nachmittag aufgebaut. Die Kinder reichten mir die Schrauben und die Holzlatten, das war schon schön. Aber wenn man nicht aufpasst, geht etwas schief, das wäre zu gefährlich."
Nur wenige Tage noch, dann wird das erste im Rahmen des Projekts „Residenzpflicht" entstandene Kunstwerk öffentlich präsentiert. Und Manaf wird den Staffelstab an seine rumänische Ko-Stipendiatin Andreea übergeben, die Comic-Autorin. Fast im Monatstakt folgt dann Projekt auf Projekt – zwischen Literatur, Musik und Tanz und zeitgenössischer Kunst.