Italien und Griechenland öffnen sich China – und bald auch ein deutsches Bundesland? Die Handelsmetropole Shanghai sucht nach Know-how in Europa.
Es sind die kleinen Dinge, die einen aufhorchen lassen. Die Regierung eines kleinen Bundeslandes in ersten, vorsichtigen Gesprächen mit der Regierung einer chinesischen Stadt, im Klartext: Das Saarland, knapp unter einer Million Einwohner, hat das Interesse von Shanghai, Megametropole am Chinesischen Meer mit 26 Millionen Einwohnern, geweckt. Beide verbindet zweierlei: eine rege Automobil- und Zulieferindustrie und das Streben danach, in Sachen Hightech Weltniveau zu erreichen. Kein Wunder, dass beide Interesse aneinander haben – die einen, um vom Fortschritt und vom Wissen der anderen zu profitieren. Die anderen, um einen Teil des gewaltigen Marktpotenzials in Fernost zu erschließen.
„Die Zeiten haben sich geändert", erklärt Global-Retool-Chef Andreas Quak. Das Unternehmen baut Maschinen um – seit 30 Jahren ist die Global Retool Group in China aktiv. „Als ich zum ersten Mal in Shanghai aus dem Flieger gestiegen bin, standen vor dem Flughafen 100.000 Fahrräder; Arbeiter schließen in Fabriken." Mittlerweile habe sich die Mentalität gewandelt. Fleiß, Ehrgeiz, Nationalstolz beflügeln die chinesische Wirtschaft – und die Suche nach internationalen Partnern.
Im Saarland könnte China fündig geworden sein. Dafür verantwortlich ist Knut Meierfels. Er bildet mit der Partnerfirma Zengdhe Ltd. seit Jahren chinesische Azubis in Deutschland im Handwerk oder in der Pflege aus. Das deutsche Ausbildungssystem ist in China hoch angesehen. Die Shanghaier Regierung wurde darauf aufmerksam, knüpfte Kontakte über Zengdhe und Meierfels’ OuMengQiao GmbH („Brücke nach Europa") zur saarländischen Landesregierung. Im Februar reiste die Wirtschafts- und Finanzsenatorin Shanghais, Yuying Shang, zum ersten Mal ins Ausland – nach Saarbrücken – und lernte ein Bundesland kennen, das in Sachen IT, Automotive und Forschung für ihre Begriffe einiges auf engstem Raum zu bieten hat. Für sie Grund genug, das Saarland zu Chinas größter B2B-Technologiemesse, der China International Technology Fair (CSITF), als Ehrengastland einzuladen.
„Wir wollen, dass unsere Mittelständler den Politikern aus Shanghai und den chinesischen Provinzen, die uns besuchen, auf Augenhöhe begegnen", erklärt Knut Meierfels. Mitgereist ist daher auch Peter Strobel. Der saarländische Europa- und Finanzminister hat in seinem vorpolitischen Leben bereits Geschäfte mit China abgewickelt, ihm ist die Mentalität in Fernost nicht fremd. Ammar Alkassar, Innovationsbeauftragter der Landesregierung, gilt allerdings als treibende Kraft hinter den Gesprächen mit der Shanghaier Regierung.
„Wir müssen unsere Exzellenzen multiplizieren", sagt Alkassar während des Messe-Kongresses, der Saal ist voll besetzt. Im Klartext: dort Partnerschaften anzustreben, in denen die Spitzenleistungen beider Seiten gefordert sind. Die gibt es im Saarland, sei es in der Forschung oder der Hightech-Produktion, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Nanobiotechnologie oder der Künstlichen Intelligenz. „Auf uns alleine gestellt schaffen wir keine kritische Masse", sagt Alkassar. „Wir sind bescheiden, aber wir brauchen mehr Selbstbewusstsein gegenüber den chinesischen Partnern."
Das Saarland war Ehrengast in Shanghai
Das Interesse der chinesischen Fachbesucher auf der CSITF ist groß. Vor allem sogenannte Matchmaker und Anwälte geben sich die Klinke in die Hand – Unternehmensvermittler, die den deutschen Gästen eine chinesische Partnerfirma andienen möchten, und Juristen, die beweisen wollen, dass China mittlerweile keine „Copy Cat" mehr, sondern ein verlässlicher Partner geworden ist.
Ein „Saar-Valley", heißt es in Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley, sei das Ziel der Saar-Landesregierung, ein zweiter Strukturwandel hin zum IT-Land, zum Land der Elektromobilität, des autonomen Fahrens. Attraktiv für Shanghai, das sich wie der Rest Chinas anschickt, seinen Konkurrenten in aller Welt in genau diesen Disziplinen den Rang abzulaufen. Und sich dafür gleichzeitig ausländischer Hilfe bedient.
Warum genau also sollten sich saarländische Unternehmen für Partnerschaften mit der chinesischen Wirtschaft interessieren? Kürzlich ging der Seidenstraßen-Gipfel zu Ende. China und die EU verhandeln seit gut sieben Jahren über bessere Wettbewerbsbedingungen für europäische Firmen in China. In vielen Bereichen mauert der rote Riese. Dennoch ist sich auch Peking darüber im Klaren, dass es auf Dauer nur international bestehen kann, wenn es sich an gewisse Regeln hält – vor allem im Patentrecht.
„Klar ist, dass China in Sachen Software mittlerweile keinen Nachholbedarf mehr hat", erklärt Thomas Ulrich, Director Business Consulting & Analytics des IT-Beratungshauses Dextra Data. „Aber die meisten Chinesen werden hellhörig, wenn ich ihnen unsere Hardware zeige." Noch immer gilt hier „Made in Germany" als Inbegriff höchster Qualität. Aber das soll sich aus chinesischer Sicht ändern. Die Aufholjagd ist rasant.
Noch aber gibt es Berührungsängste, Skepsis gegenüber dem autoritären, repressiven Einparteienstaat. Vor den Schattenseiten Chinas verschließt Knut Meierfels nicht die Augen. „Aber klar ist, dass sich die wirtschaftliche Situation vieler Menschen verbessert hat" – von einem Land, dessen Bevölkerung rasant wuchs und in dem die Menschen noch Anfang der 60er-Jahre an Hunger litten, hin zu einem staatskapitalistischen System, das heute seine Bevölkerung weitgehend ernähren kann. Wirtschaftlich aber führt kaum mehr ein Weg an China vorbei. Dafür sorgt das Land notfalls selbst, zum Beispiel durch die „Neue Seidenstraße". 900 Milliarden Dollar investiert China in dieses Infrastrukturprojekt, das bis nach Deutschland reicht. Und wenn das kleine Saarland letztlich davon profitieren kann, sollte es das tun, ist Meierfels überzeugt: „Wollen wir zukunftsfähig bleiben, müssen wir auf dem Spielfeld stehen, mit China im Gespräch bleiben. Schon angesichts der Unsicherheiten seitens des US-Außenhandels und des Brexit. Schon heute kommen Züge aus China über die ‚Neue Seidenstraße‘ in Deutschland an. Vollbeladen. Wir müssen die Züge ebenso voll wieder zurückschicken."
China aber ist nicht nur interessiert an deutschen Produkten, sondern auch an deutschem Know-how. Steffen Hau ist für das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) nach Shanghai gereist. „Ich bin mir noch nicht sicher, was das hier wird", gibt Hau offen zu. Jedoch eröffnet sich für das ZeMA durch den Messebesuch eine Gelegenheit, die es wahrnehmen wollte. Auch das AWS-Institut, das Forschungsinstitut des Beratungshauses Scheer, ist vor Ort. „China ist nicht unser Fokusmarkt", sagt Dr. Christian Linn. Erst einmal will man den sprichwörtlichen Zeh ins Wasser stecken, ins Gespräch kommen.
Das Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) arbeitet dagegen seit Jahren mit einer chinesischen Partnerfirma zusammen. „Man braucht Geduld", erklärt Christian Conrad vom IZFP. „Geduld, um einen vernünftigen und verlässlichen Partner zu finden." Am Stand des IZFP erleben die chinesischen Besucher die Technik, mit der sich Bauteile für Autos auf Qualität prüfen lassen. Früher waren für solche Prüfungen Labore zuständig, die ein Teil prüften, während die Produktion weiterlief. Wurde ein Fehler gefunden, war unter Umständen die gesamte Produktionscharge Makulatur. Heute lässt sich jedes Bauteil mit einem Prüfsensor in wenigen Sekunden untersuchen. „Eine Verbesserung auch für die chinesische Industrie. Als unser China-Geschäft begann, gab es dort keine Qualitätshandbücher. Nicht einmal eine DIN-A4-Seite." Das hat sich heute geändert.
„Von Chinas Vision profitieren"
Auch die Fachhochschule des Saarlandes ist seit Jahren mit China eng verbunden. Martina Lehser, Professorin für Ingenieurwissenschaften, pflegt seit Langem die Partnerschaft mit der chinesischen Tongji-Universität – vor allem auf dem Gebiet der Industrie 4.0. „Wir forschen und lernen gemeinsam", fasst sie zusammen: gemeinsamer Fortschritt als verbindendes Element zwischen beiden Ländern, beide Hochschulen betreiben ein gemeinsames Lehr-Labor. Sprachhürden nimmt die Hochschule durch Chinesisch sprechende Mitarbeiter und deutschlernwillige chinesische Studenten. Großes Interesse aber herrscht vor allem am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Für KI-Forschung macht Peking bis 2030 rund 150 Milliarden Dollar locker und ist dem Innovationsführer auf diesem Gebiet, den USA, damit dicht auf den Fersen. Prof. Dr. Peter Slusallek, Wissenschaftlicher Direktor des DFKI, wird daher in Shanghai mit offenen Armen empfangen. Damit Europa in diesem Wettrennen überhaupt mithalten kann, „braucht es eine gemeinsame KI-Strategie", fordert Slusallek. Und deutlich mehr Investitionen in Bildung.
Davon ist Rolf Hartge, Gründer des Mercedes-Tuners Carlsson und heute mit seiner Edeltuning-Schmiede auf der Messe in Shanghai vertreten, überzeugt. Seinen Stand ziert ein 1,5 Millionen Euro teurer Maybach, in den ein UV-Filter eingebaut ist. Dieser bestrahlt die draußen angesaugte Luft mit ultraviolettem Licht und tötet so Viren und Bakterien ab. Details, die reiche Chinesen faszinieren. „Man muss sich vor Augen führen: China hat von allem mehr. Mehr Arbeitskräfte. Mehr Ressourcen. Mehr Geld. Unser einziger Vorsprung – noch – ist unser Wissen. Und diesen Vorsprung müssen wir uns erhalten", sagt Hartge. Sein Sohn Hendrik ist Sinologe, hat Betriebswirtschaft studiert, lebte lange in Shanghai. „Wir waren lange zu naiv", sagt er. „Die Chinesen haben eine Vision, von der die EU profitieren kann – wenn wir mehr Geld für die Bildung ausgeben." Die Ängste vor dem roten Riesen kennen beide, von Hysterie bis hin zum ökonomischen Pragmatismus ist in Deutschland die gesamte Bandbreite vorhanden. „Reden müssen wir trotz allem miteinander", sagt Rolf Hartge.
Am Ende gewinnt der saarländische Stand den Preis für den schönsten der Messe – auch wenn er anders aussah als geplant. Das ist eine chinesische Entschuldigung. Der Maybach von Rolf Hartge gewinnt den Preis für das schönste Ausstellungsstück. Das ist chinesische Höflichkeit. Die Gespräche zwischen dem Saarland und Shanghai gehen weiter, werden konkreter, es geht um Gelder und Zusammenarbeit. Das Land ist hoch verschuldet, braucht neue Investoren. Ein willkommener Kandidat für ein neues Teilstück der Seidenstraße. Und das ist chinesischer Pragmatismus.