Ein Fußballpräsident beleidigt einen Kontinent, der amerikanische Präsident gefühlt die ganze Welt. Die politische Sprache verroht – so scheint es. Kann man etwas dagegen tun? Und sollte man?
Es gebe eine allgemeine Verrohung der politischen Debatte, heißt es allerorten. Über die Pöbeleien des Aufsichtsratspräsidenten des Fußballclubs Schalke 04 regt sich ganz Deutschland auf. In den USA streitet sich die eine Hälfte der Bevölkerung mit der anderen darüber, was die ständigen Beleidigungen des Präsidenten Trump mit den Attentaten der vergangenen Tage zu tun haben. Nicht wenige fragen sich: Kann man da nicht rechtlich etwas dagegen tun?
„Im Prinzip wenig", sagt Stephan Dirks, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Hamburg. Er rät Beleidigten oder solchen, die sich als solche empfinden, meist davon ab, das Strafrecht zu Hilfe zu nehmen und zur Polizei zu gehen: „Da kommt man in der Regel nicht weit." Erfolg versprechender sei der zivilrechtliche Weg, also über Abmahnungen und einstweilige Verfügungen.
Das Strafrecht ist gegen Beleidigungen ein eher stumpfes Schwert. Beleidigungen vermischen fast immer sachlichen Streit und persönliche Angriffe. Überwiegt die Sachebene, muss man einstecken können, auch wenn unverschämte Begriffe fallen. So ist die deutsche Rechtsprechung.
Beleidigung oder Meinungsfreiheit?
Zwei Fälle vor hohen Gerichten haben dazu in letzter Zeit für Diskussionen gesorgt. Im einen Fall ging es um eine Satire des Magazins „extra 3", in der AfD-Frontfrau Alice Weidel als „Nazischlampe" bezeichnet wurde. Ein Gericht in Hamburg hat entschieden, dass das von der Meinungsfreiheit gedeckt war, weil es in einem Kontext dazu passender Äußerungen der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden geschah. Diese hatte sich nämlich selbst über die politische Korrektheit beklagt, die sie in ihrer Meinungsäußerung einschränke. In dem Fall ist die parodistische Überspitzung legitim, so das Gericht, gerade um deutlich zu machen, wohin ein Mangel an politischer Korrektheit führte. Ansonsten ist das Wort natürlich eine Beleidigung und strafbar. Es kommt also alles auf den Kontext an.
In einem anderen Fall entschied das Bundesverfassungsgericht kürzlich, dass eine Richterin den Vergleich mit „Hexengerichten" aushalten muss. Auch hier war der Kontext entscheidend, denn es ging um ein Gerichtsverfahren, das vom Streitgegner als unfair empfunden wurde und das er in seinem Ärger darüber entsprechend bezeichnet hatte.
Entscheidend ist immer, ob das Inhaltliche oder das Persönliche überwiegt. „Eine Schmähung – also eine persönliche Beleidigung – ist dann gegeben, wenn die Auseinandersetzung in der Sache zurücktritt hinter die Herabsetzung von jemandem als Person", sagt Marc Coester. Er ist Kriminologe und Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Natürlich geht es fast immer um beides, um eine Mischung. Daher müssen Gerichte regelmäßig abwägen, wie eine Aussage zu verstehen ist: Ob eine Schmähung einer Person vorliegt oder ob die Aussage im Kontext ein inhaltliches Argument „zur Sache" verfolgt.
Historisch geht es bei der Beleidigung nach dem Strafgesetzbuch um die Ehre eines Menschen. Beleidigung ist im Strafgesetzbuch, ursprünglich aus dem Jahr 1871, die Ehrverletzung eines Menschen – damals grundsätzlich eines Mannes. Es war zu einer Zeit, als Fragen der Ehre oft im Duell, also einem Zweikampf mit Pistolen oder Degen endeten. Das Duell wurde verboten, das Verbot übrigens erst 1969 aufgehoben. Genauer definiert das Strafgesetzbuch nicht, was Beleidigung ist, ebenso wenig wie das Bundesverfassungsgericht. „Man geht davon aus, dass das klar ist", so Coester. Die Herkunft der Beleidigung aus dem Begriff der Ehre des Mannes sollte man sich vor Augen führen, wenn man den überkommenen Ehrbegriff von Migranten kritisiert.
Regelmäßig müssen Gerichte daher abwägen, was höher wiegt: Die Beleidigung oder die Meinungsfreiheit. Oft stufen Gerichte niedrigerer Instanzen eine Aussage zunächst als Beleidigung ein. Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Grundrechte im Grundgesetz hebt aber diese Entscheidungen in der Regel wieder auf, weil die obersten Richter die Meinungsfreiheit in der Abwägung höher bewerten. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass kein Klima der Angst entstehen darf, das Menschen abschrecken könnte, ihre Meinung zu äußern: Die Meinungsfreiheit, so die Begründung, ist die vielleicht wichtigste Freiheit, ein konstitutives Merkmal einer freien Gesellschaft."
Ein wichtiges Urteil zum Thema Beleidigung traf das Bundeverfassungsgericht 1995: Damals sorgte der Slogan „Soldaten sind Mörder" für große Diskussionen. Das Verfassungsgericht entschied pro Meinungsfreiheit und argumentierte, juristisch gesehen können Gruppen gar nicht beleidigt werden.
Was nicht ganz stimmt. Wenn es bei der Gruppe um eine ethnisch, rassisch (was immer das ist – so steht es jedenfalls im Strafgesetzbuch), religiös eoder anderweitig abgegrenzte Gruppe geht, dann kommt der Schutz der öffentlichen Ordnung ins Spiel. Was sonst individuell als Beleidigung aufgefasst würde, ist im Fall einer solchen Gruppe Volksverhetzung – und somit strafbar.
„Nazischlampe": Okay im richtigen Kontext
Deutschlands Rechtstradition sieht damit das Thema Beleidigung von Einzelnen und von „ethnischen" oder religiösen Gruppen sehr viel ernster als etwa die USA. Dort ist die Meinungsfreiheit noch einmal wesentlich höher eingeschätzt, im Prinzip gilt sie unbegrenzt. Das allerdings hat sich auch nicht als befriedigend erwiesen. Darum hat sich in den USA in den letzten Jahren der Begriff „Hate Speech" eingebürgert. Er soll den Rassismus in den Griff bekommen – im Grunde ein Ersatz für den Paragrafen der Volksverhetzung, den die Amerikaner nicht kennen.
Ganz anders sieht es bei physischer Gewalt aus. Hier gibt es in den USA das Konzept „Hate Crime", also Gewalt aus Hass. Da gilt in Strafprozessen generell das doppelte Strafmaß. Hate Crime wird nun dem Attentäter von El Paso in Texas vorgeworfen, der 20 Menschen erschossen hat. Man habe ein politisches Manifest gefunden, das auf „Hass" hindeute. In den USA gilt ein Massenmord aus (politischem) Hass also schlimmer als einer aus anderen Motiven.
Die Rechtslage ist in den beiden Ländern also genau entgegengesetzt: Während in den USA physische Gewalt aus politischem Hass, etwa Rassismus, sehr viel schwerer geahndet wird als verbale Entgleisungen, ist es in Deutschland gerade umgekehrt: Bei physischer Gewalt wird hierzulande grundsätzlich nicht unterschieden, ob sie persönlich oder rassistisch motiviert war. Dagegen wird gegen Angriffe auf Gruppen, die sich ethnisch, religiös oder ähnlich definieren, als Volksverhetzung strikter vorgegangen als gegen persönliche Beleidigungen. In den USA werden solche Äußerungen grundsätzlich nicht bestraft – was das „Phänomen Trump" ansatzweise erklären könne.
In jedem Fall sind Gerichte kein guter Ort, um Streit über angebliche oder wirkliche Beleidigungen auszutragen. „Wer rechtliche Schritte erwägt, sollte sehr sicher sein, dass eine echte Schmähung, also eine Herabsetzung der Person ohne jeden Sachbezug vorliegt", sagt Anwalt Dirks. Die Gefahr bestehe ansonsten, dass man alles nur viel schlimmer macht, indem man Aufmerksamkeit für etwas erzeugt, das besser niemand mitbekommen sollte.
Man brauche in Zeiten des Internets und der sozialen Medien einfach das Bewusstsein dafür, dass die meisten Äußerungen, so dumm und inakzeptabel sie auch sind, erlaubt und möglich sind. Rechtsanwalt Dirks beobachtet, dass dieses Bewusstsein derzeit eher schwindet. „Viele verspüren den Drang, auf jeden Unsinn juristisch zu reagieren."
War früher denn in dieser Hinsicht alles besser? Teilweise ja, sagt Kriminologe Coester. Andererseits sollte man vorsichtig sein mit voreiligen Urteilen: So nehme die physische Gewalt ja seit Jahren ab. Allerdings: „Die Zeitenwende war das Aufkommen der sozialen Medien." Früher konnte eine Minderheit ihre Meinung äußern, heute im Prinzip jeder. Pro Minute gibt es auf Facebook 40.000 Meinungsäußerungen. „99,9 Prozent davon sind harmlose Dinge. Aber wenn 0,1 Prozent daneben sind, reicht das auch schon, das einiges dabei ist, was ärgert oder verstört", so Coester. Hier sei vor allem eine ganz neue Form von Medienbildung gefordert, die auch Meinungen hinterfragt – und thematisiert, wann man etwas äußern sollte und wann nicht.