Tanja Wolf, Medizinjournalistin und ehemalige Leiterin der „Kostenfalle Zahn", befasst sich in ihrem Buch „Schlecht behandelt" mit überteuerten und fehlerhaften Zahnarztbehandlungen, über die sie auch im Interview spricht.
Frau Wolf, wie kamen Sie dazu, Bücher über überteuerte und fehlerhafte Zahnarztbehandlungen zu schreiben?
Als Medizinjournalistin befasse ich mich bereits seit 17 Jahren mit Gesundheitsthemen, die die Menschen direkt betreffen, auch mit der Zahnmedizin. Zum Zahnarzt geht jeder und nicht jeder gern. Mir wurde klar, dass es nicht nur das Bohrer-geräusch ist, das hier Probleme macht, sondern vor allem der Umstand, dass sehr viel selbst zu bezahlen ist – und zugleich kaum zu durchschauen.
Sie waren Leiterin von „Kostenfalle Zahn" der Verbraucherzentrale NRW. Worüber klärt das Projekt auf?
Das Projekt „Kostenfalle Zahn" ist eine unabhängige Anlaufstelle für Menschen, die Fragen zu Privatleistungen und Kosten beim Zahnarzt haben. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat es 2016 eingerichtet, weil im Rahmen des Projekts „IGeL-Ärger" deutlich wurde, dass bei zahnärztlichen Leistungen großer Beratungsbedarf besteht. Ich habe das Projekt bis Ende Februar 2018 geleitet. Die Verbraucherzentrale beantwortet eingehende Beschwerden, klärt über die komplizierte Abrechnungsweise beim Zahnarzt auf und zeigt mit Marktuntersuchungen bestehende Defizite auf. Alle Texte und Tipps finden Sie auf www.kostenfalle-zahn.de.
Erhalten Betroffene von fehlerhaften oder überteuerten Behandlungen bei der Verbraucherzentrale auch Hilfe?
Menschen, die bei „Kostenfalle Zahn" ihre Probleme schildern, erhalten juristischen Rat. Wenn sich Patienten rechtzeitig melden, kann man sie auf ihre Rechte aufmerksam machen und so vielleicht eine überteuerte Behandlung vermeiden. Teilweise wird den Menschen aber erst am Ende der Therapie klar, dass etwas nicht richtig gelaufen ist. Dann können wir nur noch mögliche Anlaufstellen für Gutachten oder Beschwerden weitergeben und Tipps für die Zukunft geben.
Worauf basieren die Schilderungen in Ihrem Buch?
Das Buch „Schlecht behandelt" ist eine Neuauflage von „Murks im Mund" (2014) und basiert auf zahlreichen Fällen aus der Praxis, auf die mich zumeist Zahnärzte aufmerksam gemacht haben. Denn natürlich sind ja nicht alle Zahnärzte schlecht, es gibt eine Menge, die sich sehr an den Missständen stören. Denn Patienten werden benachteiligt und Qualität ist schlecht auffindbar.
Hatten Sie selbst auch schon negative Erlebnisse beim Zahnarzt?
Nein. Ich gehe sogar ganz gerne zum Zahnarzt, weil ich die Guten in meinem Umfeld kenne und wir stets fachsimpeln. Außerdem weiß ich ja, wie wertvoll gesunde Zähne sind.
Worüber beschweren sich Patienten am häufigsten?
Bei der Verbraucherzentrale gehen vor allem Beschwerden über mangelnde Kostentransparenz beim Zahnarzt ein. Meist geht es um unerwartet hohe Kosten oder darum, dass die Kassenleistung als schlecht dargestellt oder gar verweigert wird. Eine repräsentative Umfrage der VZ bestätigte 2017, dass sich ein Viertel (25,7 Prozent) der mehr als 1.000 Befragten nicht über die ihnen zustehende Kassenleistung informiert fühlte. 39,1 Prozent gaben an, vor Behandlungsbeginn nicht schriftlich über die Kosten informiert worden zu sein. Knapp ein Drittel (31,5 Prozent) sah sich nicht über mögliche Nachteile der Privatleistung informiert. Dabei ist all das gesetzlich vorgeschrieben. Behandlungsfehler spielen eine eher geringe Rolle bei der Verbraucherzentrale.
Bei welchen Leistungen wird unverhältnismäßig viel Geld verlangt?
Das lässt sich nur vermuten, denn Privatleistungen werden direkt zwischen Zahnarzt und Patient verhandelt und nicht an die gesetzlichen Krankenkassen übermittelt. Patientenberater und auch Gutachter kritisieren immer wieder, dass medizinisch unnötige Leistungen abgerechnet und zu hohe Steigerungsfaktoren berechnet werden, etwa mit der Begründung eines hohen Schwierigkeitsgrades. Die private Gebührenordnung bietet für schwarze Schafe durchaus Spielraum. Und weil die Rechnung so kompliziert ist, können Patienten das selbst fast nie überprüfen.
Wie Sie schildern gibt es Ärzte, über die sich wegen Behandlungsfehlern weit über 100 Patienten beschwerten. Warum wurde hier nicht eingegriffen?
Das System ist kompliziert. Zahnärzte müssen nach allgemein anerkannten fachlichen Standards behandeln. Einen Behandlungserfolg schulden sie nicht. Treten Mängel bei Füllungen oder Zahnersatz auf, sind Zahnärzte zwei Jahre lang zur Gewährleistung verpflichtet, also zur kostenlosen Reparatur. Patienten können auch ein Mängelgutachten verlangen. Und natürlich gibt es Sanktionsmöglichkeiten, wenn Zahnärzte falsch abrechnen. Aber es gibt keine unabhängige Kontrolle. Die Aufsicht ist zugleich die Standesvertretung. Und der Klageweg ist für Patienten aufwendig, langwierig und teuer. Das überlegt man sich dreimal. Und wenn sich dann selbst bei auffälliger Häufung von Unstimmigkeiten nichts ändert, macht das anderen Betroffenen keinen Mut.
Welche Missstände gibt es in der Zahnmedizin?
Viele. In meinem Buch sind elf aufgelistet. Besonders problematisch: Patienten können die Qualifikation eines Zahnarztes nicht einschätzen. Es gibt eine Flut von Fachbezeichnungen, von denen einige völlig wertlos sind. Zudem existiert keine Qualitätskontrolle in der Zahnmedizin. Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr viele Zahnärzte, die viel Werbung machen und zunehmend rein ästhetische Leistungen anbieten. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen führen ein Schattendasein hinter innovativen Implantaten, Laser-Hightech und Hollywood-Lächeln. Neuheiten suggerieren, Kassenleistungen seien rückständig. Eben nur ausreichend, Schulnote vier. Die Industrie puscht stets neue Produkte, deren konkreter Nutzen oft nicht erwiesen ist und die bei Problemen irgendwann still und leise vom Markt verschwinden. Und selbst bei der Krankheitsvorbeugung bestehen trotz aller Erfolge in der Kariesprävention Defizite. So ist davon auszugehen, dass Zahnärzte zwar fleißig die Professionelle Zahnreinigung (PZR) anbieten, aber die viel wichtigere Mundhygiene zu Hause nicht richtig erklären.
Gibt es solche Missstände denn nicht genauso auch in anderen Bereichen der Medizin?
Natürlich gibt es in den anderen Bereichen der Medizin auch Missstände. Aber die Zahnmedizin ist am weitesten privatisiert. Und das bedeutet auch eine Privatisierung des Risikos, denn bei Privatleistungen sind die gesetzlichen Krankenkassen außen vor. Im Gegensatz zu vielen IGeL-Leistungen bei Ärzten können Privatleistungen beim Zahnarzt so teuer werden, dass sie manche Betroffene finanziell ruinieren. Der Patient wird bei einer Privatabrechnung zum direkten Vertragspartner des Zahnarztes. Gezahltes Geld für eine mangelhafte Leistung müssen Betroffene mühsam juristisch zurückfordern.
Wie Sie schreiben zählen Implantate, die hin und wieder Probleme bereiten können, zu den teuersten Leistungen. Aber ist die Alternative der Brücke, bei der immerhin zwei gesunde Zähne angeschliffen werden müssen, wirklich besser?
Brücken halten in der Regel sehr lange. Und sie müssen nicht im Knochen verankert werden. Nachbarzähne, die gesund sind oder nur kleine Füllungen haben, sollte man für eine Brücke tatsächlich nicht abschleifen. Doch bei Implantaten ist zu bedenken, dass ein chirurgischer Eingriff nötig ist, meist ein Knochenaufbau. Das ist teuer. Und es besteht das Risiko für Entzündungen, auch nach Jahren. Diese sogenannte Periimplantitis schreitet schnell fort, führt zu Knochenabbau, ist kaum spürbar und schwer zu behandeln.
Was sollte man wissen, bevor man sich für ein Implantat entscheidet?
Man sollte sich mehrere Angebote einholen und auch andere Therapieoptionen besprechen. Wer raucht, einen schlecht eingestellten Diabetes hat oder eine bestehende Parodontitis, hat ein höheres Risiko für Komplikationen. Auch bestimmte Medikamente können ein Problem sein. Scheitert ein Zahnersatz mit Implantaten, muss man die Entfernung (Explantation) und die Neuversorgung selbst bezahlen.
Warum müssen Patienten nur beim Zahnarzt so viel selbst zahlen, bei anderen Facharztbehandlungen oder Implantaten an anderen Körperteilen nichts?
Das war politisch so gewollt. Manche Vertreter des Berufsstandes würden es sogar gerne sehen, wenn alles privatisiert würde. Nach dem Motto: Wer die Zähne pflegt, kann Zahnersatz vermeiden. Aber für eine informierte Entscheidung müssten Patienten auf Augenhöhe mit dem Zahnarzt sprechen – derzeit eine Illusion. Zum Glück gibt es noch Kassenleistungen, von der Füllung bis zur Prothese, und Zahnärzte mit Kassenzulassung sind verpflichtet, sie anzubieten. Sie sind gut geprüft und medizinisch einwandfrei. Und wir sprechen ja von Krankheiten, die auch Auswirkungen auf den gesamten Körper haben. Eine Parodontitis sollte genauso von A bis Z Kassenleistung sein wie eine Knieoperation. Aber bei der Zahnmedizin wird oft so getan, als gehe es mehr um Ästhetik. Das finde ich fatal.
Warum schwanken bei gleichen Leistungen die Kosten, wie Sie es etwa bei Professionellen Zahnreinigungen aufführen? Sind manche Reinigungen umfangreicher als andere?
Das liegt daran, dass laut Gebührenordnung keine Festpreise erlaubt sind. Zahnärzte müssen nach Aufwand und Schwierigkeitsgrad abrechnen.
Woran kann ein Patient einen guten Zahnarzt erkennen?
Das lässt sich leider nur sehr schwer beantworten. Denn dafür gibt es eben kein Gütesiegel. Ein klangvoller Titel, eine schöne Praxis und gute Bewertungen reichen dafür nicht aus. Ich empfehle folgende Anhaltspunkte: Zahnerhaltung und Krankheitsvorbeugung sollten einen wichtigen Stellenwert haben. Der Zahnarzt oder die Zahnärztin sollten sich Zeit nehmen für eine sorgfältige Untersuchung und für die Aufklärung. Egal, ob Füllung oder umfangreicher Zahnersatz: Alle Alternativen, Vorteile und Risiken sowie die Preisunterschiede müssen unvoreingenommen und gut verständlich erklärt werden. Ein guter Zahnarzt kennt seine Grenzen, gibt Patienten Bedenkzeit und hat kein Problem damit, wenn man sich eine zweite Meinung einholt.
Was raten Sie Angstpatienten? Ist zum Beispiel eine Behandlung in Vollnarkose, wie sie teilweise angeboten wird, wirklich sinnvoll?
Für Angstpatienten gibt es spezialisierte Zahnärzte. Eine Vollnarkose ist nicht sinnvoll. Erstens ist sie immer mit einem Risiko verbunden. Zweitens muss sie selbst bezahlt werden. Und drittens löst sie das Problem nicht.
Wohin können sich Patienten, die fehlerhaft behandelt wurden und dadurch mit schwerwiegenden Folgen zu kämpfen haben – nicht nur durch Zahnärzte – wenden, wo wird Ihnen tatsächlich geholfen?
Patienten sollten zunächst mit ihrem Zahnarzt sprechen. Unabhängige Informationen gibt es zum Beispiel auf der Seite www.kostenfalle-zahn.de der Verbraucherzentrale NRW. Zudem gibt es die Patientenberatung der Zahnärzteschaft bei den jeweiligen Landeszahnärztekammern. Dort kann man zum Beispiel Rechnungen überprüfen lassen. Auch an die eigene Krankenkasse kann man sich wenden, von Fragen zum Heil- und Kostenplan bis zum Behandlungsfehlergutachten.
Vormals normale Behandlungen bei Ärzten werden zunehmend zu selbstzuzahlenden IGeL-Leistungen. Wird sich die Situation für Patienten diesbezüglich noch verschlechtern oder treten Politik et cetera dagegen ein?
Bei den Ärzten gibt es zwar viele IGeL-Leistungen und einen seit Jahren wachsenden Markt. Aber es gibt auch immer wieder Leistungen, die nach einer systematischen Nutzenbewertung von der Privat- zur Kassenleistung werden. In der Zahnmedizin war der letzte einschneidende Wechsel der zum Festzuschuss-System 2005. Eine weitere Privatisierung steht derzeit nicht im Raum. Immerhin wird der Festzuschuss zum Zahnersatz ab 2021 von 50 auf 60 Prozent steigen.