Paartherapeut Eric Hegmann über Chancen und Risiken des Online-Datings und weshalb Beziehungen, die online begonnen haben, stabiler sind als andere.
Herr Hegmann, gelten bei der Partnersuche im Netz andere Regeln als offline?
Die Art und Weise, wie wir jemanden kennenlernen, hat sich grundlegend verändert. Wir haben heute eine freie Partnerwahl. Durch das Online-Dating lernt man auf einmal Leute kennen, die einem im Freundeskreis, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit vielleicht nie begegnet wären.
Sie beraten Singles und Paare in allen Fragen der Liebe. Machen Sie auch spezielles Coaching zum Thema Online-Dating – oder ist es vielmehr so, dass aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft früher oder später bei jeder Beratung auch dieser Bereich zur Sprache kommt?
Natürlich gibt es auch immer wieder spezifische Fragen zum Online-Dating. Etwa: Wie fülle ich mein Profil am besten aus? Wenn ich mit Singles zusammenarbeite, geht es mir aber grundsätzlich erst einmal darum herauszufinden, warum diese Person bei der Partnersuche bislang nicht erfolgreich war. Wenn die bisherigen Muster schon sehr lange nichts eingebracht haben, gibt es wenig Grund zur Annahme, dass sie jemals zum Erfolg führen werden – also muss man etwas verändern. Dabei geht es auch um die Frage, welcher Bindungstyp die Person ist und ob sie eher zurückhaltend, ängstlich oder vermeidend ist. Die Frage, wie das Online-Profil aufgebaut ist, wird dabei sehr schnell nebensächlich. Vielmehr geht es darum, sich von der eigenen Haltung her so aufzustellen, dass man die Partner anzieht, die zu einem passen. Und nicht weiterhin solche wählt, mit denen man in der Vergangenheit bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Hätten Sie trotzdem einen Tipp für das perfekte Profil?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen versuchen, auf dem Foto in ihrem Profil cool und distanziert zu wirken. Wenn wir uns in jemanden verlieben, dann doch in erster Linie, weil er uns sympathisch ist. Ein Lächeln hilft da ungemein. Das mag jetzt banal klingen, aber ich habe wirklich schon viele Profilbilder gesehen und wie die Leute darauf ernst, seriös oder verträumt gucken. Diese Bilder schaffen eine Distanz, wenn wir doch eigentlich Nähe suchen.

Wenn wir schon bei den Fotos sind: Spielt das Aussehen gerade bei Dating-Apps wie Tinder eine größere Rolle? Und führt das nicht zu mehr Oberflächlichkeit auf der einen und einer immer stärkeren Selbstoptimierung auf der anderen Seite, weil man sonst einfach weggewischt wird?
Es sind weniger die Bilder von einzelnen Personen als vielmehr die von glücklichen Paaren, denen wir in den sozialen Medien begegnen, die zu dieser Selbstoptimierung führen. Das sind meist Stockbilder oder Filme und Serien, die mit der Wirklichkeit oft nicht viel zu tun haben. Ich nenne diesen Effekt die „Disneyfizierung" der Liebe. Wir erleben eine Überromantisierung der glücklichen Beziehung. Die Kollegen von Elitepartner haben dazu einmal ihre Mitglieder befragt, wie viele von ihnen sich von solchen Bildern beeinflussen lassen: Es war ein Drittel. Viele erinnern sich wahrscheinlich noch an die Bilder von glücklichen Paaren, die an der Hand des Partners vor den schönsten Orten der Welt posieren. Wenn man als Single solche Bilder sieht, fragt man sich schnell, woran es liegt, dass man selbst so etwas nicht erlebt. Damit beginnt dann der Selbstoptimierungswahn. Bei Frauen kennen wir dieses Phänomen aus der Modefotografie schon seit vielen Jahrzehnten. Inzwischen greift es aber auch verstärkt in den Bereich der Partnerschaft über, und das im Übrigen auch bei Männern.
Hat das Online-Dating die Partnersuche erleichtert? Früher musste man jemanden aktiv ansprechen und hat dabei auch einen Korb riskiert. Im Internet ist die Hemmschwelle geringer.
Wir erleben trotzdem noch, dass viele Menschen versuchen, einer Abfuhr zu entgehen – und es dadurch nur noch schlimmer machen. Kurioserweise machen die Menschen mit ihrem Smartphone, das ja ursprünglich zum Telefonieren erfunden wurde, heute alles Mögliche, bloß nicht das. Früher hat man den Kontakt im Netz angebahnt, danach erst einmal telefoniert und sich dann – wenn der erste Eindruck positiv war – relativ schnell persönlich getroffen, damit erst gar keine Bilder im Kopf entstehen können, die später bloß zu Enttäuschungen führen. Heutzutage chatten die Menschen lieber, anstatt zu telefonieren. Aber je länger sie chatten, desto mehr versuchen sie sich vorzustellen und desto größer wird die Erwartungshaltung, die am Ende nicht erfüllt werden kann. Diese Enttäuschung führt fatalerweise dazu, dass sie sich beim nächsten Mal noch fester vornehmen, auf Nummer sicher zu gehen und deshalb noch länger chatten.
Ein Teufelskreis.
Genau. Aber wer wiederholt schlechte Erfahrungen gemacht hat, wird mit der Zeit immer vorsichtiger. Die Zurückweisungen nagen am Selbstwertgefühl. Solche Menschen entwickeln dann häufig eine von zwei Schutzstrategien: Entweder sie nehmen für eine Weile Abstand von der Partnersuche und konzentrieren sich mehr auf sich selbst. Oder sie geben sich danach erst recht Mühe, jemanden zu überzeugen, dass sie der oder die Richtige sind. Das kann aber dazu führen, dass die andere Person damit überfordert ist, weil es ihr viel zu schnell geht.
Viele wollen sich gar nicht so schnell festlegen und halten sich lieber noch andere Beziehungen warm. Fördert das Online-Dating diese Unverbindlichkeit?
Auch hier spielt wieder die „Disneyfizierung" eine Rolle, über die ich eben schon gesprochen habe. Beziehungsglück ist heute das höchste Gut, das man im Leben erreichen kann – entsprechend schwer fällt es, sich für eine Person zu entscheiden, mit der man dieses Glück erleben möchte. Hinzu kommt: Paralleles Dating war in Deutschland lange Zeit kaum verbreitet und hat erst seit einigen Jahren zugenommen. In anderen Kulturkreisen, etwa in den USA, ist das ganz anders. Dort gibt es beim Kennenlernen eine Phase, in der man vom normalen Dating ins exklusive Dating überwechselt. Die Partner entscheiden sich einvernehmlich dafür, fortan niemand anderen mehr zu treffen – was im Umkehrschluss bedeutet, dass es bis zu diesem Zeitpunkt völlig in Ordnung war, noch andere Personen zu treffen. In Deutschland kennen wir das so nicht. Dabei würde es beiden Seiten eine gewisse Sicherheit geben, woran sie sind, ohne dass es gleich so verbindlich wäre, dass die Trauringe ausgepackt werden.
Sie sind auch Paartherapeut. Gibt es Unterschiede zwischen Online- und Offline-Beziehungen?
Ja, die gibt es. Mehrere Studien belegen, dass Beziehungen, die online begonnen haben, stabiler sind. Solche Paare ziehen schneller zusammen, heiraten eher und bekommen auch früher Kinder.
Wie erklären Sie sich das?
Im Internet ist es meist weniger eine schicksalsorientierte als vielmehr eine wachstumsorientierte Partnersuche. Man fasst über einen längeren Zeitraum Vertrauen zueinander, um dann festzustellen, dass sich daraus mehr entwickelt. Der Schriftsteller George Bernard Shaw hat einmal gesagt: „Die Liebe auf den ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie eine Diagnose auf den ersten Händedruck." Da ist schon etwas Wahres dran. Die Liebe auf den ersten Blick ist eben doch eher die sexuelle Anziehungskraft, die vergehen kann. Da ist die andere Variante doch deutlich stabiler.
Es gibt das Klischee, dass Männer gern eine jüngere Frau suchen und nicht unbedingt eine, die mehr verdient als sie, Frauen hingegen eher einen Gutverdiener. Gilt das auch beim Online-Dating?
Ich denke, dass die meisten Menschen grundsätzlich einen Partner suchen, der ihnen gleichgestellt ist, was das Alter und die Attraktivität angeht. Wenn der Partner sehr attraktiv ist, man sich selbst aber nicht wohl im eigenen Körper fühlt, würde das nur schwer funktionieren, weil man die Beziehung ständig bedroht sähe. Online neigen wir allerdings dazu, mehr zu wagen und auch außerhalb der eigenen Liga zu suchen. Dort sprechen wir auch Leute an, bei denen wir uns das in der Bar wahrscheinlich nicht trauen würden.

„Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship" – so oder so ähnlich werben die Anbieter von Online-Partnervermittlungen für sich. Kann das stimmen?
Parship hat ein Jahr lang die Premium-Mitglieder, die sich wieder von der Plattform abgemeldet haben, nach den Gründen für ihr Ausscheiden befragt. Die Zahl derer, die angaben, bei Parship einen neuen Partner gefunden zu haben, wurde dann durch die Tage und Minuten geteilt – so kam man auf die Zahl von elf Minuten. Ich kenne sowohl Parship als auch Elitepartner, die beiden führenden Anbieter in Deutschland, sehr gut. Bei beiden sind die Wände voll mit Bildern von Erfolgspaaren, die Hochzeits- oder Babyfotos geschickt haben. Fragen Sie einfach einmal in Ihrem Bekanntenkreis und Sie werden mit Sicherheit mindestens ein Paar finden, dass sich auf diese Weise kennengelernt hat.
Noch vor einigen Jahren war es so, dass kaum jemand freiwillig zugab, dass er seinen Partner übers Online-Dating kennengelernt hat. Steht man heute offener dazu?
Ja, inzwischen ist das absolut akzeptiert. Man verliebt sich ohnehin erst beim zweiten oder dritten Treffen – da ist es eigentlich egal, wo man sich kennengelernt hat, ob in der Bar oder im Netz. Es behauptet ja auch niemand ernsthaft, dass es der schönste Moment in seiner Beziehung war, als er oder sie seinen Partner am Samstagmorgen um 3 Uhr in der Disco getroffen hat. Da sind wir dann wieder bei der „Disneyfizierung" der Liebe. Die vielen Filme haben uns ein bisschen versaut, die uns weismachen wollen, dass ein höchstromantischer Anfang einer Beziehung auch ein Garant dafür ist, wie es mit ihr weitergeht. Das ist mitnichten so.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung des Online-Datings?
Es wird aktuell viel geforscht. Virtual Reality ist eine mögliche Entwicklung, wobei ich die eher im Bereich der Pornografie sehe oder für bereits bestehende Fernbeziehungen. Wer weiß: Vielleicht tragen wir auch eines Tages Chip-Implantate, auf denen auch unser Beziehungsstatus gespeichert ist – und wenn man dann an einem anderen Single vorbeigeht, bekommt man über eine App direkt eine Benachrichtigung. Am Ende des Tages wollen wir alle eine Beziehung haben und Nähe erleben. Und der Mensch ist bereit, sehr viel auszuprobieren, um dieses Ziel zu erreichen.