Als Kriegsspiel erfunden, galt es in Europa im Mittelalter als ritterliche Tugend, wurde von der Aufklärung zur Erziehung der Jugend eingesetzt und von den Nazis als „arisch" vereinnahmt. Das Schachspiel und seine wechselvolle Geschichte.
Ein Spiel mit 16 Figuren, die den Gegner gemeinsam mit dem Ziel angreifen, ihn vernichtend zu schlagen, Zug um Zug. Kein anderes Brettspiel kommt so militärisch daher. Es gibt Flügel, schnelle Einheiten und Figuren mit großer Reichweite und Durchschlagskraft. Das Spiel ist gewonnen, wenn der König des Gegners so eingekreist ist, dass er sich nicht mehr bewegen kann, ohne schachmatt zu gehen.
Wer denkt da nicht an ein Trainingsprogramm für Heerführer? Das Spiel der Könige – Napoleon hat es geliebt, Fidel Castro, auch Gaddafi sollen es gerne gespielt haben. Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Wolfgang Schäuble, Peer Steinbrück, Wolfgang Thierse und Christian Ströbele von den Grünen inszenierten sich gerne als versierte Schachspieler – mit Brille auf der Nasenspitze und Pfeife im Mundwinkel. Die gegenwärtige Politikergeneration hat damit nichts mehr zu tun – man oder frau wählt andere Möglichkeiten, sich zu profilieren.
Dabei sind Begriffe aus dem Schach zuhauf in die Sprache der Politik eingewandert. Da macht jemand einen klugen Schachzug, ein anderer hat seinen Widersacher Matt gesetzt, ein Personalwechsel wird zu einer Rochade, eine Konferenz erzielte ein Remis, oder eine Partei brachte ein Bauernopfer, damit ein Kompromiss zustande kam. Legendär ist der Ausspruch des US-Diplomaten und Historikers George F. Kennan: „Mancher, der sich für einen Schachspieler der Weltpolitik hält, ist in Wirklichkeit nur eine Schachfigur."
Eine Schule für Strategen
Das Schachspiel diente seit seinen Anfängen im siebten Jahrhundert auch stets als reale Schule für militärisches und strategisches Denken. Abbildungen zeigen, dass um 600 nach Christus in Persien Schach gespielt wurde. Historiker vermuten die Ursprünge in Indien. Eine der vielen Schachlegenden besagt, dass ein Schah – davon soll sich der Name Schach ableiten – das Spiel erfunden hat, damit Kriege nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern auf dem Schachbrett ausgetragen werden – ein schöner pazifistischer Gedanke.
Die Araber nahmen das Spiel auf ihren Eroberungszügen mit und machten es in Westeuropa populär. Im Mittelalter diente es als Metapher für die Welt und als Modell der gesellschaftlichen Ordnung. Schach ist damals ein Spiel der Adligen: Seit dem zwölften Jahrhundert werden Kenntnisse des Schachspiels beim vollkommenen Ritter vorausgesetzt, die Miniaturmalerei der Zeit entdeckt das Sujet bald für sich, auch in der Heraldik (Wappenkunde) zieht das Schachbrettmuster ein.
Im 15. Jahrhundert ändern sich das Regelsystem und die Spielweise grundlegend in Richtung der heute gültigen Regeln. Das Spiel wurde schneller, das Mattsetzen einfacher, die Figuren bekamen längere Schritte, die Dame wurde zur brettbeherrschenden Figur. Das entspricht dem Geist der Renaissance: Die Erde wurde größer durch die neuen Entdeckungen, der Mensch rückte in den Mittelpunkt, die Gesellschaft löste sich aus der religiösen Erstarrung und bot neue Aufstiegsmöglichkeiten. Konzipiert und in Regeln gegossen haben diese Änderungen die ersten „Großmeister", vor allem Spanier und Italiener. Sie entdeckten die mathematische Seite der Figurenkonstellationen und machten aus der Eröffnung einer Partie eine Wissenschaft.
Als Spiel der Strategie und Vernunft sieht es die Aufklärung, es wird in bürgerlichen Kreisen populär. Nun soll es dazu beitragen, den Nachwuchs zum strategischen Denken und zur Konzentrationsfähigkeit zu erziehen. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716), der letzte Universalgelehrte, pries Schach als „Übung der Denkfähigkeit und der Erfindungsgabe". So wurde das Spiel in den Bürgerhäusern zu einem beliebten Zeitvertreib.
Zur Schachmetropole des 18. Jahrhunderts avancierte Paris mit dem berühmten „Café de la Régence". Im Jahr 1740 begann hier der Aufstieg des 14-jährigen André Danican Philidor (1726 bis 1795), als Opernkomponist wenig erfolgreich, aber als der erste Berufsspieler konnte er von seinen Auftritten in England und Frankreich durchaus leben. Namhafte Persönlichkeiten spielten im Café gegen Philidor: Voltaire war ein schlechter Verlierer, Rousseau klagt in seinem Buch „Confessions" über die Frustrationen, die er als schwacher Spieler und hoffnungsloser Lehrling immer wieder erlitt. Diderot war regelmäßig Gast im „Régence", und aus Amerika kam Benjamin Franklin. In diese Zeit fällt auch der Auftritt des ersten Schachautomaten: Der österreichische Hofbeamte und Mechaniker Wolfgang von Kempelen konstruierte und baute eine Maschine, die vorgeblich eine als Türke verkleidete, lebensechte Puppe mittels eines mechanischen Räderwerks bewegte. Damit entstand bei den Zuschauern der Eindruck, dass der Android selbständig Schach spielt. Tatsächlich war in dem Gehäuse ein kleinwüchsiger menschlicher Schachspieler versteckt, der es bediente. Die klappernde Mechanik war reines Täuschungsmanöver. 1770 präsentierte von Kempelen seinen Schachautomaten der österreichischen Kaiserin Maria Theresia – es wurde ein voller Erfolg. In den kommenden Jahrzehnten reiste er mit seiner Erfindung durch ganz Europa. Das Geheimnis des Schachtürken sollte der Legende nach erst viel später auffliegen, als bei einer Aufführung jemand „Feuer, Feuer" rief und der Kleinwüchsige aus seinem Kasten befreit werden musste. Die Wendung „einen Türken bauen" ist damals in die Alltagssprache eingeflossen.
Im 19. Jahrhundert fanden die ersten großen Turniere statt, Schach wurde nun in Vereinen und Ligen professionell gespielt, Großmeister gekürt und mit Gründung des internationalen Schachverbandes FIDE im Jahre 1924 gab es offiziell Schachweltmeister.
Auch Arbeiterbewegung und Sozialismus wollten Eigenschaften wie Kombinationsfähigkeit und Schulung des strategischen Denkens, die dem Schachspiel zugeschriebenen werden, nutzen. Sie weisen dem Schach eine Rolle als geistige Übung im Klassenkampf zu. Zwischen 1912 und 1933 hatten sich unter dem Dachverband Deutscher Arbeiter-Schachbund (DAS) mehr als 10.000 Mitglieder versammelt. Damit konnte er hinsichtlich seiner Größe mit dem „bürgerlichen" Deutschen Schachbund konkurrieren.
Schach im Kalten Krieg
Die Nationalsozialisten verboten den DAS wie alle Arbeitervereine und wollten Schach als Nationalspiel des Ariertums etablieren. „Lernen wir aus dem königlichsten aller Spiele gerade für die harte Zeit des Krieges, alle seine nützlichen Eigenschaften zu betätigen", heißt es auf der Titelseite des „Schach-Echos" von 1939. Der „Völkische Beobachter" gab die Losung aus: „Deutsche, spielt Schach. Das geistige Wehrspiel muss zum Nationalspiel der Deutschen werden." Ein 1938 entwickeltes sogenanntes Wehrschachspiel sollte die Wehrerziehung fördern: Auf dem Spielbrett wurde statt mit König, Dame oder Turm mit Figuren in Form von Panzern, Bomben oder Jagdfliegern gezogen.
Seit 1900 kamen immer mehr der weltbesten Schachspieler aus Russland. Viele blieben nach der Oktoberrevolution im Westen, doch auch die KPdSU förderte das Spiel als Mittel im Klassenkampf. Bis 1972 blieb die Sowjetunion in der Konkurrenz der Großmächte im Schach unschlagbar. Dann kam das legendäre Match Bobby Fischer gegen Boris Spasski in Reykjavik, bei dem der Amerikaner den amtierenden Weltmeister schlug. Kein Schachduell wurde weltweit so beachtet. Der exzentrische Fischer ließ keine Revanche zu, sodass die Russen die künftigen Weltmeisterschaften unter sich ausmachten: Kasparov war es denn auch, der 1996 zum ersten Mal gegen den Supercomputer Deep Blue antrat – und verlor. Heute ist Schach wieder Pflichtfach an allen Schulen in Russland.
Und die Frauen? Kamen bisher nicht vor – ist Schach also eine reine Männersportart? Jedenfalls gibt es seit den 1920er-Jahren Frauenschachvereine, und 1927 wurde die 21-jährige Vera Menchik (1906 – 1944), eine gebürtige Tschechin, erste Weltmeisterin der Frauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten die sowjetischen Spielerinnen das Wettkampfgeschehen. Doch eine „gemischte" Weltmeisterschaft gab es bisher nicht. Der Großmeistertitel wurde bis 1979 nur an Männer vergeben. Inzwischen haben zwar etwa 70 Frauen diese Norm geschafft. Aber so lange Frauen nicht gegen Männer um Titel spielen, bleibt eine Lücke: Frauen also aufgepass! Hier ist noch eine Männerdomäne zu schleifen.