Gerrit Sonnabend vereint auf seiner Website „Refluxgate" umfassende Informationen zum Thema „Stiller Reflux" – darunter etwa Interviews mit führenden Experten und Ernährungsempfehlungen. Im Interview spricht er unter anderem über Ursachen, Symptome, Gefahren und Behandlungsmöglichkeiten.
Herr Sonnabend, wie sind Sie dazu gekommen, sich so eingehend mit dem Thema „Stiller Reflux" zu beschäftigen?
Ich hatte vor einigen Jahren selbst starke Probleme mit Stillem Reflux. Im englischsprachigen Raum gab es wenige Informationen zum Thema, auf Deutsch praktisch gar keine. Daher kam die Idee, Experten zum Thema zu interviewen und deren Wissen leichter für Betroffene verfügbar zu machen.
Ihre Website refluxgate.de vereint neben den Experteninterviews auch Ernährungsempfehlungen und Erfahrungsberichte von Betroffenen. Wie konnten Sie diese für sich gewinnen?
Die meisten Ärzte und Wissenschaftler, mit denen ich mich unterhalten habe, waren unzufrieden damit, dass über Reflux viel Falschwissen online verbreitet wird und waren gerne bereit, ihr Wissen zu teilen. In erster Linie habe ich Experten kontaktiert, die mir als Autoren von wissenschaftlichen Arbeiten und Studien aufgefallen sind. Mein fachlicher Hintergrund liegt in der qualitativen Forschung. Bereits vor Refluxgate habe ich Fachleute zu medizinischen Themen interviewt. Ich will an dieser Stelle betonen, dass ich selbst kein Mediziner bin. Meine Arbeit besteht darin, das Wissen anderer Fachexperten zusammenzubringen. Ich analysiere, wo sich Meinungen überschneiden, welche Therapien auf Fakten und Forschung basieren, und wo Empfehlungen eher auf subjektiven Anekdoten basieren.
Was genau passiert bei Stillem Reflux?
Am einfachsten lässt sich das über den Unterschied zum „normalen" Speiseröhrenreflux erklären, medizinisch GERD (Gastroösophagealer Reflux) genannt, welcher sich über Sodbrennen bemerkbar macht. Die meisten Menschen sind damit vertraut, was Sodbrennen ist, insbesondere da man regelmäßig Werbung im Fernsehen zu passenden Medikamenten sieht. Mageninhalte, insbesondere Säure, gelangen in die Speiseröhre und lösen Reizungen aus.
Bei Stillem Reflux gelangt der Reflux dagegen nicht nur in die Speiseröhre, sondern bis in die Atemwege. Während die Speiseröhre gut entwickelte Abwehrmechanismen hat, sind die Atemwege dem Reflux hilflos ausgeliefert. Bereits geringfügige Mengen an Reflux können auf Dauer in den Atemwegen starke Beschwerden verursachen.
Warum nennt man die Erkrankung „Stiller" Reflux? Merkt man nicht, wenn Luft aus dem Magen nach oben steigt?
Nein, man bemerkt den Stillen Reflux selbst nicht, da es sich um ein sehr feines, unsichtbares Aerosol handelt, das aus dem Magen aufsteigt. Der Name „Stiller" Reflux kommt aber in erster Linie daher, dass die Symptome sich über lange Zeit hinweg aufbauen. Jahre-, oder gar jahrzehntelang. Den Betroffenen ist dadurch meist nicht bewusst, dass es sich um Reflux handelt, die Krankheit entwickelt sich also still und schleichend. Das steht im Kontrast zu Speiseröhrenreflux, bei dem das Sodbrennen akut, deutlich und gleichzeitig mit dem Reflux auftritt.
Was sind die Ursachen?
Die Ursachen sind die gleichen wie bei Speiseröhrenreflux. Das Ventil zwischen Magen und Speiseröhre öffnet sich zu häufig.
Was sind typische Symptome?
Heiserkeit, chronischer Husten und Asthma-ähnliche Symptome sind häufige Beschwerden. Außerdem können Halsschmerzen, Räusperzwang, Schluckbeschwerden, Übelkeit und Ohrenschmerzen auftreten. Kaum jemand hat jedoch alle diese Symptome. Veränderungen und eine geringere Belastbarkeit der Stimme sind oft die ersten Symptome, weswegen Berufsredner und Sänger die Symptome des Stillen Refluxes am schnellsten bemerken.
Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Reflux, bei dem Magensäure in die Speiseröhre gelangt?
Bei beiden Krankheiten ist der untere Ösophagussphinkter in der Speiseröhre nicht in der Lage, dem Druck im Magen standzuhalten. So gelangen Magensäure und Enzyme aus dem Magen nach oben. Beim klassischen Speiseröhrenreflux ist der Reflux jedoch flüssig, und bleibt vor allem in der Speiseröhre. Symptome können plötzlich auftreten, können sich aber auch schnell verbessern, wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Stiller Reflux dagegen ist eine Erkrankung, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und dessen Symptome nicht so schnell abklingen. Es handelt sich um ein feines Aerosol, praktisch ein Gas, oder Nebel, weswegen er selbst bei leichten Problemen mit dem Speiseröhrensphinkter auftreten kann. Luft ist schwieriger für den Körper zurückzuhalten als Flüssigkeit. Beim Stillen Reflux sprechen wir von sehr kleinen Mengen, die es in die Atemwege schaffen, wo sie aber leichter Schaden anrichten können, als in der widerstandsfähigen Speiseröhre. Stellen Sie sich zum Vergleich vor, Sie würden sich stündlich einen Tropfen Zitronensaft auf die Hand träufeln. Ihrer Haut würde das vermutlich nicht viel ausmachen. Nun stellen Sie sich vor, Sie würden sich stattdessen stündlich diesen Zitronensaft ins Auge träufeln. Ich wette mit Ihnen, das wäre nicht angenehm und Ihrer Gesundheit nicht zuträglich. Ähnlich wirkt der Reflux auf die Atemwege.
Was ist der Unterschied zwischen Stillem Reflux und normalem Aufstoßen, das jeder kennt?
Aufstoßen von Luft ist ein ganz normaler Vorgang des Körpers. Der untere Speiseröhrensphinkter öffnet sich, um Luft aus dem Magen zu entlassen und Druck abzubauen. Bei jemandem mit einer Refluxerkrankung öffnet sich der Sphinkter zu häufig, ohne dass er es sollte.
Die größte Gefahr bei Reflux von Magensäure (GERD) ist die Veränderung des Speiseröhrengewebes (Barrett-Syndrom), aus der unter Umständen auch Krebs entstehen kann. Bleibt diese Gefahr bei Stillem Reflux aus?
Jede Form von Reflux kann als schlimmstes Szenario Krebs auslösen, bei Stillem Reflux beispielsweise auch Kehlkopfkrebs. Allerdings sollte man hier nicht direkt in Panik verfallen. Reflux ist eine sehr häufige Erkrankung, das gilt sowohl für GERD als auch für Stillen Reflux. Nur bei einem sehr kleinen Bruchteil der Betroffenen entwickelt sich eine Krebserkrankung. Aber es verdeutlicht, dass man Reflux nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Gibt es auch Patienten, die an GERD und Stillem Reflux leiden?
Ja, wobei in aller Regel eine der beiden Krankheiten dominiert und das Hauptproblem für diese Person darstellt.
Wie kann man Stillen Reflux diagnostizieren – auch durch Magenspiegelungen wie bei GERD?
Es gibt verschiedene Diagnosemethoden. Am ehesten durchgesetzt hat sich bisher die 24-Stunden-pH-Metrie. Dabei wird über einen Tag hinweg der Säurepegel im Hals gemessen. Extrem wichtig ist jedoch, dass die Messung mit einer speziellen Sonde für Stillen Reflux durchgeführt wird, die im Hals misst. Eine Messung in der Speiseröhre, wie bei klassischem Reflux, sagt nichts über die Stärke von Atemwegsreflux aus. In der Regel wird solch eine Messung auf Stillen Reflux vom HNO durchgeführt, nicht vom Gastroenterologen.
Die gängige Therapie bei Reflux ist die Einnahme von Protonenpumpenhemmern (PPI) wie Pantozol oder Omeprazol oder auch von Alginaten und Antazida, die man in Apotheken rezeptfrei kaufen kann. Wie sieht dies bei Stillem Reflux aus? Wann wirken diese Medikamente, wann nicht?
PPI werden bei Stillem Reflux oft verordnet. Jedoch haben mehrere Studien der letzten Jahre gezeigt, dass PPI bei Stillem Reflux nicht besser wirken als Placebo. Im Gegensatz zu Sodbrennen, wo sie sehr gut wirken. Bei Stillem Reflux spielt Säure eine weniger große Rolle als bei Speiseröhrenreflux. Das ist etwas, was oft missverstanden wird. Bei Speiseröhrenreflux wird immer nur von Säure geredet, weswegen Leute annehmen, das wäre dann bei Atemwegsreflux genauso. Stattdessen spielt das Magensäureenzym Pepsin eine wichtige Rolle beim Stillen Reflux. Die Aufgabe von Pepsin ist, im Magen Proteine zu verdauen. Die Speiseröhre ist gut gegen Pepsin geschützt. Die Atemwege dagegen sind äußerst empfindlich gegenüber Pepsin. Gelangt Pepsin mit Stillem Reflux in die Atemwege, kann es dort weiterhin Proteine abbauen und so Schaden an den Schleimhäuten anrichten. Das Resultat sind Entzündungen, welche die Symptome von Stillem Reflux auslösen.
Nun wirken PPI aber nicht gegen Pepsin, sondern nur gegen Säure. Das ist vermutlich der Grund, warum Studien ergeben, dass PPI nicht besser als Placebo bei Stillem Reflux helfen. Trotzdem werden PPI bei Stillem Reflux oft verordnet, trotz der negativen Daten aus der Forschung. Ich denke, das liegt zum einen daran, dass es bisher keine effektiven Medikamente für Stillen Reflux gibt. Zum anderen daran, dass es für Ärzte sehr unzufriedenstellend ist, die Leute ohne Hilfe wieder wegzuschicken. Für eine tiefgehende Ernährungsberatung ist in der Arztpraxis keine Zeit, daher muss schnell etwas verschrieben werden. Zuletzt braucht es viel Zeit, bis neue Daten aus der Forschung im Praxisalltag von Medizinern ankommen, was ein weiterer Grund ist, warum es oft an Wissen fehlt, warum ein Medikament, das bei Sodbrennen sehr gut hilft, eben nicht gleichermaßen bei Stillem Reflux helfen wird. Eine Gefahr ist jedoch, dass Patienten dann denken, sie nehmen ja ihr PPI, jetzt müssen sie nichts mehr an ihrer Ernährung verbessern. Das kann dazu führen, dass die Ursachen des Refluxes nicht angegangen werden.
Um auf die von Ihnen angesprochenen Alginate zurückzukommen: Diese Medikamente bilden im Magen Schaum, der eine physische Barriere gegen Reflux darstellt. Alleine sind sie keine Lösung, können aber die Therapie unterstützen und die Symptome zumindest etwas reduzieren.
Sie sagen, die wichtigste Säule sei die Ernährung. Wie sollte man sich bei Stillem Reflux ernähren?
Man könnte auch sagen, Ernährung ist die erste Säule. Schlicht und ergreifend, weil einfache Optimierungen der Ernährung für viele Betroffene das Problem bereits lösen. Ernährung ist ein sehr umfassendes Thema, insofern lässt sich nicht alles auf ein paar Sätze runterbrechen. Aber ich kann ein paar typische Auslöser von Reflux nennen. Zu große Mahlzeiten erhöhen den Druck im Magen, was Reflux verstärkt. Zu späte Mahlzeiten sind ebenfalls ein häufiges Problem, da während de Schlafen Reflux ohnehin bereits verstärkt auftritt. In einer liegenden Position hilft die Schwerkraft nicht mit, Reflux zurückzuhalten. Zudem gibt es bestimmte Lebensmittel, welche die Funktion des unteren Speiseröhrenventils negativ beeinträchtigen, seine Spannung verringern und so Reflux verstärken. Kaffee, Schokolade und Alkohol sind Beispiele dafür. Andere Lebensmittel erzeugen durch Luftbildung im Magen zusätzlichen Druck, wie beispielsweise Zwiebeln. Zuletzt ist eine Besonderheit bei Stillem Reflux, dass das Magenenzym Pepsin an den Schleimhäuten der Atemwege haftet. Die Aggressivität des Pepsins wird durch Säure verstärkt. Der Konsum von sauren Nahrungsmitteln, wie beispielsweise Früchte oder Erfrischungsgetränke, kann daher die Symptome deutlich verstärken. Entsprechend sollte man saure Speisen und Getränke vermeiden. Generell wird bei Reflux eine fettarme Ernährung empfohlen. Jedoch gibt es bestimmte Patientengruppen, die entgegengesetzt dazu von einer Reduzierung der Kohlenhydrate profitieren. Eine Anpassung der Ernährung hilft jedoch nicht in allen Fällen. Wer beispielsweise eine gravierende Störung der Speiseröhrenfunktion hat und deswegen an Reflux leidet, bei dem sind umfassendere Maßnahmen mit Hilfe eines Arztes nötig, in seltenen Fällen sogar eine Operation.
Muss man dauerhaft auf Cola, Gummibärchen und Pizza verzichten?
Man sollte seine Ernährungsgewohnheiten hinterfragen und verbessern, bis der Reflux unter Kontrolle gebracht ist. Anschließend kann man vorsichtig versuchen, problematische Lebensmittel wieder in den Speiseplan aufzunehmen.
Weitere Infos unter: www.refluxgate.de