Wie geht es weiter mit dem Sport nach der Corona-Krise? Im FORUM-Interview nimmt Professor Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule in Köln Stellung zu den drängendsten Fragen. Der 49-Jährige gilt als einer der führenden Sport-Ökonomen in Deutschland.
Herr Breuer, derzeit wird viel darüber philosophiert, ob sich der Fußball oder der Sport generell in der Krise neu erfinden. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass wir am Ende eventuell eine Rückkehr zu mehr Werteorientierung haben werden?
Da wäre ich realistisch. Wir sprechen gerade im Bereich des Spitzenfußballs von dem Phänomen einer Über-Investition. Das heißt, die Anzahl an Vereinen oder Kapitalgesellschaften die in einen bestimmten sportlichen Erfolg investieren, zum Beispiel Meisterschaft, Qualifikation, Auf- beziehungsweise Nichtabstieg, ist systematisch größer als die Anzahl, die diesen überhaupt erreichen und damit einen sogenannten Return on Investment in sportlicher, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht erzielen kann. Das ist ein Unterschied zum normalen Wirtschaftsleben. Man sieht das oft bei Bundesliga-Absteigern, die viel Geld in die Hand nehmen, um sofort wieder aufzusteigen. Wir werden sicherlich eine Einnahme-Delle beobachten können, aber das Grundprinzip wird sich nicht verändern.
Dennoch malen gerade die Bundesligisten ein Horror-Szenario an die Wand. Spieleberater befürchten einen Einbruch der Einnahmen. Wie ernst ist die Situation wirklich?
Wir haben es rein objektiv betrachtet mit einem Wirtschaftszweig zu tun. Und es brechen Einnahmen weg. Zunächst einmal die Spieltagseinnahmen, dann auch Erlöse aus dem Merchandising. Das ist für alle Beteiligten eine neue Situation, die so auch nicht zu erwarten war. Eine konkrete Auswirkung könnte sein, dass die Kader der Profivereine kleiner werden, um die Personalkosten zu drücken. Daher verstehe ich schon, dass die Berater nervös sind. Es wird in den kommenden Monaten sicherlich auch nicht die Zeit der Rekordtransfers sein.
Führende Virologen gehen nicht davon aus, dass im Jahr 2020 noch Spiele vor Publikum stattfinden. Sind Geisterspiele eine Alternative, um die Vereine zu retten, oder droht dann die ganz große Pleitewelle?
Wir müssen abwarten, wie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ist. Irgendwann wird der politische Druck sehr groß werden, weil die Vereine spielen wollen und die Menschen auch wieder Fußball sehen wollen. Geisterspiele sind für die Vereine der DFL natürlich deshalb eine Option, weil sie überproportional von den TV-Einnahmen leben. Natürlich tun wegfallende Zuschauererlöse oder fehlender Verkauf von Fan-Artikeln auch weh, aber wenn der Grundsockel da ist, werden Vereine oder Gesellschaften, die gut gewirtschaftet haben, auch eine solide Perspektive haben. Eine andere Situation würde eintreten, sollte gar nicht mehr gespielt werden. Der Rechte-Inhaber zahlt ja nur, wenn Spiele stattfinden.
Welche Vereine könnten denn dann überhaupt überleben?
Vereine wie Wolfsburg, Leverkusen oder Leipzig, die starke Investoren haben, sind sicher im Vorteil. Immer vorausgesetzt, dass der Investor das Interesse nicht verliert oder selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Dazu kommen Vereine wie Bayern München, Dortmund oder auch die TSG Hoffenheim, die betriebswirtschaftlich sehr gut gearbeitet haben. Dort wird man solche Szenarien sicher durchrechnen. Die Situation wäre sicher auch für sie schwierig, aber sie könnten nach einer Delle relativ schnell wieder auf gutem Niveau agieren. Denn eines ist ja sicher: Irgendwann wird wieder gespielt. Ein anderer Aspekt ist die Struktur. Ein Verein, der seine Profiabteilung ausgegliedert hat, kann sich nach einer Insolvenz der Kapitalgesellschaft wieder neu aufstellen. Für die eingetragenen Vereine wäre die Situation sicherlich existenzieller.

Besonders bedrohlich ist die Situation für Drittligisten. Dort sind die TV-Einnahmen geringer, die Kosten dennoch hoch. Der 1. FC Kaiserslautern hat mit seiner Ankündigung zu prüfen, ob er staatliche Hilfen in Anspruch nehmen kann, einen Shitstorm ausgelöst. Wie sehen Sie das?
(lacht). Der 1. FCK war der Lieblingsverein während meiner Jugend. Er ist ein gutes Beispiel für Traditionsvereine, die zur Über-Investition neigen. Zudem ist er aufgrund seiner Fanstruktur sehr von Zuschauereinnahmen abhängig. Es ist aus Sicht der Geschäftsführung absolut nachvollziehbar, dass alle möglichen Optionen geprüft werden. Aber ob der Staat einen Verein retten muss, der in den vergangenen Jahren nicht gut mit Geld umgegangen ist? Da verstehe ich den Shitstorm schon.
Martin Kind, Investor bei Hannover 96, hat nach dem amerikanischen Vorbild einen „salary cap", sprich eine Gehaltsobergrenze ins Gespräch gebracht. Halten Sie dieses Modell für realistisch?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Sie müssen sehen, dass die Ligen in den USA absolute Topligen mit Monopolcharakter und closed leagues, also geschlossene Veranstaltungen sind. Es gibt keine Auf- und keine Absteiger. Zudem auch keine Wettbewerbe wie die Champions League. Wo soll ein Spieler der NFL denn hin wechseln? Ein deutscher Spitzenfußballer, der hier eine Gehaltsobergrenze hat, wird dann ins Ausland abwandern. Die einzige Möglichkeit wäre, eine europaweite Lösung zu finden. Die halte ich angesichts der Konkurrenz der europäischen Ligen für unwahrscheinlich. Zudem stellen auch aufstrebende Fußballligen in Asien und den USA Arbeitsmarktoptionen für Topspieler dar.
Abseits vom Fußball wurde zuletzt ja auch die Absage der Olympischen Spiele heiß diskutiert. Sind die Auswirkungen auf die anderen Sportarten ähnlich extrem wie im Fußball?
Im Teamsport ist die Situation in den Ersten Ligen vergleichbar mit dem Drittliga-Fußball. Das gilt für Sportarten wie Basketball, Handball oder Eishockey. Sie haben im Vergleich zur Fußball-Bundesliga deutlich weniger TV-Einnahmen, müssen aber weniger Gehälter zahlen. Es wird für sie viel davon abhängen, wie die Sponsoren bei der Stange bleiben. Diese Entwicklung wird für den gesamten Sport entscheidend sein. Wir wissen ja noch nicht, wie die Sponsoren aus der Krise kommen. Für die Einzelsportler in olympischen Sportarten ist die Situation insofern nicht so dramatisch, als dass sie nicht so viel zu verlieren haben. Viele von ihnen sind über Festanstellungen bei der Bundeswehr oder der Polizei abgesichert.
Andere gehen ihrem Sport gar nicht hauptberuflich nach, weil sie ihren Lebensunterhalt auch vor Corona nicht vollends durch den Sport decken konnten. Es wird aber auch für sie nicht einfacher. Ihnen fehlen auf jeden Fall erstmal Antritts- oder Preisgelder.
Viele kleinere Vereine sind von den Zuwendungen regionaler Sponsoren abhängig. Sei es die Bäckerei um die Ecke, die Tankstelle oder der kleine Kfz-Betrieb. Droht uns hier ein Kahlschlag?
Natürlich ist es zu erwarten, dass der eine oder andere Sponsor sich zurückzieht, weil er selbst eigene Probleme hat. Hier sind die klassischen Ehrenamtsvereine im Vorteil. Sie haben zwar derzeit keine Einnahmen, aber eben auch wenige Ausgaben. Was vielen Vereinen sicherlich wehtut, ist die Tatsache, dass Veranstaltungen wie Turniere oder Feste wegfallen. Eine Perspektive sehe ich aber in der Gestaltung der Mitgliedsbeiträge. Viele Vereine haben einen monatlichen Beitrag, der dem Preis für einen Big Mac entspricht. Da hat man sicherlich Spielraum. Aber ich glaube, dass die Mitglieder eher bereit sind, mehr für die Jugendabteilung zu investieren, als ins Handgeld des Landesliga-Spielers. Aber letztlich wird es auch hier davon abhängen, welcher Verein attraktiv genug für Geldgeber ist.
Also wird sich am Ende gar nicht so viel verändern?
Die Struktur des deutschen Sports fußt auf dem Erfolgsprinzip mit Auf- und Abstieg. Es wird auch nach dieser Krise Vereine geben, die mehr Mittel haben werden als andere. Wir werden eine Delle erleben, aber an der Grundstruktur wird sich nichts ändern.