Mit dem terminierten Pokalhalbfinale wächst auch das bundesweite Interesse am 1. FC Saarbrücken. NDR-Journalist Carsten Pilger stammt aus dem Saarland und hat seinem Heimatverein nun schon das zweite Buch gewidmet.
Am Anfang steht eine Einordnung: „Es gibt nicht den typischen Fan des 1. FC Saarbrücken. Das wäre auch langweilig. Ob Handwerker oder arbeitslos, ob Schülerin oder Rentner, ob Rechtsanwältin oder Barkeeper – im Stadion sind wir für 90 Minuten alle eins mit der Mannschaft. Aber der Weg dorthin kann ganz unterschiedlich sein. Bei vielen ist der Weg über die Familie geprägt. Der Vater ist FCS-Fan, meldet den Sohn oder die Tochter noch im Kreißsaal im Verein an und nimmt mit hellblau-schwarzen Lätzchen und Strampelanzügen schon in der frühkindlichen Entwicklungsphase die Rolle des Einflüsterers ein. Vom Fußball versteht das Kind noch nicht genug, um sich eine eigene Meinung zu bilden, und Drohungen mit Enterbung ziehen noch nicht."
So beginnt „1. FC Saarbrücken – Fußballfibel", das zweite Buch des gebürtigen Saarlouisers Carsten Pilger. Bereits vor einem Jahr hatte der nun 31-jährige Journalist und Freie Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks mit seinem gleichnamigen Erstlingswerk „111 Gründe, den 1. FC Saarbrücken zu lieben" vorgestellt.
Das neue Buch sei ein „sehr viel persönlicheres Werk" geworden. „Im ersten Buch habe ich die Geschichte des Vereins und die Geschichten drumherum ein Stück weit aufgearbeitet", sagt Pilger, „jetzt wollte ich erzählen, wie ich Fan geworden bin, und von eigenen Erlebnissen und von Menschen, die mir begegnet sind."
Ersteres liest sich dann so: „Ich kannte den Verein kaum, da war ich schon Feuer und Flamme für die Blau-Schwarzen, an denen mich am meisten ihre Bühne faszinierte. Der Ludwigspark, den ich nur von außen kannte. Ein großes Ungetüm an der Camphauser Straße, an welchem meine Eltern im Auto mit mir vorbeigefahren waren. Seither malte ich mir aus, was drinnen wohl Großartiges passieren würde. (…) Vielleicht ist der ausschlaggebende Punkt, FCS-Fan zu werden, am Ende einfach: Nähe. Geographische Nähe zum Ludwigspark. Die gefühlte, ewige Nähe zu alten, glorreichen Zeiten, die bestimmt mal wiederkommen. Und eben die menschliche Nähe – sagte mir zumindest mal ein ehemaliger Fan der Roten Teufel, der zu unserem FCS übergelaufen war, auf einer Auswärtsfahrt. Den typischen FCS-Fan gibt es halt eben nicht."
„Den typischen Fan gibt es nicht"
hat sein zweites Buch über den 1. FCS veröffentlicht - Foto: Privat
Die 1. FC Saarbrücken Fußballfibel ist in der Reihe ‚Bibliothek des deutschen Fußballs‘ erschienen, wo bislang hauptsächlich Geschichten um Vereine aus der ehemaligen DDR veröffentlicht wurden. „Ich kenne Herausgeber Frank Willmann schon länger. Irgendwann hat er mich dann gefragt, ob ich nicht eines über einen Traditionsverein aus dem Westen schreiben wolle", erzählt Pilger.
Also berichtet er von einer Trainingseinheit, die der wenig begnadete Kicker Carsten als Zwölfjähriger mit den Profis des FCS erleben durfte. Thomas von Heesen sei „ein netter Mensch, aber kein so guter Trainer gewesen", findet Pilger heute. Wie gestern kommt ihm sein erster Besuch im D-Block vor. Dort stand früher der harte Kern der FCS-Anhänger. „Es gab da zwar keine Nummerierung wie bei den Sitzplätzen auf der Tribüne, aber sich einfach irgendwo hinstellen ging auch nicht. Jeder hatte da seinen festen Platz. Ich musste meinen erst finden."
Pilger fand seinen Weg zum FC nach dem Abstieg aus der Zweiten Liga, in einer Phase, in der mehr Menschen dem Verein den Rücken kehrten als zu ihm kamen. „Man darf den FCS nie abschreiben. Es wird immer Menschen geben mit der Sehnsucht nach dem kleinen Fußball-Theater vor der Haustür." Dass bei einem Auswärtsspiel in Wirges einmal kaum 100 Hartgesottene die blau-schwarzen Farben hochhielten, störte ihn nie. „Natürlich geht man wegen des Fußballs hin, aber eben nicht nur. Wenn man den gezeigten Fußball nicht feiern kann, feiert man sich selbst. Man ist froh, Teil einer Gemeinschaft zu sein."
Nicht nur beim FCS wird häufig der „Fußballgott" angebetet, doch kaum woanders scheint dieser seine Launen so auszuleben. So schreibt auch Pilger über den Glauben und den Ball: „Meine Welt bestand damals vor allem aus Fußball. Statt Kirchenbesuch Stadion. Statt Kirchenchor Singen mit der Kurve. Statt zwölf Aposteln elf Fußballer. Und statt Propheten ein Horst Ehrmantraut, der hin und wieder Ausflüge in das metaphysische Wesen des Spiels unternahm. Einer von den rausgeworfenen Trainern, der innerhalb nur einer Saison wieder auferstanden war. Diese Welt erfüllte mich irgendwie mehr, als auf der Kirchbank zu sitzen und mir durch ehemalige Klassenkameraden von hinten in die Haare spucken zu lassen. Was so ziemlich das einzige ist, woran ich mich im Zusammenhang mit den Proben zu meiner Firmung erinnere."
„Man ist Teil einer Gemeinschaft"
Geradezu eine „Wiederauferstehung" feiert der FCS in dieser Saison im DFB-Pokal. Die Mannschaft hat den SSV Jahn Regensburg, den 1. FC Köln, den Karlsruher SC und Fortuna Düsseldorf aus dem Wettbewerb geschossen und sich selbst auf die bundesdeutsche Fußballbühne katapultiert. „Danach haben sich die Fans Jahrzehnte gesehnt. Das ganze Land hat dem Verein die Daumen gedrückt. Selbst ich hier im Norden bekam Lob von Kollegen und Nachbarn", schildert Pilger, der nördlich von Hamburg wohnt, seine Sicht auf die jüngste Erfolgsgeschichte. Dass das Halbfinale nun wenn überhaupt vor Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, ist schon wieder eine der bitteren Launen des Fußball-Gottes gegenüber den Saarländern – meint Pilger: „Das Ende ist wieder ‚typisch FC‘. In dem Moment, wo die Mannschaft Sensationelles vollbringt, gibt es plötzlich keinen Fußball mehr."
Sein erstes Buch hat Pilger per Mundpropaganda und Lesungen vor Publikum vermarktet. Letzteres ist in Zeiten von Corona schwierig – so geht der Autor eben viral: „Ich lese auf Facebook", beschreibt Pilger Promotion in der neuen deutschen Normalität, „nicht regelmäßig, aber immer wieder. Und dabei nicht nur aus dem aktuellen Buch. Auch mal Texte aus alten Fanmagazinen oder meinem Blog. Oft komme ich dabei mit den Zuhörern ins Gespräch. Sie erzählen mir ihre Erinnerungen an die gleichen Spiele und Ereignisse. Das ist immer sehr schön."
Natürlich hofft Pilger, dass auch „Nicht-FCS-Fans" sein Buch lesen, für Blau-Schwarze finden sich bei der Lektüre aber sicher zahlreiche Anknüpfungspunkte für eigene Erinnerungen und eigene Geschichten. Das wäre sicher eine Basis für ein weiteres Buch.