Zu Zeiten von Corona studiert jeder für sich und doch irgendwie zusammen – dank neuester Technik. Die schnelle Digitalisierung macht auch vor Hochschulen nicht halt. Aber gefällt das auch allen?
Daheim am Schreibtisch sitzen statt im Hörsaal, dies ist derzeit der Alltag für viele Studierende. Auch für diejenigen der Universität des Saarlandes. Hier wurde der Semesterstart nicht verschoben. Anfangs stellte sich die Frage, wie das Semester ohne Präsenzveranstaltungen ablaufen soll. Die Antwort lautete: digitalisiert. Doch dieses Wort lässt dem ein oder anderen Dozenten einen Schauer über den Rücken laufen.
Jonas Nesselhauf arbeitet an der Universität des Saarlandes (UdS) als Dozent der Philosophischen Fakultät im Fach Europäische Medienkomparatistik. Auf „Moodle“, der zentralen Lernplattform der UdS, lädt er vorgefertigte Videos und Texte hoch, um seine Seminare online möglichst anschaulich zu gestalten. „Zwar steht die Digitalisierung der Lehre ja als Schlagwort seit Jahren auf der Agenda der Universitäten in Deutschland, ist aber ganz häufig nicht über das Stadium digitaler Semesterapparate hinausgekommen“, erzählt der Juniorprofessor, „das mag sicherlich mit einem eher konservativen, traditionellen Verständnis von Lehre zu tun haben, also Vorlesungen im Vorlesungssaal, aber gleichzeitig ist es eben auch sehr herausfordernd, sich auf Online-Lehre einzulassen.“ Die Digitalisierung an der Universität des Saarlandes könne er jedoch nur bedingt einschätzen, da die Fakultäten dazu zu unterschiedlich an das Thema herangingen. Er erklärt allerdings, dass sich die Online-Lehre in den Geistes- und Kulturwissenschaften insgesamt gut realisieren lässt, während es in den Naturwissenschaften, der Medizin oder auch der Ethnologie und Archäologie schon wesentlich kniffliger werde. Experimentelle Versuche oder Feldforschung lassen sich eben nur schwer in den digitalen Bereich übertragen. „Trotz der besseren Möglichkeiten der Geistes- und Kulturwissenschaften werden sie ihrer lebhaften Diskussionen beraubt, was ebenfalls einen großen Verlust darstellt“, so Nesselhauf.
Schwierig für die Naturwissenschaften
Doch auch wenn die Möglichkeiten der Philosophischen Fakultät positiver sind, bleibt es für viele Dozenten eine Herausforderung. Jonas Nesselhauf: „Die sehr plötzliche Umstellung auf Online-Lehre ist sicherlich für alle Kolleginnen und Kollegen in der Philosophischen Fakultät momentan die größte Herausforderung, noch vor den Einschränkungen durch Homeoffice oder geschlossene Bibliotheken. Wir haben uns in der Fachrichtung abgesprochen, und ich habe mein Konzept der Online-Seminare vorgestellt. Aber letztlich muss jede Dozentin und jeder Dozent selbst entscheiden, welches Format für das Seminarthema und vor allem für die inhaltlichen und methodischen Kompetenzen geeignet scheint.“
Mit Blick auf den Semesterstart blieb einigen noch etwas Zeit, sich digital weiterzubilden. „Das Weiterbildungsprogramm der Universität hat schon sehr lange regelmäßige Schulungen zur Digitalisierung der Hochschullehre oder zur Arbeit mit Plattformen wie Moodle im Programm“, erklärt der Juniorprofessor. Unabhängig vom jeweiligen Fachbereich schätzt er die Lage an deutschen, aber auch österreichischen Universitäten ähnlich ein: „Was ich von Kolleginnen und Kollegen an anderen Universitäten in Deutschland oder Österreich höre, ist natürlich eine gewisse Überforderung – der ganze Prozess der Umstellung von ‚klassischer‘ auf digitale Lehrformate kam jetzt einfach zu plötzlich.“
Auch wenn Jonas Nesselhauf tatsächlich schon selbst vorhatte, zukünftig Vorlesungen mitzuschneiden und den Studierenden als Podcast zum Nachhören anzubieten, vermutet er, dass manche Dozenten die Möglichkeiten der digitalen Lehre jetzt überhaupt erst kennenlernen. Er denkt allerdings, dass diese möglicherweise gerade dazu angeregt werden, die digitalen Formate in Zukunft häufiger und intensiver zu nutzen. „Das herkömmliche Seminar mit den notwendigen Diskussionen wird die Online-Lehre natürlich nicht ersetzen können, aber für Vorlesungen stellt das sicherlich auch in Zukunft eine interessante Alternative zur Präsenzveranstaltung und zu übervollen Hörsälen dar. Und es ist natürlich auch ein wichtiger Schritt zu einem umweltbewussten, möglichst papierfreien Arbeiten“, erklärt er.
Damit die digitalen Vorlesungen überhaupt erst möglich waren, musste hinter den Kulissen der UdS mit Hochdruck gearbeitet werden. Robert Gesing, Leiter der Stabsstelle für Digitalisierung und Nachhaltigkeit, erklärt, dass das Coronavirus im Grunde bloß eine starke Beschleunigung und Prioritätenverlagerung einer bereits bestehenden Digitalisierungsstrategie verursacht hat. „Aus meiner Sicht war die Universität des Saarlandes, ähnlich wie andere Hochschulen in Deutschland, was Digitalisierung betrifft, etwas hintendran. Die Corona-Krise war in Sachen Digitalisierung der Turbo-Booster schlechthin und hat insofern auch etwas Gutes“, erklärt er. Allerdings stand es um die UdS in Sachen Digitalisierung gar nicht so schlecht, wie der ein oder andere vielleicht vermutet. Nachdem die UdS durch Sparmaßnahmen jahrelang unterfinanziert war und sich nur schwer Investitionspakete durch einzelne Professoren sammeln ließen, beschloss das Präsidium gemeinsam mit Robert Gesing einen Digitalisierung-Fonds anzulegen, denn „Digitalisierung erfordert Investition“. Bereits 2018 war die UdS Gastgeber der bundesdeutschen Kanzlerjahrestagung zum Thema Digitalisierung und setzte dort Akzente mit ihrer Digitalisierungsstrategie. „Wir machten im Zuge der Kanzlerjahrestagung auch eine Umfrage zum Thema Digitalisierung an Hochschulen in Deutschland. Dabei stellte sich heraus, dass die UdS sogar im vorderen Drittel lag“, schildert der Leiter der Stabsstelle.
Schon vor der Corona-Krise wurden drei strukturelle Unterstützungssysteme durch das Präsidium festgelegt: SAP für die Unternehmens- und Studierendenverwaltung, ein Dokumentenmanagementsystem und Microsoft Office 365 mit dem Kollaborationstool „Teams“, wofür die UdS eigens eine Campus-Lizenz beschafft hat. „Wir waren in der Strategie, dem Handwerk und den Tools, also der Art und Weise, wie wir es umsetzen wollten, schon vor der Corona-Krise relativ gut geschult. Dass wir es dann so schnell und in dem Ausmaß brauchen, das wussten wir natürlich nicht“, erklärt Robert Gesing. Schon vor zwei Jahren war die Einführung von Moodle als zentrale Lernplattform geplant, jetzt ist sie erfolgt: Microsoft Teams wurde innerhalb von vier Wochen standortübergreifend eingeführt.
„Herkömmliche Lehre nicht ersetzen“
Eine der größten Hürden hierbei war vermutlich das Datenschutzgutachten für Microsoft, das viel Zeit in Anspruch nahm. „Wir haben zentrale Einstellungen vorgenommen, die unterbinden, dass Telemetrie-Daten, also Informationen über den Computer und dessen Nutzung, an Microsoft geschickt werden. Das war der Hauptvorwurf der öffentlichen Datenschützer an Microsoft“, erzählt der Leiter der Stabsstelle. Außerdem erhielten alle Studierenden der UdS eine Volllizenz, mit der sie Office-Programme kostenlos herunterladen können. Die Studierenden sind automatisch über ihre Studenten-Kennung für Microsoft Teams freigeschaltet. Das Präsidium und Prof. Dr. Roland Brünken, Vizepräsident für Studium und Lehre vom Lehrstuhl empirische Bildungsforschung, haben ihre Kollegen explizit aufgefordert, Online-Formate anzubieten. „Da gab es auch den Wunsch, sich neuen Formaten zu öffnen und für die Studierenden einen Beitrag zu leisten. Daher erstellen wir jetzt auch Webinare und Handreichungen für Dozenten mit Einführungskursen zu Online-Programmen. Dazu haben wir auch einen eigenen Medienserver mit einer unternehmensinternen Video-Plattform erstellt, wo Videos hochgeladen und gesucht werden können“, erzählt Robert Gesing.
Das Tagesgeschäft der Stabsstelle hat sich im Laufe der Krise verdreifacht: „Wir kriechen sozusagen im Maschinenraum herum, bei den Kollegen im IT-Zentrum, und richten Systeme ein. Gleichzeitig versuchen wir, den Dozenten Anleitungen und Infos zu geben, wie man Inhalte für Studierende online produziert. Beides findet gleichzeitig statt.“ Damit möchte Robert Gesing die Mitarbeiter der UdS auch „anfixen“, sich in Sachen Digitalisierung stärker zu beteiligen. „Auch bezüglich Nachhaltigkeit hoffe ich, dass Corona zu einer Aufbruchsstimmung und zu neuen Ufern führt, beispielsweise in der Verwaltung, wo es früher immer hieß, dieses und jenes sei unmöglich. Die Personalvertretung, sowohl der wissenschaftliche als auch der verwaltungs- und technische Personalrat, waren sehr vorbildlich und haben der Einführung von Microsoft Teams jetzt im Krisenmodus sofort zugestimmt. Wir haben allerdings auch da noch einige Kämpfe vor uns. Aber wir haben angekündigt, über den Regelbetrieb zu sprechen, wenn die Krise vorbei ist, und wir haben den Eindruck, dass wir da noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen. Gerade im wissenschaftlichen Bereich, aber das hat auch etwas mit persönlichen Auffassungen zu tun“, erklärt er.
Stabsstelle will auch letzte Skeptiker überzeugen
Prof. Dr. Christian Wagner, Vizepräsident für Planung und Strategie der UdS, bekräftigt noch einmal, wie hilfreich es war, dass die Universität bereits vor der Corona-Krise schon einiges in Planung hatte. Da auch der Digitalisierungs-Fonds schon bestand, konnten die geplanten Investitionen daraus getätigt werden. Zwar verursachten die starke Beschleunigung und die Anforderung von externer Unterstützung und Beratung zusätzliche finanzielle Belastungen, „aber das hat bis jetzt noch zu keinen ausufernden Mehrkosten geführt“, erklärt Christian Wagner. Auch die Wichtigkeit der Klärung von Datenschutzfragen unterstreicht er: „Das ist ein Punkt, den man teilweise gar nicht genug betonen kann, denn da werden die Lehreinrichtungen in Deutschland auch sehr alleine gelassen. Die haben da kaum klare Vorgaben. Letztlich ist ihnen fast nichts erlaubt, außer einer Lernplattform und mal eine E-Mail zu schicken. Und schon da taucht das Problem auf, dass man keine klaren Vorgaben hat, über welchen E-Mail-Verwalter dies geschieht, geschweige denn, dass man beispielsweise Videokonferenz-Systeme erlaubt, die funktional sind.“
Dank ihrer Digitalisierungsstrategie war die Universität des Saarlandes also offenbar verhältnismäßig gut auf die unvorhersehbare Krise vorbereitet. Gelingt es der Stabsstelle Digitalisierung, die letzten Skeptiker zu überzeugen, steht einer modernisierten Lehre nichts mehr im Wege.