In Zeiten der Corona-Pandemie sind die Gesundheitsämter in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Gerade ihr Personal nimmt einen wichtigen Part bei der Bekämpfung des neuartigen Virus ein. Seit April nun werden die völlig überlasteten Mitarbeiter von sogenannten Containment Scouts unterstützt.
Die Resonanz auf das Stellenangebot „Containment Scouts" war immens. Geradezu überwältigt von diesem Bewerberansturm war das federführende Robert Koch-Institut (RKI), weshalb das Bundesinstitut Ende März schrieb, keine weiteren Bewerber berücksichtigen zu können. Immerhin meldeten sich knapp 11.000 Interessenten aus ganz Deutschland. Zur Eindämmung der Corona-Pandemie sollen die jeweils für sechs Monate in Vollzeit angestellten Containment Scouts die deutschen Gesundheitsämter bei ihrer Arbeit unterstützen. Zwar wird die zusätzliche Manpower oftmals in der Kontaktpersonennachverfolgung von Covid-19-Fällen eingesetzt, doch entscheiden letztlich die Gesundheitsämter über die genaue Aufgabenverteilung.
Anfang April wurden im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern nach Angaben des RKI bereits 230 Frauen und Männer als Containment Scouts eingestellt. In ganz Deutschland sollen 525 Scouts dabei helfen, die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Das Projekt wird dem RKI zufolge vom Bundesgesundheitsministerium mit elf Millionen Euro finanziert. Auf FORUM-Anfrage erklärt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher, dass die anfängliche Verteilung sich an der Zahl der Coronavirus-Erkrankungen der besagten Bundesländer orientiert.
Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Dr. Ute Teichert, sagt, es sei „eine begrüßenswerte Maßnahme, dass uns in einer Krisensituation hilfsbereite Menschen unterstützen". Aber: Außer, um die aktuelle Spitzenbelastung der Gesundheitsämter abzufedern, löse das dauerhaft die Probleme des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht, hob die Verbandschefin hervor. Das entscheidende Problem ist Teichert zufolge der Stellenabbau in den vergangenen 20 Jahren bei vielfältigen neuen Aufgaben, die den Gesundheitsämtern zugewiesen worden sind. Denn nicht allein müssten in Corona-Zeiten die Hygienekontrolleure die Einhaltung der Hygieneregeln in den Kitas, Schulen und öffentlichen Einrichtungen überprüfen, so Teichert. Hinzu komme das am 1. März in Kraft getretene Masernschutzgesetz, demzufolge alle in Kindergärten und Schulen betreuten Personen und das Betreuungspersonal einen entsprechenden Impfschutz nachweisen müssen. Ein Gesundheitsamt-Mitarbeiter, der anonym bleiben wollte, sagt, dass die Scouts bestenfalls ein kleiner Ausgleich dafür sein könnten, dass man in den letzten zehn Jahren das Personal in den Gesundheitsämtern um ein Drittel reduziert hat und die Hauptlast unter großem Engagement von den noch vorhandenen Fachleuten getragen werde.
Das Gesundheitsamt entlasten
Für das Gesundheitsamt Münster sind Containment Scouts wie Siavosh Olfati wohl ein Glückstreffer – denn zum einen entlasten sie die völlig überlasteten Hygienekontrolleure und bringen ihrerseits viele Ideen ein. Der 24-Jährige hätte eigentlich nun sein letztes Semester Pharmazie begonnen, wenn nicht seine Universität den Vorlesungsbetrieb hätte einstellen müssen. Da Olfati neben seinem Studium seit drei Jahren als studentische Hilfskraft am Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Uni Münster arbeitet, interessierte er sich sofort für die Ausschreibung. Seit Mitte April ist er ein Angestellter des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, arbeitet 39 Stunden in der Woche. „Zum einen ist das, was ich mache, eine Super-Arbeitserfahrung im Feld und zudem eine tolle Qualifikation", sagt er. Er und seine zehn Teamkollegen sind eine Art „Ausbruchsfeuerwehr", das heißt, sobald eine Person positiv getestet wurde, werden an die Münster Scouts die entsprechenden Daten übermittelt und diese forschen nach. „Wir sind in erster Linie dazu da, die Kontaktpersonen zu ermitteln und inzwischen auch die Infizierten", beschreibt er die Aufgaben der Scouts. Olfati und seine Kollegen müssen auch den betroffenen Kontaktpersonen sagen, dass sie der Kategorie I angehören, also zum Personenkreis mit erhöhtem Infektionsrisiko. „Das ist der Fall, wenn man zu einer infizierten Person 15 Minuten Gesichtskontakt hatte, ohne Maske, in zwei Metern Abstand oder in geschlossenen Räumen wie etwa Autos", schildert Olfati. In 99 Prozent aller Fälle reagierten die Betroffenen am Telefon kooperativ und verständnisvoll, so seine Erfahrung. Per Ordnungsverfügung müssen sich dann die Betroffenen für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben. „Wir erkundigen uns ab und zu, wie es ihnen geht und ob sie zum Beispiel die Einkäufe organisieren können", sagt der Pharmazie-Student. Kontaktpersonenmanagement schließt aber auch die Meldungen der Paragraf-7- (alle positiv Getesteten) und die der Paragraf-6-Fälle (wenn Verdacht auf Covid-19 besteht) ein, die Olfati jeweils mittels eines Softwareprogramms an die Stadt Münster und ans RKI weiterleitet.
Die Corona-Krise stellte auch den Berufsalltag des freiberuflichen Theaterpädagogen und ausgebildeten Rettungsassistenten Dirk Kaufmann auf den Kopf – innerhalb kurzer Zeit brachen ihm für das Tourneetheater „Mensch: Theater!" die Aufträge für mehrere Monate weg. Deshalb sah sich der werdende Vater veranlasst, sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu orientieren. Der 36-Jährige unterrichtet darüber hinaus bundesweit an acht Rettungsdienstschulen Kommunikation und verwendet dafür Methoden aus der Theaterpädagogik. Doch da die Rettungsdienstschulen während der ersten Corona-Welle schließen mussten, ließ sich der Rettungsassistent-Hintergrund mit der neuen Herausforderung gut vereinbaren. „Wenn das klappen würde, dann würde die Anstellung als Containment Scout meine Ausfälle kompensieren", dachte er sich, als er sich auf die Stellenausschreibung beim Bundesverwaltungsamt bewarb. Abgesehen davon halte er es für eine sinnvolle Aufgabe für das Gemeinwohl.
Stellenausschreibung des Robert Koch Instituts
Kaufmann arbeitet seit 20. April für das Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis in Heidelberg. „Dynamisch ist hier das Wort der Wahl. Wir sind hier drei Containment Scouts und kümmern uns um den Schutz der Senioren- und Pflegeeinrichtungen", erzählt er. Konkret geht es darum, dass das Dreier-Scout-Team im Krisenstab dabei hilft, Strategien zum bestmöglichen Schutz der Pflegebedürftigen und Seniorenbewohner zu entwickeln. Mindestens einmal täglich nehmen Kaufmann und seine Scout-Kollegen an einer Sitzung des Krisenstabs des Landratsamts teil. „Wir überlegen zum Beispiel, wie man die Besuche so abwickeln kann, dass von außen nichts in die Einrichtungen getragen wird", berichtet Kaufmann, der in den Einrichtungen eine Infektionsschutzkleidung, Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe trägt. Außerdem war Kaufmann auch schon draußen unterwegs, sprich er half bei Testungen im Landkreis und erledigte dabei den administrativen Part.
Ronja Hippchen hatte eigentlich geplant, in diesem Semester die letzten Prüfungen abzulegen und ihren Master in Ökologie, Evolutionsbiologie und Naturschutz zu machen. Aber das im März allmählich um sich greifende Coronavirus kam ihrer Lebensplanung dazwischen. Normalerweise studiert sie in Potsdam und wohnt dort in einer kleinen WG. Als die Fallzahlen Anfang März anstiegen, zog sie kurzerhand zurück zu ihren Eltern nach Oberthal, einer kleinen Gemeinde im Nordsaarland. Die Stellenausschreibung zu den Containment Scouts des RKI entdeckte sie eher zufällig im Liveblog zur Corona-Krise der „Tagesschau"-App. „Ich dachte mir, dass ich gerade sowieso nichts für meinen Master machen kann und dass ich helfen möchte", sagt die 32-Jährige. Also schickte sie ein Bewerbungsschreiben per E-Mail ans RKI, machte ein Bewerbungsgespräch am Telefon und wenige Tage später erhielt sie die Zusage. Die Info- und Schulungsmaterialien wurden ihr nach Hause geschickt, in vier Tagen eignete sie sich alles Wichtige an – von der Einführung in Epidemiologie und Virologie über eine Einweisung in das Programm, in dem Meldungen erfasst werden bis hin zu Schulungsgesprächen.
„Eine Mischung aus Detektivarbeit und Seelsorge"
Seit 21. April arbeitet sie im Corona-Krisenstab des Landratsamt St. Wendel mit, das heißt, sie kümmert sich um Kontaktpersonen-Nachverfolgung und -Management. „Meine Kollegen im Gesundheitsamt sind sehr freundlich und hilfsbereit", sagt die gebürtige Saarländerin. Doch auch seitens des RKI werde ihre Arbeit begleitet, sie bekomme sehr gutes Feedback, es gebe Videokonferenzen und feste Ansprechpartner. Hippchen fasst ihre Arbeit so zusammen: „Eine Mischung aus Detektivarbeit und Seelsorge." Einerseits ist es ihre, wie sie selbst sagt, unangenehme Aufgabe, den betreffenden Kontaktpersonen die Nachricht zu übermitteln, zum anderen aber auch Fragen zur häuslichen Quarantäne zu beantworten, zu Kontaktpersonen die Verbindung zu halten, und den Verunsicherten, die sich Gedanken um eine mögliche Infizierung machen, beizustehen. „Die erste Person, der ich die Nachricht übermittelt habe, dass diese Kontakt zu einer infizierten Person hatte, war eine Krankenschwester", erzählt die Evolutionsbiologin. Obwohl diese von Berufs wegen zur Risikogruppe gehörte, machte sie sich mehr Sorgen um ihre Patienten als um ihre eigene Gesundheit.
Alexander Zinsmeister arbeitet als Scout zur Eindämmung der Pandemie im Gesundheitsamt Donau-Ries. Dabei hilft er bei der Befragung von Covid-19-Erkrankten und Kontaktpersonen. Außerdem ist er Leiter eines Ermittlerteams, das heißt, er ist erster Ansprechpartner für sein Team, falls Unklarheiten und Probleme auftreten. Auch verteilt er Aufträge bei der Kontaktpersonen-Nachverfolgung und nimmt an Sitzungen teil.
„Meine Motivation hinter der Bewerbung war, einen Teil zur Gesellschaft und zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beitragen zu können", sagt der 26-jährige Sportwissenschaftler, der wegen der Corona-Krise seine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht antreten konnte. Wie Alexander Zinsmeister hervorhebt, unterscheidet sich die Arbeit der Scouts im Vergleich zu den Kontaktpersonen-Nachverfolgungsteams kaum, denn beide gehen denselben Aufgaben nach. Die Zusammenarbeit läuft normalerweise so ab, dass man sich die Arbeit bei größeren Ausbrüchen zum Beispiel in Altenheimen teilt und im Team die Verfolgung der Kontaktpersonen aufnimmt. Kleinere Fälle übernimmt die ermittelnde Person in der Regel allein, wobei in unklaren oder schwierigen Fällen ärztlich Rücksprache gehalten wird, wie weiter vorgegangen werden soll.