Arbeiten wir künftig mehr von zu Hause, ändert dies das soziale Gefüge, glaubt Marcel Schütz, Sozialforscher und Journalist. Er meint: Wir steuern auf eine neue Gerechtigkeitsdebatte zu.
Herr Schütz, werden wir künftig alle von zu Hause arbeiten können?
Ich habe kürzlich von einer Presseanfrage an einen Zughersteller gelesen, in der die Frage gestellt wurde, ob das Unternehmen auf Homeoffice umstellen würde. Der Hersteller hat geantwortet, nein, das sei bei ihnen nicht üblich, Züge könnten nicht von zu Hause aus gebaut werden.
Wenn wir die Möglichkeiten moderner Industrie 4.0 zu Ende denken, vielleicht irgendwann schon.
Ja, aber mein derzeitiger Eindruck ist folgender: Die Veränderungen im alltäglichen Arbeiten sind in den vergangenen Monaten erzwungen worden. Normalerweise würden sie noch viele Jahre dauern. Der Druck war gerade hoch genug. Die Lage aber ist noch immer dynamisch, die Anpassung von Unternehmen an das digitale Arbeiten ebenfalls: Einige stellen völlig auf Remote-Arbeit um, andere drehen sie schon wieder zurück. Wenn nun ein Gesetz wie das von der SPD vorgeschlagene Recht auf Homeoffice eingreifen sollte, dann wird es einen stärkeren Druck in Richtung Homeoffice geben – natürlich erst einmal für all jene, die im Grunde mit dem Rechner von überall aus arbeiten könnten, wie Menschen in der Verwaltung, in der akademischen Wissensarbeit, im Journalismus beispielsweise.
Welche Fragen müssen wir uns also stellen?
Seit der Industriellen Revolution ist das Arbeiten vom häuslichen Dasein getrennt. Wir sind es gewohnt, in Gebäude zu gehen, die nur der Arbeit dienen. Es erscheint uns also fremd, gewissermaßen wieder von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Erschütterung unserer Gewohnheit hat Folgen für Organisationen. Es stellen sich die Fragen: Wie viel Vertrauen habe ich zu meinen Mitarbeitern? Wie eng muss ich führen und kontrollieren? Ist die Infrastruktur bei meinem Mitarbeiter überhaupt geeignet für Homeoffice? Wie verknüpfe ich als Remote-Arbeiter meinen Job zu Hause mit meiner Familie? Wird Homeoffice zur Regel, werden die Veränderungen einschneidend, denn bisher war diese Art des Arbeitsalltages nur gelegentlich, nebenher, der Fall. Es kommt zudem darauf an, wie der Beruf gelagert ist – ob der Arbeitsprozess eng begleitet werden muss oder nicht.
Wird es das soziale Gefüge im Privaten verändern?
Das hängt stark von den Lebensverhältnissen ab. Kinderlose Singles mit gutem Einkommen, die in stabilen Verhältnissen und Milieus leben, verstehen es, Arbeit und Beruf geschmeidig ineinander übergehen zu lassen. Ganz anders sieht es bei Familien mit Kindern aus, hier kann zum Beispiel das Homeoffice die Situation erschweren.
Steuern wir, wenn die SPD das Recht auf Homeoffice durchsetzen kann, auf eine Zweiklassengesellschaft aus Wissensarbeitern mit Heimarbeitsplatz und Facharbeitern und Handwerkern ohne zu?
Mir scheint, wir steuern auf jeden Fall auf eine Gerechtigkeitsdebatte zu. Vielleicht gibt es eine Art des finanziellen Ausgleichs, aber eine Lösung zu finden ist schwierig. Homeoffice ist keine Belohnung, sondern existiert, weil es einfach die Voraussetzungen dafür gibt. Solange es Berufe gibt, die mit handwerklichen Tätigkeiten, mit Anpacken verbunden sind und diese nicht automatisiert sind, wird es diese Diskrepanz geben. Aber der Anteil der Wissensarbeiter wird steigen, so wie der Grad der Automatisierung, aber so lange werden wir zahlreiche Modelle der Arbeit parallel erleben.
Aber Sie glauben, das Arbeiten im Homeoffice wird sich durchsetzen?
Ich denke schon. Jedes Jahrzehnt erlebte eine neue Form der Arbeit, denken Sie an Minijobs, Vertrauensarbeitszeit, Gleitzeit, Jobsharing. Arbeiten im Homeoffice aber ist die stärkste Form der Flexibilisierung, weil sie zur physischen Trennung vom Betrieb führt. Für Organisationen, die noch stark in disziplinarischen Strukturen, in Hierarchien denken, ist dieser Schritt sicher nicht leicht. Sie müssen damit zurechtkommen, ergebnisorientiert zu arbeiten; Mitarbeiter dagegen müssen auch ohne Beobachtung produktiv arbeiten können und gleichzeitig sich selbst disziplinieren und begrenzen. Denn wir wissen aus vielen Studien, dass Wissensarbeiter im Homeoffice dazu neigen, mehr zu arbeiten – nicht am Stück, man ist ja zu Hause, aber insgesamt über den Tag verteilt bis in die Nacht. Viele Beschäftigte, die zum ersten Mal zu Hause arbeiten, können sich da noch nicht gut genug einschätzen. Aber dieser Schritt ist insgesamt eine Abkehr vom heute gern propagierten Konzept des Großraumbüros, das der sozialen Kontrolle, dem Sparen von Platz und Geld dient.
Ist das Recht auf Homeoffice nun ein Eingriff in unternehmerische Freiheit oder ohnehin bereits gesellschaftlicher Konsens und Realität?
Das ist für den Wissenschaftler schwer zu bewerten, ich würde aber zu zweitem tendieren. Es braucht nicht unbedingt das Gesetz, aber ich glaube, die aktuelle Dynamik von Ereignissen wie dem Coronavirus beschleunigt es, so wie damals das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe oder zur Energiewende, Stichwort Fukushima. Es gibt Zeitfenster, die diese Veränderungen begünstigen. Dies ist so eines, und es fällt günstig für eine SPD ein Jahr vor der Bundestagswahl 2021. Insofern ist es auch Taktik und das Erkennen des günstigen Zeitpunktes, denn viele Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung insgesamt demgegenüber sehr positiv und aufgeschlossen gegenüber steht. Was die Wirtschaft selbst darüber denkt, steht auf einem anderen Blatt. Dort sind längst nicht alle Akteure vom Homeoffice überzeugt, allenfalls die Start-up-Szene, die sagt: Klar, machen wir ohnehin schon seit Jahrzehnten so. Es wird also ein Gesetz geben, so glaube ich, dass das Arbeiten von zu Hause abhängig von den im Betrieb erbrachten Leistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Unternehmens macht. Aber ohne diese Krise hätte meines Erachtens nach niemand nach einem solchen Gesetz explizit verlangt.
Was vermissen Sie derzeit am meisten im Homeoffice?
Ich glaube, die berühmte Kaffeepause. Das zufällige Begegnen auf dem Weg zur Pause oder in die Cafeteria. Der Ausklang des Arbeitstages an einem Stehtisch beim Plaudern mit Kolleginnen und Kollegen. Das entfällt gerade völlig, aber ich habe einen Ersatz gefunden. Ich mache das nun im öffentlichen Raum: Freunde und ich nehmen uns einen Kaffee beim Bäcker um die Ecke und schlendern durch die Stadt. Dabei kommt es natürlich immer darauf an, wieviel soziale Interaktion man benötigt. Mir geht es dabei ganz gut, von anderen höre ich aber schon, dass sie auf Dauer mit dieser Isolation nicht klarkommen.