Nach fast einem halben Jahr sollen alle Schüler wieder regelmäßig in die Schule gehen. Schülersprecher sehen dem Neustart mit Skepsis entgegen, vor allem wegen der unterschiedlichen Maskenpflicht.
Das mit dem Schulneustart hatte sich Bettina Martin alles so schön ausgedacht. Die blonde, hochgewachsene 54-Jährige ist seit gut einem Jahr Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern und musste damit den Neustart der Schulen organisieren. Die Aufgabe schien machbar, denn die Corona-Infektionszahlen in dem Ostseeland lagen schon immer weit unter dem Bundesdurchschnitt. Darum verzichtete Bettina Martin an den Schulen ihres Bundeslandes auf die Maskenpflicht und setzte vor allem auf die Abstandsregeln. Das ging mit dem Schulstart Anfang August genau vier Tage gut. Dann mussten die ersten beiden Schulen ihren Betrieb für die kommenden zwei Wochen wieder einstellen. Eine Lehrerin in Ludwigslust und ein Schüler in Rostock wurden positiv auf Corona getestet. Nun gilt auch in Mecklenburg-Vorpommern die Maskenpflicht in Schulgebäuden. Allerdings nicht ganz so resolut wie in Nordrhein-Westfalen, wo Masken auch während des Unterrichts getragen werden müssen.
Generell gegen die Maskenpflicht im Unterricht wendet sich die Bundesschülerkonferenz. „Damit kann man keinen Unterricht machen", so der Landessprecher aus Hamburg, Henry Behrens, vom Meiendorf Gymnasium der Hansestadt. „Selbst mit Maskenpflicht haben wir keine Garantie, dass nicht Schüler oder Lehrer positiv auf Corona getestet werden, und dann wird die Schule wegen eines positiven Tests trotzdem wieder komplett geschlossen". Das mache alles keinen Sinn.
Zu wenige Laptops und Tablets
Die größte Sorge des 18-Jährigen Landessprechers aus Hamburg ist die weiterhin schlechte Ausstattung der Schulen mit digitalen Endgeräten und der dazu gehörigen Netz-Infrastruktur. Ein bundesweites Problem, von der Ostsee bis nach Freiburg, wie der hessische Schülersprecher Ben Strabel bestätigt. Der 18-Jährige stammt aus dem Odenwaldkreis, also einer ländlich geprägten Region, deren Bevölkerungsstruktur eher durch die klassische Mittelschicht geprägt ist. „Bei uns im Odenwaldkreis ist nicht die Versorgung mit digitalen Endgeräten das Hauptproblem, sondern die Netzstabilität. Wenn da plötzlich Tausende von Schülern im ZOOM-Unterricht sind, schaffen das die Netze nicht." Damit kommt der Lehrer nur noch äußerst verhackstückt beim Homeschooling rüber, ein Phänomen, das auch viele Arbeitnehmer in den letzten Monaten bei ihren Digitalkonferenzen kennen gelernt haben. Doch Landesprecher Ben Strabel aus Hessen räumt ein, der nun erneut drohende Digital-Unterricht durch Schulschließungen habe auch „eine ganz klare, soziale Komponente. Denn vor allem in den Ballungsräumen gibt es auch viel mehr Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Haushalten, und da stellt sich dann auch bei uns in Hessen das Problem mit der Versorgung mit digitalen Endgeräten".
Politisch prominente Unterstützung bekommen die Schülersprecher von Annalena Baerbock, die ebenfalls befürchtet, ein erneuter Shutdown an den Schulen gehe vor allem zulasten der Schüler und Lehrer. Die Grüne Co-Parteivorsitzende greift vor allem Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) an. „Da wurde in den letzten Monaten viel kostbare Zeit verschenkt, um die Schulen und auch die Lehrer besser auf das neue Schuljahr vorzubereiten. Doch da habe ich von Frau Karliczek wenig bis gar nichts gehört", so Annalena Baerbock.
Die Bildungsministerin wehrt sich gegenüber FORUM gegen solche Vorwürfe, zum einen natürlich mit dem Verweis, dass Bildungspolitik nun mal Ländersache ist. Doch sollte man auch nicht die Besonderheit der Situation unterschätzen:
„Das ist ein Blick in die Glaskugel, da wir überhaupt nicht einschätzen können, ob und wie sich eine mögliche zweite Welle auswirkt. Wir als Bund legen allergrößten Wert darauf, dass im Falle von erneuten Schulschließungen wirklich jedes Kind mit einem digitalen Endgerät ausgestattet ist. Darum haben wir ja auch den Ländern entsprechend Geld zur Verfügung gestellt, damit die Schulen jetzt Tablets anschaffen können und in jedem Fall die Kinder beschult werden können."
Schülervertretungen waren nicht einbezogen
Dass der Bund viel Geld bereitgestellt hat, wollen die Sprecher der Bundesschülerkonferenz nicht in Frage stellen. Doch aus allen Ländern ist immer wieder zu hören, dass unterm Strich dann an den Schulen überhaupt nur wenige Leih-Tablets zur Verfügung stehen. „Mit den derzeitigen Maßnahmen ist ein hundertprozentiger Regelbetrieb überhaupt nicht möglich, weil es an Platz in den Schulen fehlt und weil ein Teil der Lehrer nicht eingesetzt werden kann, da sie zur Hochrisikogruppe gehören", bringt es der saarländische Landessprecher Lennart-Elias Seimetz auf den Punkt. Im Übrigen wundert sich auch Seimetz, wie die Grüne Co-Vorsitzende Bearbock, darüber, dass die Sommerferien nicht intensiv zur Digital-Beschulung der Lehrer genutzt wurde. „Es ist doch nur allzu menschlich, dass gerade ältere Lehrer sich mit den Tools auf dem Laptop nicht so richtig auskennen, doch das hätte man nachholen können," so der 18-Jährige vom Willi-Graf-Gymnasium in Saarbrücken. Doch auch hier warnt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek vor zu großen Erwartungen an solche „Digital-Crashkurse" für Lehrer. „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, wir machen jetzt eine Digitalfortbildung und dann können wir mit dieser Grundlage lange Zeit arbeiten. So einfach ist das leider nicht, denn die Digitalisierung ist ein immerwährender Prozess. Das sehen Sie ja schon in unserem Alltag, unsere Smartphones oder Laptops bekommen immer wieder neue Funktionen. Darum muss die Digitalfortbildung ein langfristiger, sich wiederholender Bestandteil sein."
„Das mag ja alles richtig sein", entgegnet da der Hamburger Schülersprecher Henry Behrens, „aber eines ist klar, ob bei einem Schulbetrieb mit oder ohne Masken, es wird weitere Infektionen geben und dann sitzen wir wieder im Homeschooling mit leicht überforderten Lehrern". Was die Schülersprecher in allen Bundesländern erneut ärgert: Bei der Erarbeitung der Pandemie-Notfallpläne für das neue Schuljahr sind sie nicht wirklich eingebunden gewesen. „Die Landesschüler-, oder Landeselternvertretungen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft haben erneut kein wirkliches Mitspracherecht gehabt", so Behrens. Das zeigt schon die Entscheidung für die Maskenpflicht in den Schulen, denn Lehrer und Schüler sind davon überhaupt nicht begeistert und erinnern sich nur zu gut an das Frühjahr. Immer wieder wurden sie vor vollendete Tatsachen gestellt, die Politik präsentierte meist wenig praktikable Lösungen. Nun droht eine Neuauflage.