Mal eben zum Studieren nach Paris, London oder New York? Das geht seit Corona nicht mehr so leicht. Die internationale Mobilität ist seitdem stark eingeschränkt, digitale Formate bieten keine wirkliche Alternative. Der Run auf die wenigen Auslandsplätze verschärft sich.
Gesa Heym, Leiterin des Teams Studierenden-Mobilität an der Freien Universität Berlin, ist schon jetzt ein wenig bange, wenn sie daran denkt, wie sie im kommenden Jahr die Studierenden auswählen soll, die von der FU für ein oder zwei Semester ins Ausland gehen. „Wir müssen schauen, wie viele Plätze dann überhaupt durch die ganzen Verschiebungen aus dem vorigen Jahr zur Verfügung stehen", sagt Heym. Gerade für die begehrten Plätze an den namhaften Universitäten könnte der Andrang künftig noch stärker ausfallen als sowieso schon.
Wer in diesem Jahr ins Ausland gehen wollte, der konnte dies wegen der globalen Corona-Pandemie oft nicht tun und wird deshalb im kommenden Jahr einen neuen Anlauf nehmen müssen. Allerdings wartet dann auch schon der nächste Jahrgang auf seine Chance. „Man kann das vergleichen mit der Situation vor ein paar Jahren, als es wegen der Einführung des G8-Abiturs einen doppelten Abiturjahrgang gab", sagt Jan Kercher vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Zwar hätten die deutschen Hochschulen damals zusätzliche Kapazitäten geschaffen, doch der Überschuss wurde dadurch nicht vollständig aufgefangen. „Auch damals gab es eine merklich erhöhte Konkurrenz um die Studienplätze", erklärt Kercher.
Ähnlich könnte es nun mit den Auslandsplätzen aussehen. Wenn man davon ausgeht, dass die Studierenden, die eigentlich schon in diesem Jahr dran gewesen wären, auch für das nächste Jahr bevorzugt behandelt werden, ist ein Großteil der Plätze bereits blockiert. Wird das Auslandssemester also zum Luxusgut einiger weniger? „Es kann bestimmt nicht jeder einen Platz an besonders beliebten Universitäten wie der Columbia University in New York oder an der London School of Oriental and African Studies (SOAS) bekommen. Aber wer flexibel ist und auch Destinationen abseits des Mainstreams in Betracht zieht, hat auf jeden Fall sehr gute Chancen, einen Platz zu bekommen", relativiert Gesa Heym. Das sei im Übrigen schon vor Corona so gewesen.
Auslandserfahrung kann entscheidender Pluspunkt sein

Die Nachfrage an einem Auslandsstudium ist jedenfalls trotz Corona anhaltend hoch. Laut einer aktuellen Umfrage des DAAD haben weniger als zehn Prozent der Studierenden ihre Pläne wegen des Virus aufgegeben. Der weitaus größte Teil der Befragten ist aber grundsätzlich weiter daran interessiert, im Ausland zu studieren. Das Problem ist eher die Umsetzung. Weltweit waren wegen Corona die meisten Grenzen dicht, bis heute gibt es für etliche – vor allem außereuropäische – Länder Reisebeschränkungen. Wenngleich es für Studierende eine Sonderregelung gibt, können sich viele von ihnen ihren Traum von einem Auslandsstudium aktuell nicht erfüllen. An der FU Berlin können deshalb in diesem Semester von den 800 Plätzen an Partneruniversitäten, die normalerweise zur Verfügung stehen würden, gerade einmal 250 besetzt werden.
Ein Semester oder ein ganzes Jahr im Ausland zu verbringen oder womöglich sogar das ganze Studium dort zu absolvieren, ist bei Studierenden und potenziellen Arbeitgebern gleichermaßen gefragt. Bei der Bewerbung auf den künftigen Traumberuf kann eine solche Auslandserfahrung im Lebenslauf den entscheidenden Pluspunkt darstellen. Der aktuelle Stillstand hat also womöglich auch langfristige Auswirkungen auf die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Eine Alternative ist ein Online-Semester, bei dem man zwar an einer ausländischen Hochschule eingeschrieben ist, aber weiterhin zuhause sitzt – de facto also ein Fernstudium. An der Freien Universität entschied sich im vergangenen Semester rund die Hälfte der ausländischen Studierenden dafür, die Kurse zumindest virtuell mit den Berlinern zu verbringen. „Ein echtes Auslandsstudium kann das aber nicht ersetzen", räumt Gesa Heym ein: Die gesamte interkulturelle Erfahrung falle dabei zu einem großen Teil weg. Auch die teils große Zeitverschiebung macht ein solches Online-Auslandsstudium problematisch: Wer als Deutscher in Asien oder Australien eingeschrieben ist, muss sich schon mitten in der Nacht vor den Rechner setzen, um dort an den Vorlesungen teilzunehmen.
Deutschland löst die USA als beliebtestes Gastland ab
Also doch verschieben? Auch das ist nicht immer ohne weiteres möglich. Am ehesten noch bei nur kurzzeitigen Auslandsaufenthalten im Rahmen der sogenannten Credit Mobility, etwa im Zuge des Erasmus-Programms. Bei der Degree Mobility dagegen, bei der man ein ganzes Bachelor- oder Masterstudium oder seine Promotion in der Ferne verbringt, ist es unter Umständen schwierig, ein ganzes Jahr zu warten, weil sich dadurch der gesamte Studienablauf weiter verzögert.
Jan Kercher vom DAAD glaubt, dass sich die internationalen Studierendenströme infolge der Corona-Pandemie neu sortieren werden. Und dass davon jene Länder profitieren, wo es trotz Corona noch relativ sicher ist – darunter auch Deutschland. Künftig könnten also sogar noch mehr ausländische Studierende an deutschen Universitäten drängen. Im Gegenzug könnten die amerikanischen Hochschulen zu Verlierern der Corona-Krise werden. Bislang sind die USA das mit Abstand wichtigste Gastland für internationale Studierende, doch der Vorsprung schrumpft. „Es wird spannend sein zu beobachten, ob sich dieser Trend verfestigt", meint Kercher. Wobei es dann eher nicht Elite-Unis wie Harvard oder Yale treffen würde, sondern die kleineren Institutionen, die in besonderem Maße finanziell von den ausländischen Immatrikulierten abhängig sind. Ähnlich sieht es in Großbritannien und Australien aus, wo sich der Etat zum Teil bis zu 40 Prozent aus internationalen Studiengebühren zusammensetzt. „Wenn das wegfällt, geht das schnell an die Substanz", sagt Jan Kercher. Einige Hochschulen könnten durch Corona und den Wegfall der internationalen Studierendenmobilität sogar pleitegehen. In Deutschland droht diese Gefahr nicht: Als einziges Bundesland erhebt Baden-Württemberg überhaupt Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer. Von den 1.500 Euro pro Semester bekommen die Bildungseinrichtungen aber ohnehin nur ein Fünftel, der Rest geht ans Land.
Die Studierenden wollen weiter ins Ausland, die Hochschulen haben ein finanzielles Interesse daran: Gesa Heym von der Freien Universität Berlin befürchtet daher nicht, dass das Angebot nach Corona langfristig zusammengestampft wird. „Mit unseren Partneruniversitäten tauschen wir fast jede Woche Bekenntnisse zur dauerhaften Weiterführung des Austauschs aus", sagt sie. Jan Kercher glaubt indes, dass das andere beherrschende Thema unserer Zeit sich künftig noch stärker auswirken wird: der Klimawandel. Er sagt: „Langfristig wird man überlegen, ob kurzfristige Auslandsaufenthalte mit langen Flügen und entsprechend hohem CO2-Ausstoß noch zeitgemäß sind oder man sie besser durch digitale Angebote ersetzt."